Nach dem Singsang

Pop Für das Feuilleton war sie als Persona interessant, für die Panorama-Spalten als Celebrity, für Pop-Checker aber nicht mehrheitsfähig: Judith Holofernes. Ihr neues Album heißt „Ich bin das Chaos“

Stillleben mit gähnendem Hund: Judith Holofernes und der färöische Songwriter und Komponist Teitur Foto: Trondur Dalsgard

von Jens Uthoff

Während der ersten 3 Minuten und 18 Sekunden denkt man: Hoppla, nun könnte wirklich etwas Neues kommen. So lange dauert das Eröffnungsstück des neuen Albums von Judith Holofernes, es ist eine tieftraurige, chansonartige Piano-Ballade, und die ersten Zeilen lauten: „Nichts ist so trist/ wie ein Optimist/ mit der Nase am Asphalt/ der sagt, mir ist nicht kalt/ ich bleib hier liegen.“

Das sind nicht nur okaye Zeilen, mit denen man so ein Album schon mal eröffnen kann, das überzeugt auch stimmlich. Denn in „Der letzte Optimist“ singt Holofernes in anderen Stimmlagen, als man dies bislang von ihr gewohnt war. Sowohl bei Wir sind Helden, wo sie bekanntlich Sängerin war, als auch als Solokünstlerin war ihr Singsang oft zu berechenbar, manchmal zu beliebig. Nun klingt der Gesang brüchig und schwach, düster und noir. In manchen Momenten glaubt man, er sacke ganz weg, ihn verlasse die Kraft.

Chansonnière Holofernes?

Zufall ist das alles nicht. „Ich hatte den Wunsch, mich stimmlich weiterzuentwickeln. Einfach deshalb, weil ich neue Erzählerstimmen möglich machen und andere Gefühle in die Songs einbringen wollte“, erzählt Holofernes bei einem Interview, das wenige Wochen vor der Veröffentlichung ihres zweiten Solowerks stattfindet.

Inzwischen ist es erschienen, „Ich bin das Chaos“ heißt es, und die angedeutete Wandlung zur Chansonnière vollzieht Judith Holofernes dann leider doch nicht. Die elf Songs sind eher ein buntes Potpourri, gleich im zweiten Song „Ode an die Freude“ – mit einem etwas zu kalauerigen Wink Richtung Schiller und Beethoven – schwenkt sie wieder um zu einer Komposition, die unschwer als Judith-Holofernes-Stück zu erkennen ist. Die Violent-Femmes-Anspielung in „Charlotte Atlas“ und das runtergerockte „Analogpunk“ sind wieder solider – und im Prinzip geht es dann mit Ups and Downs so weiter.

Holofernes hat für „Ich bin das Chaos“ mit dem färöischen Songwriter und Komponisten Teitur zusammengearbeitet, sie war eine Zeit lang auf den Schafsinseln, um dort Songs zu schreiben. Auch Mitglieder des großartigen Klassikensembles Stargaze um André de Ridder waren an der Produktion beteiligt. Den Kompositionen ist das anzumerken, sie sind teilweise ausgefeilter als so manches alte Stück; die Streicherarrangements tun dem Sound gut. Holofernes sagt, „andere Melodieführungen“ hätten sie interessiert. Sie möge so unterschiedliche Songschreiber wie Jacques Brel und Elvis Costello – das solle sich möglichst auch in ihren Songs widerspiegeln.

Heute klingt ihr Gesang brüchig und schwach, düster und noir

Das „Chaos“ ist nur bedingt Leitmotiv des Albums, die Texte reflektieren größtenteils auf eine satte Generation, die sich irritiert zeigt, wenn die Verwerfungen – eben das Chaos – etwas näher an die eigene Lebenswirklichkeit rückt. Dies zu beschreiben gelingt Holofernes mal mehr („Unverschämtes Glück“), mal weniger gut („Die Leiden der jungen Lisa“).

Vielleicht überrascht es, wie wenig dezidiert politisch sie dabei wird. Darauf angesprochen sagt Holofernes: „Explizit politisch war ich ja noch nie. Mich interessieren die Wurzeln dessen, was Menschen machen und was um uns herum passiert. Ich finde das total politisch. Wenn ich zum Beispiel über Angst und über ein Sicherheitsbedürfnis singe und wer etwas davon hat, wenn er die Erfüllung dieses Bedürfnisses verspricht, so ist man meines Erachtens nah an den Problemen unserer Zeit. Genauso, wenn ich über Strategien singe, die man hat, um mit dem Chaos umzugehen.“ Der Eindruck, den man gewinnt, wenn man mit ihr spricht: Auch inhaltlich wäre bei ihr durchaus mehr drin, sie reflektiert sich und ihre Kunst viel mehr, als man das beim Hören ihrer Stücke denken mag.

Aber über die Musik, über ihren Sound wird ohnehin wenig gesprochen, wenn Holofernes ein neues Album veröffentlicht. Für das Feuilleton war Holofernes als Persona interessant, für die Panorama-Spalten als Celebrity, für die Pop-Checker war sie nie mehrheitsfähig. Auch wenn „Ich bin das Chaos“ kein großer Wurf ist, wird man ihr nicht gerecht, wenn man sie nur als die Wir-sind-Helden-Tante darstellt. Eine künstlerische Entwicklung ist zu beobachten. Und die muss ja noch nicht zu Ende sein.

Judith Holofernes: „Ich bin das Chaos“ (Sony) | live: Astra, 23. April