Kolumne Gott und die Welt: Scheu vor der historischen Wahrheit

Die Stiftung der GEW ist nach Max Traeger benannt. Er steht beispielhaft für die vielen Lehrer, die sich dem Nationalsozialismus andienten.

Auch der Nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB) war auf der Linie des NS. Hier bemüht sich Hitler um die deutsche Jugend, 1934 Foto: imago/Sepp Spiegl

Keine politische Kraft wird gegenwärtig stärker gebraucht als die Gewerkschaften. Wenn überhaupt, so sind sie in der Lage, rassistischen und fremdenfeindlichen Stimmungen erfolgreich Paroli zu bieten. Eine besondere Rolle kommt dabei jenen Gewerkschaften zu, die im Bereich von Pflege, Erziehung und Bildung tätig sind: Verdi sowie der GEW, also der 1948 gegründeten Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die sich selbst als Bildungsgewerkschaft bezeichnet und für Chancengleichheit, Mitbestimmung, soziale Sicherheit sowie für Demokratie kämpfen will.

Indes: Auch diese Gewerkschaft erweist sich als eine „ganz normale Organisation“ (Stefan Kühl), als ein Verband, dem es vor allem auf Selbsterhaltung ankommt sowie darauf, dass alles so bleibt, wie es immer schon war. Damit aber droht ausgerechnet eine Organisation, der es doch um eine emphatisch verstandene „Aufklärung“ gehen sollte, zu einer Vorkämpferin der Gegenaufklärung zu werden.

Leser der taz haben den Vorgang verfolgt: Im November vergangenen Jahres forderte die Nachwuchsorganisation der GEW, der Bundesausschuss der Studentinnen und Studenten der GEW (BASS), unterstützt von Wissenschaftlern wie dem Frankfurter Professor Ortmeyer, die gewerkschaftseigene Max-Traeger-Stiftung umzubenennen, da Traeger kein Vorbild sein könne.

Tatsächlich war Max Traeger (1887–1960), was die Gründung der GEW in Hamburg betraf, ein „Mann der ersten Stunde“. Freilich: Bei Kriegsende 1945 deutlich älter als fünfzig Jahre, war Traeger vor 1930 als Bürgerschaftsabgeordneter zunächst Mitglied der liberalen Deutschen Demokratischen Partei, um 1930 einer Partei beizutreten, die sich zwar mit dem hochseriös klingenden Namen Deutsche Staatspartei schmückte, jedoch nichts anderes als eine rechtsradikale Splitterpartei war.

Rechtsradikale Splitterpartei

Die von ihr tatsächlich vertretenen Ziele sprachen dem seriös anspruchsvollen Namen Hohn – in Wikipedia lässt sich das nachlesen: „Im Jahr 1930 vereinigte sich die DDP mit der Volksnationalen Reichsvereinigung zunächst für die Reichstagswahl zur Deutschen Staatspartei. Das brachte heftige Konflikte innerhalb der Partei mit sich, denn es handelte sich um den politischen Arm des konservativ-antisemitischen ‚Jungdeutschen Ordens‘ von Artur Mahraun. Nach dieser Fusion traten viele Mitglieder des linken Flügels … aus der Partei aus …“

Das Mindeste, was von einer „Bildungsgewerkschaft“ zu erwarten wäre, ist, dass sie die historische Wahrheit weder verschweigt noch beschönigt.

Nun ist eine Kolumne nicht der Ort, die Innenpolitik der Weimarer Republik zu erörtern, daher zurück zur Gegenwart. Die Biografie Max Traegers, der 1933 freiwillig (!!!) dem nationalsozialistischen Lehrerbund beitrat, steht beispielhaft für den Sachverhalt, dass sich viele Lehrer der verendenden Weimarer Republik freiwillig dem Nationalsozialismus andienten, um nach der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands – durchaus verständlich – einen Weg in die neue Bundesrepublik zu suchen.

So kann es auch nicht darum gehen, einen Mann wie Traeger aus der bequemen Position Spätgeborener zu verurteilen; das Mindeste aber, was von einer „Bildungsgewerkschaft“ wie der GEW zu erwarten wäre, ist, dass sie die historische Wahrheit weder verschweigt noch beschönigt. Das aber tut sie mit einer herumgereichten biografischen Skizze Max Traegers aus der Feder des ehemaligen Hamburger GEW-Vorsitzenden Hans-Peter de Lorent, der in gelegentlichen Skatrunden Traegers mit anderen Mitgliedern der von den Nationalsozialisten verbotenen faschistischen Partei „Widerstand“ erkennen will und zu einem „Untergrundvorstand“ verklärt.

Muss man also die GEW und ihren Bundesvorstand tatsächlich daran erinnern, dass es gegenwärtig, in einer Zeit, in der ein Björn Höcke und mit ihm die AfD eine Umdeutung der deutschen Geschichte fordern, nicht darauf ankommen kann, mehr noch: nicht darauf ankommen darf, irgendwelchen schon immer verlogenen Traditionen treu zu bleiben, sondern einzig darum, historische Einsicht und Urteilskraft, also „Aufklärung“ zu fördern. Auch und zumal dann, wenn das lieb gewordenen Traditionen zuwiderläuft.

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