Festival in der Elfenbeinküste: Klapperschlangen und Tränengas

Beim größten afrikanischen Musikfestival ringt der Kontinent um seine Zukunft. Präsentiert wird zeitgemäße Popmusik.

Eine Band aus fünf Männern auf einer Bühne

Die Rapper von Kif No Beat beim Festival FEMUA in Abidjan Foto: Seibou Traore

ABIDJAN taz | Das Crescendo der Hupen, das ausladende Gestikulieren der Fahrer in Taxis, Minibussen und Lastwagen: Stillstand? Niemals, es ist Druck auf dem Kessel, und es ist 35 Grad heiß – bei hoher Luftfeuchtigkeit. Schon am Straßenverkehr in Abidjan, mit rund 4,5 Millionen Einwohnern größte Stadt von Côte d’Ivoire, Drehkreuz des frankophonen Westafrikas und eine der Metropolen auf dem Kontinent, ist ein Zustand bemerkbar, den der Philosoph Achille Mbembe in seinem gleichnamigen Essay als „Afropolitanismus“ beschrieben hat. Ein eigener, geschäftstüchtiger Lebensstil, eine kosmopolitische Ästhetik, „ein In-der-Welt-Sein, das aus Prinzip jegliche Form der Opferidentität ablehnt“. Auf den irren Verkehr bezogen, lässt es sich robust auslegen: Ich will vorwärtskommen.

Aller Reisevorbereitungen zum Trotz, Abidjan und das Musikfestival FEMUA aus der Nähe zu erleben, dafür reicht keine Lektüre in der Komfortzone aus. Zu einfach wird es einem eh nicht gemacht, das Interesse an Côte d’Ivoire in Deutschland ist schwach.

FEMUA steht für „Festival Des Musiques Urbaines d’Anoumabo“. Anoumabo heißt ein Viertel außerhalb der Innenstadt Plateau und abseits des Viertels Cocody, in dem sich Botschaften, noble Hotels und die Universität befinden. Anoumabo liegt auf einer der Inseln in der Lagune Ebrie, die Abidjan umgibt. Hier leben geschätzt 200.000 Menschen in Wellblechhütten und Rohbauten. Nebenstraßen sind Feldwege, es gibt keine Kanalisation, aber es gibt Salif Traore, den alle A’Salvo nennen, Teil der Band Magic System und Organisator von FEMUA. Es findet 2017 zum zehnten Mal statt.

A’Salvo ist in Anoumabo geboren, mit dem Festival hat er eine Bildungsoffensive gestartet, um seinem Viertel zu Aufmerksamkeit zu verhelfen. Ein Mann mit Verbindungen, der ohne Hilfsorganisationen etwas vollbracht hat, was vor ihm noch keiner in Anoumabo geschafft hat. „Ich unterstütze die Kinder“, sagt er der taz, „ich will, dass sie durch Musik ein besseres Leben haben.“ Bis jetzt wurden mit seiner Hilfe neun Schulen im Viertel errichtet, 20 sollen es werden. Durch das Festival wird Geld ins Viertel gespült.

Florierender Arbeitsmarkt statt sinkenden Renten

Der Eintritt ist frei, Sponsoren und Medienpartner leisten logistische Unterstützung, wie das französische Kulturinstitut Institut Français, in dem ausgewählte Künstler für ein gesetzteres Publikum Zusatzkonzerte geben, und der französische Radiosender RFI, der FEMUA-Sondersendungen ins Programm genommen hat. Zudem werden die Konzerte im ivorischen TV übertragen, Millionen Zuschauer sind live dabei. Aus Burkina Faso, Kamerun, den USA und Europa sind Journalisten angereist. Man lernt Biografien kennen, die dem entsprechen, was Achille Mbembe in „Afropolitanismus“ gefordert hat: dass Afrika auch über die Verbindung mit der Diaspora, die im Ausland lebt, die kulturelle Kreativität neu belebt.

FEMUA ist ein staatstragendes Event, sieben Minister sprechen anlässlich der „Ceremonie D’Ouverture“, Entwicklungsministerin Ann-Désirée Ouloto zitiert Oscar Wilde und seine Liebe zur Musik, aber mahnt auch, dass die Ergebnisse der Klimakonferenz von Paris endlich auf dem Kontinent zur Kenntnis genommen werden. „L’Afrique, face au défi du réchauffement climatique“ ist das Motto dieser FEMUA-Ausgabe. Angesichts von Kloaken, Smog und nachhaltiger Energiewirtschaft: Abidjan und Côte d’Ivoire müssen sich dem dringend stellen.

In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wird gewählt. Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) sind die Hoffnungsträger ihrer Parteien. Wer kann liberale Wähler überzeugen? In der taz.am wochenende vom 6./7. Mai beschäftigen wir uns mit einem neuen Liberalismus. Außerdem: Männer, die ältere Partnerinnen haben. Wie liebt es sich mit dem Tabu? Und: Patricia Purtschert ist Gender- und Kolonialismusforscherin. Warum sie ihrer Tochter trotzdem Pippi Langstrumpf vorliest. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Es würde den Kindern von Anoumabo helfen. Zu Hunderten sind sie gekommen. Nachmittags, vor Konzertbeginn, nehmen sie den Parcours mit Hüpfburgen und Do-it-Youself Workstationen in Beschlag. Stoffreste und Plastikflaschen werden zu Skulpturen umgemodelt. An einem Infostand wird auf die Kampagne gegen häusliche Gewalt hingewiesen. Das Begleitprogramm wirkt glaubwürdiger als bei vergleichbaren Festivals in Europa. Auch weil für junge Erwachsene zeitgleich eine Jobmesse stattfindet. In einem Land, in dem fast die Hälfte der Bevölkerung unter 20 Jahre ist und nur 4 Prozent älter als 64, ist die Angst vor sinkenden Renten kein Thema, ein florierender Arbeitsmarkt dagegen ein Dauerbrenner.

Bei der Jugend in Côte d’Ivoire sind Zouglou und Coupe Décalé-Künstler angesagt, ihre Uptempo-Dance-Songs laufen in den Autoradios, poppen auf Bildschirmen auf, lärmen aus Smartphones. Nachmittags absolvieren einige Künstler kurze Playback-Auftritte, Kinder und Jugendliche hüpfen und singen mit. Zouglou entstand als Protestmusik von Studenten, die trotz Abschluss keine Jobs fanden. Beim Zouglou-Duo TNT steckt die deklamatorische Energie in jeder Bewegung, ihr Jump-up-Style hat im karibischen Reggaeton einen entfernten Verwandten, die Beats sind uptempo, dazu wird die Gitarre als Leadinstrument eingesetzt, der Gesang ist ein Mix aus Französisch, Englisch und einheimischen Dialekten. Bald bekommen athletische TänzerInnen den Vortritt. Sie performen Lékiké, eine Art Capoeira mit Breakdance-Elementen in Überschallgeschwindigkeit. Gefeiert wird auch der Coupe Décalé Künstler DJ Kerozen: „I’m a Rockstar“, singt er, ein Kora-­Sample scheppert dazu aus den Boxen.

Die Zukunft ist so schnell, dass für Gesichte kein Platz ist

Dass das Museum für Zivilisation und seine Sammlung von Musikinstrumenten wegen Renovierung bis auf Weiteres geschlossen ist, ist sinnbildlich. Die Zukunft drängt so sehr, dass für Geschichte momentan kein Platz bleibt. Schon in den Siebzigern war Abidjan Zentrum der Musikindustrie, Künstler aus Mali kamen hierher, um in den Aufnahmestudios Alben einzuspielen. Auch Salif Keita, „le Rossignol“, die Nachtigall, zog damals aus Bamako in die Lagunenstadt, als er es sich mit den Machthabern in der Heimat verscherzt hatte. Der heute in Paris lebende Albino ist einer der Stars des FEMUA. Spät nachts tigert er auf die Bühne, und sofort haben Keita – eine Mischung aus Buddha und Ampelmännchen – und seine sechsköpfige Band die rund 40.000 Zuschauer für sich eingenommen.

Das liegt zum einen an seiner knabenhaften Stimme, Gesangsharmonien klingen durch sie wie Girlanden, die sich im Wind drehen. Zum anderen performt seine Band routiniert von Kora bis Rhythmussektion. Unten vor der Bühne schlägt die Stimmung mitunter in Gewalt um, weil immer mehr Zuschauer von hinten drängen und die an den Absperrgittern vorne Stehenden quetschen. Polizisten setzen Schlagstöcke und Tränengas ein, was nicht für Entspannung sorgt. Keita singt regungslos weiter. An diesem Abend spielt er vor allem Hits. Auf seinem Hemd sind die Umrisse des afrikanischen Kontinents gestickt, trotzdem wirkt Keitas Panafrikanismus ein wenig aus der Zeit gefallen, nativistisch nationalistische Ideologien haben ihn längst abgelöst, auch im Westen Afrikas.

In Überschall­geschwindigkeit: Athletische Tän­zerInnen bekom­men den Vortritt. Sie performen Lékiké, Capoeira mit Breakdance­-Elementen

Nach den Unruhen, die ausbrachen, als Expräsident Ggabo 2011 festgenommen und außer Landes gebracht wurde, gilt Côte d’Ivoire heute als stabil. Es sei Nachkriegszeit heißt es, in der sich die Menschen einfach vergnügen wollen. Viel Militär und Polizei ist auf den Straßen unterwegs, vor allen Hotels sind Poller platziert, Gäste müssen Sicherheitschecks passieren. Im März 2016 gab es im Badeort Grande Bassam einen islamistischen Terroranschlag, bei dem Henrike Grohs, die Leiterin des Goethe-Instituts Abidjan getötet wurde. Ihr zu Ehren wird es an ihrem Geburtstag im Juni in Abidjan eine Gedenkveranstaltung geben.

Auch beim FEMUA-Festival gibt es starke Sicherheitsvorkehrungen, trotzdem wird es am Ende haarig. Am letzten Abend ist HipHop aufgeboten in Gestalt des neuen Pariser Rapstars Black M und der Lokalmatadoren Kif No Beat. Das achtköpfige Kollektiv besticht durch die Bühnenshow, die Rapper wechseln sich in Rollenspielen ab und tanzen geschmeidig zu amtlichen Trapbeats, die wie Klapperschlangen rasseln. Irgendwann setzt das Testosteron unten vor der Bühne wieder Gewalt frei.

Wieder Schlagstöcke und Tränengas, diesmal gibt es gibt Verletzte. Das Konzert wird unterbrochen. A’Salvo kommt auf die Bühne, appelliert an die Leute. Dann verständigt er den Innenminister, der gegen 1 Uhr nachts mit Polizeiverstärkung anrückt. Seine Anwesenheit auf der Ehrentribüne beruhigt die Zuschauer. A’Salvo ist selbstkritisch, nächstes Jahr will er mehr Künstlerinnen aufbieten. FEMUA braucht zudem mehr Platz. Dann bleibt es hoffentlich friedlich, und vielleicht wagen sich irgendwann auch europäische Festivalfans nach Abidjan.

Die Recherche wurde durch FEMUA unterstützt.

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