Subkultur in Leipzig: Rocken, saufen, raufen

In Leipzig begeht man dieser Tage den 40. Geburtstag eines Phänomens namens Ostpunk. In der DDR wurde es noch mit allen Mitteln unterdrückt.

schwarz-weiß Bild eines männlichen Punks

„Chaos“ nannte sich der junge Mann, der einst in Leipzigs ältester Punkband „Wutanfall“ gerockt hat Foto: Christiane Eisler

Die Geschichte von Punk in der DDR beginnt 1977 mit Fotos der Sex Pistols in geschmuggelten Bravo-Heften. Zumindest fängt sie in Tim Mohrs Buch „Stirb nicht im Warteraum der Zukunft – Die Ostdeutschen Punks und der Fall der Mauer“ damit an. Entlang der Erinnerungen einiger Protagonisten erzählt es von Freiheit und Widerstand in Musik, von Repressionen und Gewalt und von der Bedeutung der Szene, die bis heute nachhallt. „Too much future“ wurde zu einem der Leitsprüche des Punks in der DDR, zum Protest gegen das sozialistische Regime, das den Verlauf jeden Lebens genau vorplante. Punk stand für das Bedürfnis, einen eigenen Weg zu gehen.

In den 1990ern lebte der amerikanische Journalist, Autor und Übersetzer Mohr in Berlin und lernte dort die Szene kennen. Für die über 500 Seiten seines Buches, das im März bei Heyne Hardcore erschien, führte er Dutzende Interviews und wälzte Akten der Stasi. Gemeinsam mit Brezel Göring von Stereo Total las er am Montagabend in der Leipziger naTo einige Kapitel. Im Hintergrund liefen dazu Überwachungsvideos aus dem Jahr 1989. Sie zeigten Punks, die herumstehen, streiten, tanzen, raufen, trinken, torkeln oder sich Huckepack tragen.

Das Honecker-Regime bewertete Punk von Anfang an als „negativ-feindliche Kraft“, „dekadent“, „neofaschistisch und anarchistisch“ und versuchte, die Verbreitung mit allen Mitteln zu unterdrücken. Dennoch entwickelten sich in allen größeren Städten Szenen mit illegalen Bands. In den Kirchen, die kleine, relativ geschützte Räume boten, entstanden Punktreffs. Im Jahr 1983 beschloss Stasiminister Mielke „Härte gegen Punks“ mit dem Ziel, die Jugendgruppen zu zerschlagen. Besonders Bandmitglieder wurden ständig zur „Klärung eines Sachverhalts“ aufs Revier geholt, stundenlang verhört, psychisch unter Druck gesetzt oder körperlich misshandelt. Viele wurden inhaftiert oder des Landes verwiesen. Die Stasi schleuste regelmäßig Inoffizielle Mitarbeiter in Bands ein und brachte selbst zentrale Figuren der Szene zum Spitzeln. Auch in den Geschichten der frühen Leipziger Punkbands Wutanfall, HAU und L’Attentat findet sich all das.

Trotzdem – oder aus Trotz gerade deswegen – wuchs eine zweite Generation Punk. Mitte der 1980er Jahre erhielten die ersten der neuen Bands, darunter Feeling B, eine staatliche Spielerlaubnis, wodurch legale Konzerte und Aufnahmen möglich wurden. Es war ein neuer Versuch, Punk unter Kontrolle zu bringen, denn natürlich mussten alle offiziellen Bands ihre Stücke an die Leitlinien der Zensur anpassen. Längst nicht alle waren zu diesem Kompromiss bereit.

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Tim Mohrs Lesung war der Auftakt einer Veranstaltungsreihe in Leipzig anlässlich 40 Jahren Ostpunks. Heute Abend eröffnet in der Galerie KuB die dreiwöchige Doppelausstellung „Warschauer Punk Pakt“ / „Wutanfall“. Mit Fokus auf die Szene in der DDR, in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei zeichnet sie die Geschichte von Punk im Ostblock bis 1990 nach und kontrastiert sie mit dem blockfreien Sonderfall Jugoslawien. Daneben werden Fotos der Leipziger Fotografin Christiane Eisler gezeigt, die seit 1981 die DDR-Punkszene aus nächster Nähe porträtierte. Zur Finissage treten fünf Ostpunkbands auf – darunter Kretens, eine der ersten Punkbands in Budapest, und Namenlos, Ostberliner Punks der ersten Generation, die ihrer Musik wegen massiv verfolgt wurden und ins Gefängnis kamen.

Die Ausstellung und die Veranstaltungen kuratiert Alexander Pehlemann, der sich wie kaum ein anderer mit Punk im Ostblock auskennt. Er lebt in Connewitz, hat mehrere ­Bücher veröffentlicht und gibt seit 1993 das Magazin Zonic heraus, das detaillierte Berichte über randkulturelle Phänomene des Ostblocks sammelt. Pehlemann lernte Ostpunk über den Sender DT 64, das damalige Jugendprogramm des DDR-Rundfunks, in der ab 1986 ausgestrahlten Sendung „Parocktikum“ kennen. „Das war das Programm für schräge Musik im ­weitesten Sinne“, erklärt er. „Hier ­wurden die illegalen DDR-Tapes gespielt.“ Als Moderator Lutz Schramm so straffrei die Musik der „anderen Bands“ spielen konnte, wagten auch die ersten FDJ-Jugendclubs ähnliche Veranstaltungen, erzählt Pehlemann. „Und da bin ich dann gelandet.“

Im Jahr 1990 begann er in Greifswald Geschichte und Kunstgeschichte zu studieren, knüpfte Kontakte zur Szene in Polen und fing an, Konzerte zu organisieren. „Es war interessant, die Verwirrung zu sehen, die auch in der Subkultur ausbrach, weil sich alle neu orientieren mussten“, beschreibt Pehlemann die Zeit nach der Wende. Was passierte mit Gruppen, die aus Widerstand und Protest entstanden, als mit dem Systemzusammenbruch ihr Gegner plötzlich verschwand?

„Ein oft schon vorgezeichneter Weg für manche Punks war auch, nach der Wende konsequent immer weiter nach rechts zu drallen – sich also nicht mehr nur gegen den Realsozialismus oder Kommunismus zu wenden, sondern im Grunde gegen jegliche liberalen Projekte“, skizziert Pehlemann. „Da haben sogar Bands, die ich sehr mochte, dann plötzlich so einen konservativen Drive gekriegt – die polnische Punkband Armia ist heute zum Beispiel recht offensiv katholisch.“ Bis Mitte der Neunziger lösten sich viele Bands auf oder erfanden sich musikalisch neu – aus den Ostberliner Gruppen Die Firma und Feeling B etwa erwuchs Rammstein.

Die Grenzen künstlerischer Freiheit waren in den einzelnen Ländern des Ostblocks zu verschiedenen Zeitpunkten sehr unterschiedlich weit gesteckt. Beim jährlichen Festival im polnischen Jarocin etwa traten seit 1980 auch Punkbands auf. In Ungarn konnten schon 1983 einige schräge Gruppen wie Bikini oder A. E. Bizottság (Albert Einstein Komitee) auf den staatlichen Labels Alben veröffentlichen. „Diese Platten gab’s in der DDR im ungarischen Kulturzentrum“, erinnert sich Pehlemann. Solche raren Berührungspunkte der verschiedenen Punkszenen sind ihm auch für die Ausstellung besonders wichtig. Vorsichtig nimmt er eine Kassettenbeilage aus einer großen Sammelmappe, eine schwarz-weiß kopierte Collage aus Bandfotos, handgeschriebenen Texten und Titeln. „Hier hat Die Firma die Bandhymne von Armia auf Deutsch und Englisch gecovert.“

Die von Pehlemann kuratierten Veranstaltungen sind auch Teil des Bemühens, die Geschichte des Ostpunks aufzuarbeiten. „Man muss in die Widersprüche rein, um zumindest eine Ahnung zu bekommen, wie sich das dargestellt hat“, sagt Pehlemann. Viele „gezüchtete politische Mythen“ und Vereinfachungen sind bei näherer Betrachtung falsch oder zumindest nicht allgemeingültig. Etwa die geläufige Gleichsetzung von Subkultur in der DDR mit Widerstand, der als Forderung nach einem kapitalistischen Systemwandel begriffen wird.

„Punk an sich ist zelebrierter Widerspruch, gegen das System und in sich“, erklärt Pehlemann. Darin liegt seine subversive Sprengkraft. „Es ist dieses Prinzip, die Dinge einfach mal gegen die Wand und dann in einen Topf zu werfen, zu rühren und zu gucken, was dabei herauskommt. Natürlich kann man das nicht immer machen wie am Anfang, als Punks zum Beispiel Nazisymbolik und Karl Marx zusammenschmissen. Aber es braucht Radikalität, um Dinge aufzubrechen. Das fordert irgendwie auch permanente Dialektik.“

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