Neues Grundsatz-Dokument: Die Hamas gibt sich versöhnlicher

Die Hamas hat eine neue Charta vorgestellt. Darin signalisiert sie Bereitschaft, eine Zwei-Staaten-Lösung in Nahost zu unterstützten.

Chalid Mischal gestikuliert vor mehreren Mikrofonen

Stellte die neue Charta am Montag vor: Hamas-Führer Chalid Mischal in Doha, Katar Foto: reuters

JERUSALEM taz | Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hat sich die Hamas offiziell zur Gründung eines Staates Palästina allein in den von Israel besetzten Gebieten bereit erklärt. Als „Formel des nationalen Konsens“ betrachten die palästinensischen Islamisten fortan die Gründung eines Palästinenserstaates im Gazastreifen und im Westjordanland, wie es in ihrer neuen, am Montagabend veröffentlichten Charta (PDF) heißt. In dem Papier entfällt die in der Gründungs-Charta von 1988 ausdrücklich formulierte Forderung nach einer Vernichtung Israels.

Voraussetzungen seien ein „komplett souveräner und unabhängiger“ Staat mit der Hauptstadt Jerusalem und die Rückführung der palästinensischen Flüchtlinge „in ihre Häuser“.

Die signalisierte Bereitschaft zu zwei Staaten ist ein entscheidender Schritt der Hamas. Damit nähert sie sich der PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation) an, die bereits im November 1988 Israel anerkannte und damit Grundvoraussetzungen für Friedensverhandlungen schaffte.

Die Frage nach zwei Staaten war ein zentraler ideologischer Streitpunkt zwischen der Hamas und der Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Die Hamas hatte bislang an einem Krieg um das ganze Land festgehalten.

Die Muslimbrüder kommen nicht mehr vor

Dass die Islamisten von ihrem seit dreißig Jahren propagierten Ziel nun abrücken, ist auf die Initiative von Pragmatikern zurückzuführen, die mit dem Aufbrechen alter Tabus ihre politische Karriere riskieren. Für die neue Charta waren Konsensentscheidungen nötig. Auch der militante Flügel musste der Abkehr vom Weg der Gründungsväter zustimmen.

Die Entscheidung, ausgerechnet jetzt mit der neuen Charta an die Öffentlichkeit zu gehen, stehe, so zitiert die israelische Tageszeitung Haaretz einen „Hamas-Informanten“, in Zusammenhang mit US-Präsident Donald Trumps Bemühungen um einen Neustart direkter Friedensverhandlungen sowie der USA-Reise von Abbas. Der Palästinenserpräsident wird am Mittwoch im Weißen Haus erwartet.

Khalid Amayreh, Intellektueller

„Die Hamas war in der Defensive.“

Nach Ansicht des Hamas-nahen Intellektuellen Khalid Amayreh „gehörte die Original-Charta einer anderen Ära an“. Die „schroffen“ Formulierungen gegen Nichtmuslime hätten zu Widerstand geführt. „Die Hamas war in der Defensive. Israel beschimpfte sie, antisemitisch zu sein.“ Die neue Charta müsse nun „von der arabischen Welt, allen voran von Ägypten und Saudi-Arabien anerkannt werden“, fordert Amayreh.

Ein deutliches Signal an die Regierung in Kairo ist die Distanzierung der Hamas von der ägyptischen Muslimbruderschaft, die in dem Dokument nicht mehr erwähnt wird. Das neue Programm hält fest, dass die Hamas „eine palästinensische, islamische, nationale Befreiungs- und Widerstandsbewegung“ ist.

Amayreh hofft zudem, dass die veränderte Charta den Weg zur innerpalästinensischen Versöhnung ebnen wird. „Die Hamas nähert sich dem Mainstream. Das Volk befürwortet das.“

Seit zehn Jahren sind die Palästinenser gespalten. Die Hamas kontrolliert den Gazastreifen, die Fatah das Westjordanland. Der ideologische Streit war anfänglich Basis für die Spaltung. Was eine Versöhnung erschwert, ist heute vor allem der Kampf um Macht und Geld.

In den vergangenen Wochen hat sich der Konflikt zugespitzt, da die Fatah-Führung in Ramallah höhere Steuern für Treibstoff verlangte und nur noch bedingt für Stromkosten im Gazastreifen aufkam. Die Menschen im Gazastreifen haben nur noch wenige Stunden täglich Strom.

„Kein Krieg gegen die Juden“

Zwar hält die neue Hamas-Charta grundsätzlich am „legitimen Recht“ der Palästinenser fest, „die Besatzung mit allen Mitteln und Methoden zu bekämpfen“, auch in Form des bewaffneten Widerstandes. Die Zionisten werden als „rassistisch, unmenschlich und kolonialistisch“ bezeichnet.

Nichtsdestotrotz ist das neue Dokument erkennbar versöhnlicher, wenn es betont, dass die Hamas „keinen Krieg gegen die Juden“ und ihre Religion führt. „Wir sind bereit, mit jedem zusammenzuarbeiten, der uns helfen kann“, sagte Khalid Mischal, derzeit noch Chef des Hamas-Politbüros, während einer Pressekonferenz in Doha, auf der er am Montag die neue Charta vorstellte.

Nur mit Israel wollen die Islamisten unverändert nicht verhandeln. Israel hatte, gefolgt von den USA und mehreren EU-Staaten, nach dem Wahlsieg der Hamas Anfang 2006 drei Forderungen an die Islamisten gestellt: die Anerkennung Israels, die Anerkennung der bislang von der PLO unterzeichneten Friedensregelungen sowie die Abkehr von der Gewalt. Die neue Charta erfüllt keine der Bedingungen.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu reagierte skeptisch und nannte die Charta einen „Deckmantel“. Sein Sprecher David Keyes kommentierte: „Die Hamas versucht, die Welt zum Narren zu halten, aber das wird ihr nicht gelingen.“ Die „wahre Hamas“ grabe Tunnel vom Gazastreifen nach Israel und „hat tausende Raketen auf israelische Zivilisten abgeschossen“.

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