Mit der Hand den Stoff spüren

Produktion In Dessau erzählt die Bauhaus-Ausstellung „Handwerk wird modern“ von einem programmatischen Konflikt zwischen Handwerk und Industrie

Otti Berger auf dem Hochwebstuhl, Abbildung in der japanischen Zeitschrift „Kokusai Kenchiku“, Tokio 1933 Foto: Bauhaus-Archiv Berlin, © Yamawaki Iwao & Michiko Archives

von Ronald Berg

Das Bauhaus war eine Schule für modernes Produktdesign? Moment mal, so einfach ist das nicht. Am Bauhaus wurde gehämmert, gehobelt, gesägt und gewebt. Kurz: Es wurde solides Handwerk betrieben. Die Studenten in den Werkstätten des Bauhauses – etwa für Metall, Keramik, Glas oder Holz – lernten bei Handwerksmeistern. Hinzu kam ein „Formmeister“ als künstlerischer Pol und als Leiter der jeweiligen Werkstatt. Genau diese Verbindung von Kunst und Handwerk war ja das Neue bei Gründung des Bauhauses. Im Manifest des Bauhauses hieß es 1919: „Wir alle müssen zum Handwerk zurück!“ Schon der Name Bauhaus sollte diese ideelle Gemeinschaft der Handwerker evozieren, wie man sie sich bei den mittelalterlichen Bauhütten vorstellte.

1923 dann die Kehre. Gründungsdirektor Walter Gropius gibt die neue Parole aus: „Kunst und Technik, eine neue Einheit.“ Und nun sollte sich das traditionelle Handwerk im Hinblick auf eine Zusammenarbeit mit der Industrie neu definieren. Der Gestalter, den das Bauhaus ausbilden wollte, sollte zwar das Handwerk beherrschen, aber doch genauso die speziellen Formprozesse der maschinellen Produktion im Blick haben. Er sollte ab jetzt „Modelle“ für die Serienproduktion entwickeln. Beim Umzug von Weimar in die Industriestadt Dessau 1925/26 wird dieser Umschwung in Richtung auf eine geplante Zusammenarbeit mit der Industrie manifest.

Die Sache ist verwickelt

Die Ausstellung „Handwerk wird modern“ im Dessauer Bauhaus-Gebäude versucht diese modernistische Wende darzustellen. Aber die Sache ist verwickelt. Zumal es den Eindruck hat, als würde die einfache Gleichung Handwerk gleich Tradition/Konservatismus/Anachronismus heute nicht mehr greifen.

So überrascht die Ausstellung mit einem räumlich vorgeschalteten Teil, in dem aktuelle Beispiele für eine neue Rolle und andere Bewertung des Handwerks aufscheinen. Da werden PET-Flaschen aus dem Müll unter Zuhilfenahme von traditioneller Flechtarbeit zu Lampenschirmen umfunktioniert, es werden traditionelle Materialien wie Schellack verwendet oder Open-Source-Entwürfe vorgestellt, die jeder seiner lokalen Tischlerei als Vorlage für programmierbare Sägen zur Ausführung geben könnte.

Das Thema Handwerk am Bauhaus findet anstelle der ­ehemaligen Weberei im gläsernen Werkstattflügels des Bauhauses statt – allerdings im Provisorium einer fensterlosen Kiste, in der beständig Klimageräte rattern. Auch das schon ein versteckter, weil nicht thematisierter Hinweis auf die Tücken des architektonischen Handwerks.

Gropius’ ideologischer Modernismus mit seinem verglasten Werkstatttrakt war fürs Arbeiten denkbar schlecht geeignet, da im Winter zu kalt und im Sommer zu heiß. Aber das Thema Architektur kommt in der aktuellen Schau seltsamerweise gar nicht vor. Man konzentriert sich ganz auf die Werkstätten, wie sie unter Gropius eingerichtet wurden. Da gab es noch gar keine Architekturausbildung am Bauhaus, obwohl doch ursprünglich alles auf den „Bau der Zukunft“ hinauslaufen sollte. Die Ausstellung beeindruckt durch das Vorzeigen der Gerätschaften, mit denen die Werkstätten ausgestattet waren.

Altertümliche Webstühle, Maschinen eigentlich, wie sie auch in einer Schlosserei hätten stehen können. Aber damit ist man mitten im Thema. Denn was für die Industrie gedacht war, musste mit vorindustriellen Methoden erstellt werden. Besonders auffällig ist das im Falle der Weberei: Die Leiterin Gunta Stölzl beharrte explizit darauf, dass die programmierbaren Jacquard-Webstühle für das Entwerfen von Mustern nicht geeignet waren. Man wollte mit der Hand den Stoff spüren, um dem Wesen des Textilen nahezukommen.

Diese „Hybridität“ – der Schlüsselbegriff von Ausstellungsmacherin Regina Bittner im lesenswerten Begleitbuch – in der Einheit von Kunst und Technik sorgte aber auch für Konflikte: so zwischen den handwerklich kompetenten Werkmeistern und den Formmeistern. Wobei Letztere als Künstler in der Entlohnung bevorzugt waren.

In den „Objektbiografien“ der Schau kann man übrigens auch erfahren, dass eines der erfolgreichsten Bauhaus-Produkte, die Kandem-Schreibtischlampe von Marianne Brandt aus der Metallwerkstatt, ihrer Schöpferin kaum Erwähnung oder gar Einnahmen einbrachte, während die berühmte Stahlrohr-Sitzmaschine „Wassily“ von Marcel Breuer nicht nur auf seinen Namen patentiert, sondern später auch als Kunstwerk mit eingeprägter Signatur vermarktet wurde. Die Vielzahl solch verwickelter Geschichten aus dem Handwerk am Bauhaus sind nicht auf einen Nenner zu bringen. Das ist wohl der größte ­Neuigkeitswert der Ausstellung und zugleich ihr Fazit.

Bauhaus Dessau, bis 7. Januar 2018. Publikation „Handwerk wird modern“ im Kerber Verlag für 45, im Bauhaus für 35 Euro