Der zurückgezogene Herr Korff

BONNER RESTEWas von der Gemütlichkeit blieb: Jochen Schimmang erzählt vom Leben an verschwundenen Grenzen

Vielleicht ist es ratsam, beim Lesen von Jochen Schimmangs neuem Roman einen seiner älteren daneben liegen zu haben. „Altes Zollhaus, Staatsgrenze West“ (Edition Nautilus 2016, 192 S., 19,90 Euro) nämlich greift einen alten Faden wieder auf: Gregor Korff, der da ich-erzählt, war im Jahr 2009 Protagonist in „Das Beste, was wir hatten“ – ein im West-Berlin der späten 1960er-Jahre Politisierter, der es über den Umweg Universität irgendwann im Bonner Politikbetrieb zu etwas gebracht hat; einer, dem es gut ging, materiell zumindest, wenn auch die alten Ideale ... aber, ach!

Eine Figur also ist dieser Korff, die bei manchem Autor zur Schießbudenfigur geraten wäre: Was wäre wohlfeiler als aus sicherem zeitlichen Abstand über das Scheitern der anderen sich zu mokieren? Das ist der Gestus von F.A.Z.-Feuilletonisten, und so einer ist Schimmang keiner, der stets auch von der eigenen Biografie erzählt.

Korff umgab der heute in Oldenburg lebende Autor damals mit anderen Figuren, deren (Lebens-)Wege noch ein wenig weiter schienen, noch ein wenig absurder vielleicht auch – einen dieser studentenbewegten Zeitgenossen hatte er gar Verfassungsschützer werden lassen. Und Korff nahm er zum Ende damals all die Sicherheit, ja, Behaglichkeit, die wohl auch er selbst mit der alten, der Bonner Republik verbunden hatte: Der einstige Redenschreiber strauchelt infolge einer Affäre mit einer Frau, die sich als Stasi-Mitarbeiterin entpuppt.

Von Bonn aus nach Westen

Ein paar Jahre später treffen wir Korff wieder. Just jene Spionage-Episode seiner Biografie, in einen Roman gegossen, hat ihm späten Wohlstand beschert, und dass er das einträgliche Buch eigentlich gar nicht selbst geschrieben hat, nun, Korff zwickt es nur selten. Aus Bonn ist längst Berlin geworden, politisch. Korff aber ist im Westen geblieben, und das so tief, wie es hierzulande eben geht: In die niederrheinische Provinz hat er sich zurückgezogen, ist für die Leute aus der Gegend irgendwann „der alte Spinner vom Zollhaus“ geworden, und da sitzt er nun. „Sie werden mich nie stören“, lässt Schimmang ihn gleich am Anfang zu einem der seltenen Besucher sagen, denn: „Ich habe nichts zu tun.“

Man ahnt es: Vorbei ist es bald mit dieser Daseinsform, aber zugleich auch nicht. Die diversen Begegnungen Korffs mit Menschen – aus dem nahen Ort, aber auch von jenseits verschwundenen Grenze, aus der eigenen Vergangenheit oder, in Gestalt zweier serbischer Flüchtlingskinder, der großen weiten Hauptnachrichtenwelt – dienen Schimmang zur mitunter beinahe meditativen Erörterung: des Alters, der Einsamkeit, des Hüben und des Drüben. Was machen eigentlich ehemalige Spione? Und worüber genau tröstet es hinweg, wenn im Kinosaal das zweite Mal, diesmal richtig, das Licht ausgeht? ALDI

Di, 11. 4., 19.30 Uhr, Hannover, Literaturhaus; 9. 6., 17 Uhr, Horumersiel, Haus des Gastes; 15. 6., 20 Uhr, Leer, Stadtbibliothek