Neustart der Berliner Volksbühne: Theater wird ein weites Feld

Werben um Zuwendung: So kann man das Programm der ersten Spielzeit von Chris Dercon als Intendant der Berliner Volksbühne beschreiben.

Einige Menschen, darunter Marietta Piekenbrock und Chris Dercon

Das Leitungsteam bei der Pressekonferenz: v.l. die Regisseurin Susanne Kennedy, der Choreograf Boris Charmatz, Musikkurator Christian Morin, Marietta Piekenbrock und Chris Dercon Foto: David Baltzer

BERLIN taz | Was macht eigentlich Sophie Rois? Die heißgeliebte Volksbühnendiva mit der rauen Stimme, zuletzt Hexe in Castorfs „Faust“? Nun, sie gehört zu den drei von elf Ensemblemitgliedern der Volksbühne Castorfs, deren Vertrag weiterläuft. Erste Überraschung. Für die erste Spielzeit der Intendanz von Chris Dercon allerdings ist sie beurlaubt, zweite Überraschung. Nicht ganz weg und nicht ganz da.

Von ihr war nicht die Rede, als am Dienstag Chris Dercon mit der Programmdirektorin Marietta Piekenbrock und fünf weiteren KuratorInnen und KünstlerInnen den Beginn der ersten Spielzeit vorstellten. Namen bekannter Schauspieler tauchten tatsächlich erst auf, als Elodie Evers zusammen mit Mercedes Bunz das neue Format „Volksbühne Fullscreen“ vorstellte, das Erzählformen des Theaters für den digitalen Raum entwickeln wird.

Das Reden über Theater verändert sich, das zeigte diese Vorschau. Man saß nicht im Inneren der Volksbühne, des tief verwinkelten Kolosses, an dem Castorfs Betrieb in die letzte Runde geht – er und René Pollesch zeigen im Juni noch je eine Premiere –, sondern im Flughafen Tempelhof, im leer geräumten Restaurant, Blick auf den weiten Park davor. Alles kann hier symbolisch werden, auch diese Weite. Hier wird es wimmeln von Tänzern, von verschiedenen Tanzensembles, Choreografen-Stars, Studenten und Amateurtänzern, wenn der französische Choreograf Boris Charmatz zur großen Eröffnung am 10. September einlädt.

Das Fremdeln der vielen, die wollten, das Castorfs Betrieb weitergeht, es wird wohl bleiben, auch wenn Chris Dercon und Marietta Piekenbrock noch so oft die Anknüpfung an historische Linien betonen. Viel von der Infrastruktur bleibt, die Gewerke zum Beispiel, 206 von 227 Mitarbeitern. Der geschätzte Musikkurator Christian Morin arbeitet weiter, die Literaturreihe im Roten Salon wird weiter von Sabine Zielke betreut – auch das Bausteine der bisherigen Volksbühnen-Identität. Aber keiner der Regisseure, keine Inszenierung wird bleiben.

Die Künstler, die stattdessen kommen werden – Mette Ingvartsen, Tino Sehgal, Boris Charmatz – sie sind schon bekannt in der Stadt. Sehgal, den Dercon auch in der Tate Modern in London groß präsentierte, hat die Volksbühne, die Geheimnisse ihrer Architektur, kennengelernt, als er bei P 14, der Jugendtheatergruppe der Volksbühne, war, die es übrigens auch weiter geben wird. Sichtlich freut sich Dercon über dieses Stückchen Kontinuität. Sehgal wird mit seinen Performern durch diese Räume schwärmen, das Publikum durchs ganze Haus führen bei der Eröffnung im November dort.

Verbindung zu den vielen Geflüchteten

Zuletzt hatte Sehgal in Berlin im Martin-Gropius-Bau eine große Ausstellung seiner lebenden Bilder von Tänzern, Musikern, Schauspielern. Die Choreografin Mette Ingvartsen war lange dem HAU verbunden, zeigte dort zuletzt eine großartige Arbeit aus wilden Wirbeln von Gegenständen, die die Tänzer bewegten. Boris Charmatz war oft vom Festival Tanz im August eingeladen oder den Berliner Festspielen. Holt man sich da nicht bloß eine ungute Konkurrenz in die Stadt, fragen die Skeptiker. Aber der Unterschied wird sein, dass sie jetzt nicht nur für drei, vier Vorstellungen kommen, sondern ihre Stücke zum Repertoire des Hauses werden. Und das ist attraktiv.

Das Fremdeln der vielen, die wollten, das Castorfs Betrieb weitergeht, es wird wohl bleiben, das zeigte die Vorschau

Die Geschichte von Theater, Performance und Tanz als ein großes Archiv zu begreifen, aus dem man hervorholt, was bis in unsere Gegenwart fortwirkt, auch das gehört zum Konzept von Piekenbrock und Dercon. Viele Künstler interessiert das, zum Beispiel Jérôme Bel, der vor 15 Jahren „The show must go on“ entwickelte, 19 beliebte Popsongs werden von Amateuren und Fans gecovert, Popgeschichte und Biografie verschmelzen, Porträts entstehen in der Adaption. In der Volksbühne werden Volksbühnen-Mitarbeiter die Performer sein, das ist, denkt man, auch ein Werben um Zuwendung in einem Haus, dessen Ablehnung das Leitungsteam ja schon voll erfahren hat.

Dass sie diffamiert worden sind, ihre Berufung durch den Bürgermeister Michael Müller und den Kulturstaatssekretär Tim Renner als „feindliche Übernahme“ gesehen wurde, Marietta Piekenbrock erinnert sich daran. Die Empörung habe geholfen, das Eigene zu schärfen, behauptet sie tapfer.

Am Flughafen Tempelhof, diesem neuen Spielort, wird es auch ein Projekt zweier syrischer Theatermacher geben, des Regisseurs Omar Abusaada und des Autors Mohammad al-Attar, „Iphigenie“ nach Euripides, mit einem Ensemble syrischer Frauen. Das ist auch als Verbindung zu den vielen Geflüchteten gemeint, die Unterkünfte im Flughafen Tempelhof hatten und haben werden. Und wieder geht die Symbolik der Kunst voraus.

Warum er nicht das Angebot angenommen habe, allein Tempelhof zu seinem Spielort zu machen, ist eine Frage an Dercon. Klaus Lederer, der jetzige Kultursenator, hatte das mal als Überlegung hingestellt. Ein Angebot sei das nie gewesen, entgegnet Dercon. Das Geld für diese Bühne hätte er dann wohl selber einwerben müssen. Auch jetzt ist die Eröffnung dort zwar durch einen sogenannten Vorbereitungsetat gesichert, für die Fortsetzung aber laufen gerade erst die Förderanträge.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.