Noch in der renitenten Version etwas spießig

Theater Nora Schlockers einfallsreiche und unterhaltsame Inszenierung von Bov Bjergs Erfolgsroman „Auerhaus“ in den Kammerspielen des DT löst das Rätsel von dessen Erfolg nicht auf

Interregnum kleingehackt: Elena Schmidt in „Auerhaus“ Foto: Arno Declair

von René Hamann

Man kennt das Lied. „Our house / in the middle of the street“, der Turn der Band Madness vom Neo-Ska hin zum Mainstream, ihr größter Hit, veröffentlicht im Sommer des Pop 1982, bekannt aus Funk und Fernsehen, von MTV und Mal Sandocks Hitparade. Ein außergewöhnliches Lied über ein gewöhnliches Haus in einem Arbeiterviertel einer verstaubten englischen Vorstadt, damals, während der ersten schweren Jahre unter Margarete Thatcher, die als Geburtsstunde des neu entfesselten Wirtschaftssystems gelten dürfen, das noch nicht die Bezeichnung „neoliberal“ trug.

Bov Bjergs Erfolgsroman, 2015 erschienen, weiß von Arbeiterklasse und politischem Weltgeschehen nicht viel. „Auerhaus“ ist nach besagtem Song benannt und spielt zu dieser Zeit, also irgendwann in den Achtzigern, als es noch Dinge wie Musterungsbescheide und Gewissensfragen gab. Er lässt sich auf politische Zusammenhänge aber nur vermittelt ein – statt mit der englischen Arbeiterklasse haben wir es hier mit der schwäbischen Provinz zu tun. Mit einem ge­erbten Haus, mit angehenden Abiturienten mit den üblichen Elternkonflikten und gewaltigen, mehr oder weniger unergründeten psychischen Problemen.

Nora Schlockers Inszenierung (Dramaturgie und Mitautorin: Birgit Lengers), die am Sonntagabend ihre Premiere in den Kammerspielen des DT feierte, setzt dabei auf einen kleinen Brecht’schen Verfremdungseffekt – das „Auerhaus“ ist nicht viel mehr als ein ausgerissenes Stück Filzboden; ein Viereck, das mit Sand und Lehm beschüttet wird und vor dessen Betreten man sich gefälligst die Schuhe auszuziehen hat. Schwäbische Provinz eben, noch in der jugendlich-renitenten Ausführung etwas spießig. Das Klassensystem kommt eher durch die Hintertür herein – natürlich ist es am Ende die Tochter aus gutbürgerlichem Hause, die das bereits in Auflösungserscheinungen befindliche Auerhaus durch den Rechtsanwaltsvater sprengt.

Die großen Themen sind: der Selbstmord, der Sinn des Lebens, der Alkohol und die Drogen (weniger), die Forderungen der Gesellschaft (mehr). Eine größere Rolle als „Our House“ von Madness spielt dabei der Eintagsfliegenhit der Gruppe The Godfathers, „Birth School Work Death“ von 1988.

Um diese Frage herum, also die Frage, ob das wirklich alles sein soll, was das Leben so bietet – und ob es zwischen Schule und Berufslaufbahn nicht wenigstens ein bisschen „Bumbum“ geben kann, spielt die sechsköpfige Besetzung des Hauses. Es gibt Findungen, es gibt außen liegende Probleme mit Psychiatrie, Schule, Bundeswehr und Polizei, die zunächst einen inneren Zusammenhalt stiften. Es gibt Fliehkräfte, die das Interregnum Auerhaus nach und nach zum Einsturz bringen (und eine Silvesterparty, die nach der Pause den kritischen Höhepunkt darstellt).

Die Besetzung ist dabei gut ausgesucht und darf in dem sehr reduzierten Bühnensetting (Bühne: Jessica Rockstroh) brillieren, was vor allem für Christoph Franken als Frieder gilt, der hier vollen Körpereinsatz zeigt. Auch Marcel Kohler beweist erneut, dass er den jungen Mann in jeder Rolle zu spielen weiß. Musik spielt in der Aufführung trotz des Titels eine eher untergeordnete Rolle, überhaupt lag der Regie wohl sehr daran, möglichst wenig Zeitkolorit an den Start zu bringen, um Anschlussfähigkeit jenseits von Nostalgieeffekten zu schaffen. Was nur bedingt funktioniert.

Der Selbstmord, der Sinn des Lebens, der Alkohol und die Drogen

Der Roman von Bov Bjerg, der bürgerlich Rolf Böttcher heißt und vor diesem Überraschungserfolg zwischen Lesebühne und Kabarett pendelte, ist ja nicht wirklich komisch, auch das Stück verzichtet größtenteils darauf, die Zuschauer mit leichten Gags auf seine Seite zu ziehen. Die erzählte Geschichte ist eher prototypisch als originell.

Auch während der Inszenierung fragt man sich, was einen hier bei der Stange hält – die Zusammensetzung der Protagonisten ist konventionell und politisch korrekt (drei Männer, drei Frauen, zwei Figuren psychisch auffällig, eine dritte ist schwul und hat mit den sozialen wie finanziellen Folgen seines Outings zu kämpfen), die Krisen relativ vorhersehbar (es geht auch um Sex und die Liebe), das Ende logisch. Was also machte den Roman so erfolgreich und das Stück so unterhaltsam? Dass man das alles so oder so ähnlich erlebt hat oder zumindest am Rande beobachten konnte? Ist das nicht alles auch sehr deutsch irgendwie? Die Jugend in der Provinz und so? Was soll dieses Stück?

Die Frage bleibt auch nach der abschließenden Abblende (die Schlocker insgesamt sehr gerne einsetzt) offen. Das Ensemble war sehr gut, die Inszenierung einfallsreich, die Geschichte nachvollziehbar. Der Rest ist Identifikation.