Prekäre Beschäftigung bei der SPD: Im öffentlichen Unsicherheits-Dienst

Die Anzahl der befristet Beschäftigten in den Bundesministerien steigt. Gerade die SPD-geführten Häuser tun sich in dieser Hinsicht hervor.

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig steht mit mehreren Personen vor einer Betonwand

Im Familienministerium lag der Anteil von Befristungen aller Neuverträge 2016 bei knapp 90 Prozent Foto: dpa

BERLIN taz | Saskia Schwarz verliert langsam die Hoffnung. Die junge Frau arbeitet im Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa), einer nachgeordneten Behörde des Bundeswirtschaftsministeriums. Es habe mal geheißen, der öffentliche Dienst sei ein sicherer Arbeitgeber, sagt Schwarz. „Das scheint sich geändert zu haben.“ Ihr Name ist ebenfalls geändert, sie möchte nicht mit ihrem Klarnamen in der Zeitung auftauchen.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz setzt im Wahlkampf auf soziale Gerechtigkeit und will etwa die sachgrundlose Befristung abschaffen. Die erlaubt es, Menschen auf Zeit anzustellen, ohne dass Sachgründe, wie eine Schwangerschaftsvertretung, vorliegen. „Nur sichere Arbeit macht es möglich, die eigene Zukunft planen zu können“, so die SPD auf ihrer Homepage.

Eine Anfrage der Linkspartei zu befristeten Arbeitsverhältnissen ergab jedoch im Februar, dass der öffentliche Dienst mit schlechtem Beispiel vorangeht. So hat sich die Zahl der befristet Beschäftigten in den Bundesministerien und im Kanzleramt zwischen 2007 und 2015 verdreifacht. 80 Prozent aller Befristungen erfolgen dabei ohne Sachgrund.

„Ich kann den Versprechen der Politiker nicht mehr glauben“, sagt Schwarz. Nach dem Ende ihrer Ausbildung im Bafa im vergangenen Jahr erhielt die 23-Jährige einen Anschlussvertrag – sachgrundlos auf ein Jahr befristet. Im Juli endet Schwarz’ Beschäftigungsverhältnis. Bereits vor einem Monat erinnerte der Personalrat sie daran, dass sie sich entweder eine neue Stelle in einer externen Behörde suchen oder sich arbeitslos melden sollte. Obwohl sie zu den Jahrgangsbesten ihres Ausbildungsjahrgangs gehört. Ihre Kollegin, die mit ihr anfing, habe die Behörde bereits verlassen: „Sie sah keine Perspektive.“

Als befristet Beschäftigte ist Saskia Schwarz im Bundeswirtschaftsministerium keine Ausnahme. Über 80 Prozent aller Neueinstellungen im SPD-geführten Bundeswirtschaftsministerium und dessen nachgeordneten Behörden waren 2016 befristet – davon über 50 Prozent sachgrundlos.

„Befristeritis“ im öffentlichen Dienst

Thomas Brandl arbeitet ebenfalls befristet beim Bafa in Eschweiler. Der 40-Jährige will seinen echten Namen ebenfalls nicht in der Zeitung lesen. Brandl berichtet, dass Befristung gängige Praxis sei. Bis auf den Chef und den Teamleiter arbeiteten alle 40 Mitarbeiter in Brandls Abteilung auf Zeit. „Man kann nichts planen – wir hängen praktisch in der Luft!“, sagt Brandl.

Ein Sprecher des Bafa sagt der taz, dass nur knapp 20 Prozent der Angestellten auf Zeit arbeiten. Grund dafür wäre hauptsächlich der „vorübergehende Bedarf an Arbeitsleistungen der Mitarbeiter“. Das übergeordnete Bundeswirtschaftsministerium schreibt auf Anfrage, Hauptgrund für Befristungen sei die „Erbprobung vor Beamtung auf Lebenszeit“. Außerdem bilde das BMWi über Bedarf aus und könne nicht alle Auszubildenden übernehmen.

Tjark Menssen vom Deutschen Gewerkschaftsbund kritisiert, dass vor allem im öffentlichen Dienst eine „Befristeritis“ herrsche. Derzeit könnten Arbeitgeber Beschäftigungsverhältnisse auf zwei Jahre befristen – ohne eine Begründung dafür angeben zu müssen.

Im SPD-geführten Familienministerium (BMFSFJ) von Manuela Schwesig lag der Anteil von Befristungen an allen Neuverträgen 2016 sogar bei knapp 90 Prozent. Eine Sprecherin sagte der taz, dass sich ein Großteil der befristeten Stellen durch den erhöhten Arbeitsaufwand in Folge des Flüchtlingszuzugs 2015 ergaben. Dennoch sei das „ausdrückliche Ziel“ des BMFSFJ, „dass befristete Beschäftigungsverhältnisse die Ausnahme sein müssen“.

Anders als in der Privatwirtschaft kann der öffentliche Dienst Angestellte mit immer neuen befristeten Verträgen verlängern, wenn sie aus Haushaltsmitteln vergütet werden, die extra für eine befristete Beschäftigung vorgesehen sind. „Deswegen fordern wir nicht nur die ersatzlose Streichung der sachgrundlosen Befristung, sondern auch die Streichung des Sachgrunds ‚Zweckbindung von Haushaltsmittelbefristung‘“, sagt Jutta Krellmann, die gewerkschaftspolitische Sprecherin der Linkspartei.

Mit gutem Beispiel vorangehen

Die SPD-Zentrale im Willy-Brandt-Haus lässt die taz wissen, dass man zwar für eine „wasserdichte“ Abschaffung der sachgrundlosen Befristung werbe, denn der öffentliche Arbeitgeber müsse schließlich mit gutem Beispiel vorangehen. „Aber auch künftig müssen Befristungen möglich sein, wenn etwa Beschäftigte in Elternzeit vertreten werden oder Auszubildende erst mal übernommen werden, obwohl keine Planstelle frei ist“, so eine Sprecherin.

Saskia Schwarz hat sich derweil auf alle Stellen im öffent­lichen Dienst im Umkreis von 30 Kilometern beworben. Auf ihre 25 Bewerbungen hat sie bisher noch keine einzige Rück­meldung bekommen. Schwarz ist verzweifelt. Sie und ihr Mann wollten doch Kinder. Den Kinderwunsch habe sie erst einmal nach hinten verschoben. „Den will ich erst realisieren, sobald ich eine Festanstellung habe.“

Aktuell arbeitet die SPD an ihrem Wahlprogramm. Man darf gespannt sein, ob die SozialdemokratInnen es schaffen werden, Menschen wie Saskia Schwarz und Matthias Brandl, in die „hart arbeitende Mitte“ zu befördern oder nur in den nächsten Fristvertrag.

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