Präsidentschaftswahl in Frankreich: Favorit ohne Blankoscheck

In Frankreich rechnet niemand mehr mit einer Überraschung. Der Wahlsieger scheint sicher. Daran ändern auch die „Macron-Leaks“ nichts.

Kleine Mädchen stehen vor Wahlplakaten

In welche Richtung wird sich Frankreich entwickeln? Am Sonntag wird es feststehen Foto: ap

PARIS taz | Am Sonntag wählt Frankreich seinen neuen Staatspräsidenten. Offiziell ging die Wahlkampagne am Freitag um Mitternacht zu Ende. Die beiden Kandidaten, die Rechtspopulistin Marine Le Pen und der Wirtschaftsliberale Emmanuel Macron, haben bis zuletzt versucht, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und Argumenten die Franzosen und Französinnen zu überzeugen. Kurz vor Torschluss haben Hacker mit einer massiven Attacke versucht, über Email-Konten des Macron-Teams an Daten zu kommen und mit „Macron-Leaks“ Stimmung zu machen. Wer sich dahinter verbirgt, ist derzeit noch unklar. Die französische Wahlkommission warnte davor, die Dokumente weiterzuverbreiten, denn möglicherweise seien auch gefälschte darunter.

Solche verzweifelte Manöver ändern nichts mehr. Schon vor dem Wahltag heißt es: „Les jeux sont faits“ – das Spiel ist aus. Anders als am Roulettetisch rechnet niemand mehr in Frankreich mit einem Zufallsergebnis oder einer Überraschung. Die Umfragen sagen seit zwei Wochen unverändert einen deutlichen Sieg des Favoriten Macron mit rund 60 Prozent der Stimmen voraus.

Seiner Gegnerin vom rechtsextremen Front National ist es nicht gelungen, eine Tendenzwende herbeizuführen. Im Gegenteil hat ihr verpatzter Auftritt beim Wahlduell am Mittwoch selbst unter ihren Anhängern viele enttäuscht oder verwirrt. Selbst der FN-Gründer Jean-Marie Le Pen meinte dazu, seine Tochter habe nicht das nötige „Niveau“ gehabt und letztlich sei ihre Kampagne eine „Katastrophe“ gewesen.

Ihre unvermittelte Änderung der Taktik scheint sich nicht ausbezahlt zu haben: Nachdem sie als Chefin des FN seit 2011 alles getan hatte, um dieser Partei einen demokratischen Anstrich zu geben und sie „salonfähig“ zu machen, entlarvte sie sich beim Wahlduell mit ihrer Vehemenz und ungezügelten Aggressivität als unveränderte Extremistin. Sie versuchte dabei auch, sich von Erfolgsrezepten aus der Kampagne von Donald Trump inspirieren zu lassen, indem sie ihren Gegner verunglimpfte und beschimpfte statt mit ihm zu diskutieren. Wie Trump zögerte sie nicht, „Fake news“, böswillige Gerüchte und plumpe Unwahrheiten zu verbreiten.

Vermutlich aus russischen Quellen wurde im Internet samt gefälschten Dokumenten verbreitet, Macron habe seit 2010 ein geheimes Offshore-Bankkonto auf den Bahamas. Vom FN und Le Pen selber wurde dies ungeprüft weiter propagiert. Macron hat wegen übler Nachrede Klage eingereicht. Le Pen musste zugeben, dass sie keinerlei Beweise hatte.

Appelle gegen die extreme Rechte

Diese „Strategie der Lüge“ (so der Titel von Le Monde) dürfte ihr indes mehr geschadet als geholfen zu haben. Als Populistin nahm sie für sich Anspruch, die Wortführerin des Volks gegen die Elite und das System zu sein. In dieser zynisch und gehässig klingenden Stimme konnten sich aber sicher viele Leute, in deren Namen sie zu reden behauptet, nicht erkennen.

Sie hat damit wohl nicht viele Stimmen eingebüßt, ebenso sicher aber war es ihr nicht möglich, neue Sympathien oder gar eventuelle Alliierte zu gewinnen. Einzig der in der ersten Wahlrunde ausgeschiedene Souveränist Nicolas Dupont-Aignan (5% am 23. April) hat sich ihr angeschlossen – und dürfte das angesichts der sich anbahnenden Niederlage schon bald bereuen.

    Ihre Teilnahme an der Stichwahl stellt sich als „Pyrrhus-Sieg“ heraus, den sie mit einer neu verschärften Isolierung bezahlt. Denn die Tatsache, dass (wie schon 2002 mit ihrem Vater) eine Rechtsextremistin zu den beiden Finalisten der Präsidentenwahl gehört, hat in der Öffentlichkeit eine massive Ablehnung ausgelöst. Auch Persönlichkeiten und Organisationen der Zivilgesellschaft, die nicht unbedingt für Macron Stellung nehmen, haben in diesen Tagen Appelle gegen die extreme Rechte lanciert oder mitunterzeichnet.

    Manche spekulieren, dass Marine Le Pen schon vor der entscheidenden Stichwahl nicht mehr an einen Sieg glaubte und mit dieser Radikalisierung am Ende ihres Wahlkampfs lieber schon die Rolle einer kompromisslosen Sprecherin der Opposition zur zukünftigen Staatsführung einnehmen will.

    Wenn das ihre jetzige Strategie ist, muss es ihr freilich gelingen, bei den Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni mit einer genügenden Zahl von Abgeordneten in die Nationalversammlung einzuziehen, um ihren heutigen Gegner und neuen Präsidenten, Macron, den absehbaren Triumph zu vergällen und die Umsetzung seiner Reformen zu verhindern.

    Nicht wirklich Herzenskandidat

    Für Macron dürfte das taktische Kalkül dagegen stimmen. Dieser Mann der politischen Mitte, der praktisch aus dem Nichts aufgetaucht ist, hat in einem Jahr eine Bewegung, „En marche!“, initiiert, welche die Ordnung der traditionellen Parteien über den Haufen geworfen hat und eine völlige Neubildung des politischen System verspricht.

    Ihm gelang es mit seiner Überrumpelung des politischen Establishments, zuerst den Amtsinhaber François Hollande an einer Kandidatur für eine (höchst fragliche) Wiederwahl zu hindern. Dann verbannte er in der ersten Runde als Erster die Verlierer von links und rechts – Sozialisten, Grünen und die Komponenten der bürgerlichen Rechten – in die Rolle von unfreiwilligen Wahlhelfern gegen Le Pen. Auch wenn nicht wie 2002 eine „Union sacrée“, eine heilige Vereinigung, der Demokraten gegen den FN zustande kann, hatten sie in ihren Empfehlungen keine andere Wahl als dazu aufzurufen, den Clan Le Pen vor der Machteroberung zu stoppen.

    Für Emmanuel Macron bedeutet dies aber auch, dass er am Sonntagabend, wenn er seinen erhofften Sieg vor dem Louvre feiern möchte, für die Mehrheit seiner Wähler nur eine Verlegenheitslösung als einzige Alternative zu Le Pen und nicht wirklich den Herzens- oder Wunschkandidat darstellt.

    Er kann nicht mit einem Blankoscheck antreten. Bereits wird er gewarnt, dass sein liberales Reformprogramm bei denselben Kreisen auf Widerstand stoßen wird, die schon die Arbeitsrechtsrevision seiner Ex-Regierungskollegin Myriam El Khomri bekämpft hatten. Diese Perspektiven hinderten ihn aber nicht, seinen Wahlkampf bereits wie ein zukünftiger Staatschef zu beenden.

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