Pikierte Mienen in der Nussschale

Elbphilharmonie Klassikstars, brachialer Jazz und queerer HipHop bei den „New York Stories“

Zebra Katz’ Auftritt in Hamburg Foto: Daniel Dittus

Als am Dienstagabend gegen halb zwölf der letzte von Tyon­dai Braxtons elektronischen Klängen verhallt war, waren viele Stühle leer im Kleinen Saal der Hamburger Elbphilharmonie: Teils mit versteinerter Miene, aber noch öfter unsicher lächelnd waren rund zwei Dutzend Zuschauer noch während des Sets gegangen. Überhaupt waren fünf Tage lang nie so viele Stühle schon von Anfang an leer gewesen wie bei diesem Konzert. Ob’s an der späten Stunde lag – oder doch an dem brachialen IDM-Sound Braxtons, den die Veranstalter als „einen der wichtigsten Künstler der elektronischen Avantgarde“ angekündigt hatten? Über den Mangel an Aufgeschlossenheit der einen echauffierten sich dann wiederum die anderen: Von denen, die blieben, schüttelten nicht wenige den Kopf über das Banausentum des Eben-noch-Sitznachbarn.

Schon zur Eröffnung des Festivals hatten sich solche Szenen abgespielt in dem anfangs aber komplett besetzen Großen Saal: Fast fünf Stunden dauerte der „Bagatelles Marathon“, den der Avantgarde-Impresario John Zorn am Donnerstagabend entfachte, unter Beteiligung von rund 30 Mitwirkenden in zwölf Formationen: vom allein – und irgendwann auch unverstärkt – auftretenden Pianisten Craig Taborn über das schwer jazz­rockende Trio Trigger bis hin zu Zorns eigenem Masada Quartet. Er sei nun 65 Jahre alt, sagte Zorn, „and not afraid to alienate people“: Laut Hauspersonal waren es bis zu 500 Menschen, die im Lauf des Abends den Saal verlassen hatten.

Man war wenigstens dabei

Man könnte das für eine Art immer gleicher Farce halten, eine Wiederholung der Urszenen der musikalischen Moderne – bei Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ kam es vor knapp 100 Jahren ja noch zu echten Riots. Es zeigte sich da aber vor allem etwas für die noch junge „Elphi“ Typisches: Da sitzen, in schwankenden Anteilen, Menschen im Publikum, die sich das jeweilige Programm nicht ausgesucht haben; man hat anscheinend an Tickets erworben, was zu kriegen war – und flieht notfalls wieder. Man war wenigstens dabei, auch wenn die Musik eine Zumutung war, sei sie nun von John Zorn oder Morton Feldman.

Es sollten ausdrücklich „einige besonders charakteristische Facetten der stilistisch ungemein reichhaltigen Musik aus New York City“ sein, die man bei „New York Stories“ präsentieren wollte, und das sechs „prominent besetzte Abende“ lang. Einige Repräsentanten einer bewegten Musikgeschichte präsentierte man vor durchweg ausverkauftem Haus. Darunter war an zwei Abenden das New York Philharmonic, eines der besten Orchester nicht nur Nordamerikas, und dann auch noch mit einem Klassik-Superstar wie dem Cellisten Yo-Yo Ma. Insofern verkörperte das Festival „in a nut­shell“, was die Aufgabe der Elbphilharmonie insgesamt sein mag: die große weite Welt in die kleine Stadt am Fluss holen. Den Crooner Michael Feinstein ließ man, begleitet von der Bigband des Hessischen Rundfunks, das „Great American Songbook“ aufschlagen.

Bei Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ kam es vor knapp 100 Jahren noch zu echten Riots

Es war also durchaus gedacht worden ans konventionellere Publikum. Aber eben nicht nur: So würdigte das Festival, dass New York ein nie ruhendes Laboratorium für kulturelle Aneignung und Lektüre gegen den Strich ist: Zebra Katz etwa steht für eine ausdrücklich queere HipHop-Schreibweise: Beim Auftritt der dunklen Mode­industrie-Kunstfigur zeigte sich am Samstagabend, dass das, was als Hamburgs neues Wahrzeichen gilt, auch einen prima Club abgäbe. Tags darauf setzte Anohni – ehemals besser bekannt als Antony Hegarty von Antony and the Johnsons – ihren sonst gerne zerklüfteten Kunstpop nun mit beinahe broadwaytauglichem Schmelz in Szene.

Schön: Wie sich beim Auftritt des Ensemble Resonanz – einziges Hamburger Gewächs im Festival-Programm – gleich mehrere Kreise schlossen, erzählte Ensemble-Geschäftsführer Tobias Rempe: 1997 hatte man erstmals mit Michael Gordon zusammengearbeitet, dessen Stück „Industry“ für Solo-Cello nun Saerom Park spielte. Zehn Jahre später entstand der Film „Fuel“, in dem der Videokünstler Bill Morrison zum Zweite-Welle-Minimalismus von Julia Wolfe, die ihr Stück „Fuel“ für das Ensemble geschrieben hatte, einen Hafen in New Jersey mit dem in Hamburg verschränkte. 2007 war es auch, dass das Ensemble sozusagen das allererste Elphi-Konzert überhaupt gab: im noch nicht umgebauten Kaispeicher, aus dem später Hamburgs klingende Nussschale werden sollte. Alexander Diehl