Der Rest irdischen Lebens

DUNKEL Überfällige Würdigung: In Hannover sind die Arbeiten der Künstlerin Petra Kaltenmorgen zu sehen – das Vergängliche ist bei ihr im Hier und Jetzt angesiedelt

Petra Kaltenmorgen, Materia (5), 2010

von Radek Krolczyk

Wie Vanitasmotive wirken die Fotografien und die Installationen der Künstlerin Petra Kaltenmorgen: All die finsteren Aufnahmen von Blumen, die ausgestreuten dunklen Brillengläser und demontierten Globen. Dies und noch einiges mehr zeigt derzeit das Sprengel Museum Hannover unter dem nüchternen Titel „Stand der Dinge“. Es ist die erste große Werkschau der 1964 im Hunsrück geborenen Künstlerin.

Kaltenmorgen ist einer jener Eigennamen, bei denen man schnell vergisst, dass sie lediglich eine Person bezeichnen. Das sprechende „Kaltenmorgen“ klingt beim Betrachten all der dunklen Fotografien etwa immer nach und es ist unmöglich, die Arbeiten ohne diesen Namen im Gedächtnis zu betrachten. Er ist poetisch und wirkt wie eine Art übergeordneter Werktitel. Wahrscheinlich kommt er nicht vom kalten Morgen her, sondern vom Keltern. Der Hunsrück ist ein wichtiges Weinanbaugebiet.

Ein sprechender Name

Solcherart Atmosphärisches, solcherart Unklarheiten und Missverständnisse, wie sie schon der Name der Künstlerin erzeugt, durchziehen das Werk. Die Arbeiten legen stets nahe, da sei etwas Großes zu Ende gegangen wie die Zivilisation oder gleich die ganze Menschheit, möglicherweise hat ein Atomkrieg alles Leben auf der Erde vernichtet. Das strahlt etwa ihre Fotoserie „Materia“ von 2010 aus, in der Petra Kaltenmorgen vor schwarzem Hintergrund Blumen zeigt. Zunächst wirken sie, belegt mit einem leicht aschigen Grau, als seien sie der letzte Rest irdischen Lebens. Dann aber entdeckt man die Spannung in den Stielen und Blättern und ihre bunten Blüten beginnen zu leuchten wie Sterne in der Nacht.

Tatsächlich löst sich auch der Eindruck, man habe es mit einem Vanitasmotiv zu tun, auf: Kein einziges Blütenblatt ist lose, den Pflanzen droht kein Vergehen in der Zukunft, ihre Gegenwart ist ewig. Möglicherweise sind diese Pflanzen selbst bereits atomar und zehren von den Bedingungen der Zerstörung. Jedenfalls hören sie auf, Zeichen der Vergänglichkeit zu sein. Sie sind vital, sie sind das Hier und Jetzt. Es ist nicht der Untergang der Welt, den sie bezeugen, sondern die Vorstellung einer anderen Welt als der, die wir kennen. Ob es eine bessere ist, bleibt als Frage offen.

Ähnlich den Blumen haben alle Gegenstände auf den Fotografien von Kaltenmorgen etwas Skulpturales. Sie wirken, als seien sie mehr als nur eine Abbildung, als ragten sie ganz materiell aus der schwarzen, räumlichen Tiefe der Bilder heraus. Dies macht es schwer, sie von den wirklichen Gegenständen zu unterscheiden, die Kaltenmorgen in ihren Installationen verwendet. Gleichzeitig haben auch diese Gegenstände etwas Fotografisches.

Zum Teil mag dies an ihrer luziden Art liegen. Die Gegenstände, die die Künstlerin bevorzugt verwendet, sind durchscheinend, so wie die Gläser von Sonnenbrillen oder die halbierten Globen. Dass Petra Kaltenmorgen sich für solche Dinge begeistert, die gleichzeitig eine bedeckte und lichtdurchlässige Oberfläche haben, mag mit ihrer frühen Studium der Glasmalerei zusammenhängen. Gleichzeitig entsteht so der seltsame und fremde Eindruck, der sich auch bei den fotografierten Dingen wie den Blumen zeigt.

Das Licht ist gedämpft, sanft durchbricht es die Flächen, um die herum es sich dann deutlich ausbreitet. Dadurch erst werden die Alltagsgegenstände der Petra Kaltenmorgen zu magischen oder kosmischen Gegenständen. Aber auch die Seltsamkeit dieser Gegenstände vermittelt im ersten Moment eine gewisse Melancholie – etwa, wenn man die getönten Brillengläser auf dem Boden ausgestreut liegen sieht wie gefallenes Laub. Und welche Implikationen hat ein halbierter, aber leuchtender Globus? Zerteilt und wie eine Schale nach oben hin offen scheint er eine zerstörte Erde anzumahnen.

Dann aber entdeckt man die eigenen ästhetischen Qualitäten dieses Gebildes: Wann bekommt man etwa die flächig dargestellten Meere und Kontinente schon von zwei Seiten zu sehen? Mit einer Innen- und einer Außenseite bekommt die Erde eine neue Gestalt. Sie ist nicht einfach nur kaputt.

Petra Kaltenmorgen, High Energy, 2012 Fotos: Sprengel Museum Hannover

Töpfe, Pfannen und ein Bürostuhl

Man kann das Werk Petra Kaltenmorgens der Objektfotografie zurechnen, einer Richtung der Kunstfotografie, die in den letzten Jahren international an Bedeutung gewonnen hat. Ihre Vertreterinnen und Vertreter machen gerade auch die Bedingungen der Fotografie zum Thema ihrer Arbeiten. Licht etwa ist selbsterklärenderweise eine Grundbedingung der Fotografie. Inwiefern es selbst zum Thema der Fotos von Kaltenmorgen wird, haben wir anhand der Blumenbilder gesehen.

Aber auch die fotografische Perspektive, die Haltung der Kamera zum Gegenstand, wird in ihrem Werk immer wieder selbst zum Gegenstand, wie René Zechlin in seiner parallel zur Ausstellung erschienen Monografie ausführt. Beispielhaft hierfür sind ihre Serien „Objects“ und „Blind Fields“ aus den späten 90er Jahren. Dafür fotografierte sie allerlei Alltagsgegenstände, wie Töpfe, Pfannen oder einen Bürostuhl. Durch die extremen Wechsel ihrer Per­spektive zum Objekt verändert sich das Abbild des Objekts, in gewissem Sinne also auch das Objekt selbst. Gegenstand und Methode wirken banal, die Serien sind allerdings dennoch unglaublich eindrücklich.

Tatsächlich waren Petra Kaltenmorgens Arbeiten seit den frühen 90er Jahren in einigen besseren Kunstvereinen vor allem im Norden und Westen der Republik zu sehen. Eine solch große Würdigung, wie sie sie nun durch die Fotokuratorin Inka Schube erfährt, war jedenfalls überfällig.

Bis 17. Juli, Sprengel Museum, Kurt-Schwitters-Platz, Hannover