Forschungsbetrug in Schweden: Erfundene Experimente

Ein schwedisches Forscher-Duo hat bei Fischversuchen mit Mikroplastik gemogelt. Die Uni versuchte, die Geschichte unter den Teppich zu kehren.

Flussbarsche (Perca fluviatilis)

Flussbarsche: die angeblichen Versuchsobjekte der schwedischen ForscherInnen Foto: imago/imagebroker

STOCKHOLM taz | Es ist ein „sehr ernster Fall“, sagt Jörgen Svidén, „der nicht nur dem Vertrauen in diese Studie schwer schadet“. Svidén ist Kanzleichef des „Centrala etikprövningsnämnden (CEPN)“, dem schwedischen Gremium, das sich mit Fragen möglicher Unehrlichkeit in der Forschung beschäftigt. Und deren Votum ist vernichtend: Ja, es müsse von „wissenschaftlicher Unredlichkeit“ ausgegangen werden und es bestehe der Verdacht, dass die fraglichen Forschungsarbeiten so wie sie dargestellt werden, überhaupt nicht stattgefunden hätten.

Ein schwerer Vorwurf, der sich auf einen international vielbeachteten Artikel – auch die taz berichtete seinerzeit – in der Wissenschaftszeitschrift Science bezieht. Und den diese vergangene Woche aufgrund der CEPN-Stellungnahme zurückzog. Es ging um Forschungen an Fischlarven, über die die Marinebiologin Oona Lönnstedt und der Limnologie-Professor Peter Eklöf vom Ökologie-Institut an der Universität Uppsala berichtet hatten.

Bei Flussbarscheiern, die in Aquarien einer Konzentration von Mikroplastik ausgesetzt worden seien, wie sie teilweise auch in der Ostsee vorkomme, habe sich die Schlüpfrate gegenüber mikroplastikfreiem Wasser um 15 von 96 auf 81 Prozent vermindert. Auch sei beobachtet worden, dass Fischlarven offenbar bei der Nahrungsaufnahme Mikroplastik dem Zooplankton, ihrer natürlichen Ernährung, vorziehen würden. Was nicht nur negativen Einfluss auf ihr Wachstum habe, sondern auch ihr Verhalten beeinflusse: Sie würden so eine leichtere Beute für Raubfische.

Oder wie Lönnstedt die Studie gegenüber BBC-News zusammenfasste: Die Fische werden „kleiner, langsamer und dümmer“. Dass sie trotz Zugang zu Zooplankton Mikroplastik vorzogen, verglich sie mit Jugendlichen, die „ungesundes Fast-Food in sich hineinstopfen“. Die Lönnstedt-Eklöf-Forschung sei deshalb so bedeutsam, weil nun wissenschaftlich nachgewiesen worden sei, welche konkreten Schadenswirkungen Mikroplastik bei Fischen habe, rühmte damals beispielsweise der Ozeanograph und Klimaforscher Erik Van Sebille vom Imperial College London die Arbeit: „Eine wichtige Studie.“

Einem Reporter des schwedischen Rundfunks hatte Lönnstedt schon Anfang Mai 2015 erzählt, ihre Experimente hätten jetzt zumindest „eine teilweise Erklärung“ dafür geliefert, warum der Bestand an küstennahen Fischarten in der Ostsee immer mehr zurückgehe. Die Fischlarven-Studien hätten Mikroplastik als Quelle dieses Übels enthüllt: Das könne noch unüberschaubare Konsequenzen für viele Fischpopulationen und das gesamte Wasserökosystem haben. Von den Konsequenzen, die dieses Interview für sie selbst haben sollte, ahnte die Forscherin damals noch nichts.

Ort und Zeit konnten nicht stimmen

Ausgelöst worden war der Verdacht eines möglichen Forschungsschwindels aufgrund von Zweifeln über Ort und Zeit der von ihr und Eklöf behaupteten Experimente. Diese sollten im Mai 2015 in der Forschungsstation Ar auf der schwedischen Ostseeinsel Gotland erfolgt sein. Doch das stellten sieben ForscherInnen in einem Schreiben, das Mitte Juni 2016, schon zwei Wochen nach Erscheinen des Science-Artikels an die Universität Uppsala geschickt wurde, in Frage.

Die Fischlarven-­Studien hätten Mikroplastik als Quelle dieses Übels enthüllt

Zwei von ihnen hatten sich im fraglichen Zeitraum nämlich ebenfalls dort aufgehalten und bezeugten, Eklöf sei niemals, Lönnstedt nur 11 Tage und das auch noch mit viertägiger Unterbrechung anwesend gewesen. Die angeblich drei Wochen dauernden Experimente könne sie also schon deshalb überhaupt nicht vorgenommen haben. Außerdem habe es in Ar keinen Zugang zu einem Teil des in Science beschriebenen Materials gegeben. Einzelne der behaupteten Resultate seien „praktisch unmöglich“.

Merkwürdig sei auch, dass Lönnstedt schon am Tag ihrer Ankunft auf Gotland dem Rundfunk vom vermeintlichen Ergebnis der gerade doch erst begonnenen Forschungen erzählen konnte.

Vor dem schwedischen Ethikgremium konnten Lönnstedt und Eklöf die Zweifel nicht ausräumen. Der Abschlussbericht wirft ihnen vor, Fragen „nicht überzeugend, teilweise nur widersprüchlich“ beantwortet zu haben. Obwohl man ihnen monatelang ausreichend Gelegenheit gegeben habe, Unklarheiten zu beseitigen, sei ihnen das nicht gelungen. Und wie es der dumme Zufall so will, war laut Lönnstedt auch noch ihr Laptop mit allen Forschungsdaten 10 Tage nach Veröffentlichung der Science-Publikation gestohlen worden. Aus einem nicht verschlossenen Auto. Ein Back-up dieser Daten auf den Server der Uni Uppsala war nicht gemacht worden.

CEPN konnten deshalb keinerlei Originaldaten präsentiert werden, anhand derer sich die angeblichen Versuche nachvollziehen ließen. „Und eine solche Dokumentation muss es natürlich geben“, sagt Jörgen Svidén.

Fabrizierte Daten

Einer der Whisteblower, die den Fall ins Rollen brachten, Fredrik Jutfelt, Meeresforscher an der norwegischen TU Trondheim zeigt sich „erleichtert“ vom Ergebnis der CEPN-Untersuchungen: „Das beweist, dass die Selbstreinigungskräfte in der Wissenschaft funktionieren.“ Er konstatiert aber auch, dass jedes andere Ergebnis schon äußerst erstaunlich gewesen wäre: „Geht man ins Detail, findet man in dem Text jede Menge Fehler und offensichtlich fabrizierte Daten.“ Unter #perchgate kritisiert er, dass erst 10 Monate vergehen und „Berge von Beweisen“ präsentiert werden mussten, bis reagiert worden sei.

Wie ungern Kollegenschelte offenbar gesehen wird, mussten die Anzeigeerstatter selbst erfahren. Laut Science hatten Lönnstedt und Eklöf – die konsequent alle Anklagen zurückweisen – zuerst die Vermutung geäußert, der Neid von Forscherkollegen stehe hinter dem ­Schreiben der sieben Wissenschaftler. Denen empfahl auch eine von der Universität Uppsala beauftragte Untersuchungskommission mögliche offene Fragen doch gefälligst direkt mit diesen zu erörtern, anstatt gleich Forschungsschwindel zu unterstellen. Auch waren von diesem Gremium die Betrugsvorwürfe zurückgewiesen und die Autoren der Studie von allen Verdachtsmomenten freigesprochen worden. Was CEPN angesichts der offensichtlichen Schwere der Vorwürfe als „bemerkenswert“ kritisiert.

Während Science selbst den neuen Skandal mit dem Fall Paolo Macchiarini vergleicht – einem zunächst gefeierten Stammzellenforscher am Stockholmer Karolinska-Institut, der seine Forschungsresultate verfälschte – und fragt, ob schwedische Universitäten ein grundsätzliches Problem hätten, Schwindel in den eigenen Reihen angemessen aufzuklären, muss sich die Zeitschrift selbst Fragen gefallen lassen. CEPN: „Es ist erstaunlich, dass der Artikel trotz all seiner Defizite akzeptiert wurde.“ Und der Stockholmer Klimaforscher Johan Eklöf twittert „Wieder mal gibt es Fragen zum schlampigen Peer-Review-Prozess.“

Und Mikroplastik? Ist es also nun doch nicht so gefährlich für Fische? „Nichts wäre mehr verkehrt als solch eine Annahme“, betont Fredrik Jutfeldt: Dessen Gebrauch beispielsweise in Kosmetika müsse dringend beschränkt werden. Und auch der Meeresbiologe Peter Thompson von der Uni Plymouth betont, das Papier von Lönnstedt/Eklöf – die keine Stellungnahme abgeben und Medienanfragen an die Universität Uppsala verweisen – sei zwar wichtig, aber nicht entscheidend gewesen: „Es gibt genügend Beweise für das Schadenspotential von Mikroplastik.“

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