Werdegang einer Orchideen-Art: V wie Vanille

Vanille war früher Exot und ist heute überall – so teuer wie nie. Wie aus einer kleinen Schote der beliebteste Geschmack der Welt wurde.

Die Blüte einer Vanille-Pflanze

Nur wenige Stunden blüht Vanille, übrig bleibt die aromatische Schote Foto: dpa

Wer Vanille nicht mag, sollte die Erde besser verlassen. Denn sie ist überall. Im Parfüm – das berühmteste: Chanel No 5 –, in Kaugummis, Cola, Zigaretten. Sie verstärkt andere Geschmäcker und schmeckt selbst angenehm würzig, im Kuchen, im Pudding, in Soße und Eis.

Früher war Vanille ein Exot, heute ist sie Mainstream – das beliebteste Aroma der Welt. Und mittlerweile so teuer wie nie.

Dass es Vanille überhaupt gibt, erscheint wie ein riesiger Zufall der Botanik. Von den mehr als 30.000 bekannten Orchi­deengattungen in den tropischen Regenwäldern dieser Welt sind zwar viele hübsch anzusehen, aber nur eine hat diesen tollen Geschmack, die Vanille-Orchidee. Von den mehr als einhundert ihrer Arten wiederum sind nur ein paar so aromatisch, dass sie als Nutzpflanzen dienen können, vor allem die Vanilla planifolia, die Gewürzvanille. Die Pflanze wird bis zu 30 Meter lang und rankt sich gerne lianenartig um andere Bäume.

Zum ersten Mal geschichtlich erwähnt wurde Vanille im 15. Jahrhundert, als die Azteken das Reich der Totonacan eroberten, gelegen im heutigen mexikanischen Bundesstaat Veracruz, und von diesen die Vanille kennen lernten. Sie fanden Geschmack daran. Gemischt mit Kakao wurde Vanille Bestandteil eines Deluxe-Drinks für Aristokraten, auch die Soldaten tranken davon, bevor sie in den Krieg zogen. So beschreibt es Tim Ecott in seinem Buch „Vanilla: Travels in Search of the Ice Cream Orchid“.

Vanille gegen Verdauungsstörungen und Schwermut

Die Azteken nannten die Pflanze Tlilxochitl, ein Missverständnis, weil sie nur die dunklen Früchte kannten. Tlilxochitl, die „schwarze Blume“. In Wirklichkeit sind die Blüten blassgelb.

Wenn die Blüten verblüht sind, bleibt eine längliche grüne Schote übrig, 15 bis 20 Zentimeter lang, mit Tausenden schwarzen Samen. Daher auch der Name: „Vainilla“, Spanisch: die kleine Schote. Erst wenn die Schote getrocknet wird – bis zu neun Monate dauert das –, entsteht das typische Vanillearoma. Für ein Kilogramm schwarzer Vanille braucht man fünf bis acht Kilogramm grüne Schoten.

Alexander von Humboldt

Bekanntlich scheuen die Spanier den Zusatz von Vanille zum Kakao, weil dieselbe die Nerven reize

Als der spanische Eroberer Hernán Cortés und seine Leute im Jahr 1519 Mexiko erreichten, waren sie wohl die ersten Europäer, die sie schmecken konnten. So richtig begeistert schienen die Spanier aber anfangs nicht gewesen zu sein. Der Naturforscher Alexander von Humboldt schreibt nach seiner großen Amerikareise: „Bekanntlich scheuen die Spanier im Allgemeinen den Zusatz von Vanille zum Kakao, weil dieselbe die Nerven reize.“ Deshalb werde „die Frucht dieser schönen Orchideenart“ in vielen Gegenden gar nicht richtig beachtet. Es könnte ein Grund dafür sein, dass heute nicht Mexiko und Lateinamerika als Heimat der Vanille bekannt sind.

In Europa bekam die Vanille Luxusstatus. Sie wurde als Heilmittel gelobt, gegen Verdauungsstörungen oder Schwermut. Eine Vanillemilch mit Honig wurde zum Modedrink in den Königshäusern. Die englische Königin Elisabeth I. gewöhnte sich angeblich so an den Vanillegeschmack, dass sie verlangte, nicht nur Schokolade, sondern alles Essen und Trinken mit dem neuen Wundergewürz zu verfeinern. Da England und Frankreich nicht von den Spaniern abhängen wollten, begannen sie die Vanille in ihren Überseegebieten selbst anzubauen. Und so gelangte die Vanille von Mexiko auf die Île Bourbon, das heutige La Reunion im Indischen Ozean.

Ein Geschäft voller Geheimniskrämereien und Gerüchte

Womöglich hätte sie dort nie den großen Durchbruch gehabt, wäre da nicht ein zwölfjähriger Junge gewesen, ein Sklave, der als Edmond Albius in die Geschichtsbücher einging. Denn im Indischen Ozean fehlten die bestäubenden Tiere, Kolibris und bestimmte Bienen. Der junge Edmond kam 1841 auf die Idee, die Blüten mit einem dünnen Stock selbst zu bestäuben – so wird es bis heute gemacht. Es bleibt dafür nur kaum Zeit, denn die Blüten sind nur wenige Stunden geöffnet, bevor sie verblühen.

Die Bourbonvanille wurde bald auch auf den Nachbarinseln angebaut, auf den Seychellen und Mauritius und schließlich auf Madagaskar. Die Inseln im Indischen Ozean nennen sich heute „Vanille-Inseln“, um Touristen zu locken zur „Königin der Gewürze“.

Vor 50 Jahren feierten 100.000 Hippies in San Francisco den „Summer of Love“. Was 1967 in Kalifornien passierte und wie manches davon bis heute nachwirkt: Ein Dossier voller Glück, linker Utopie – und Blumen im Haar in der taz.am wochenende vom 3./4./5. Juni. Außerdem: Trump kündigt das Pariser Klimaabkommen auf. Ist die Welt noch zu retten? Und: Vanille ist so teuer wie nie. Was das für Eisdielen bedeutet und wie aus einer kleinen Schote der beliebteste Geschmack der Welt wurde. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Gerade einmal um die 2.000 Tonnen Vanille werden jährlich weltweit angebaut. Der Großteil – rund 80 Prozent – auf Madagaskar. Die Bedingungen sind optimal: feuchte Hitze, 21 bis 32 Grad, genügend Regen.

Vanille wird nicht wie andere Agrargüter an der Börse gehandelt, es ist ein Geschäft voller Geheimniskrämereien und Gerüchte. Die Vanillehändler kommen teils mit Privatflugzeugen und Koffern voller Bargeld an, um der Konkurrenz die besten Schoten wegzukaufen. Die meisten werden dann gemahlen und zu Vanilleextrakt oder -essenz weiterverarbeitet und landen im Eis. In Deutschland, den USA und vielen anderen Ländern ist Vanille mit Abstand die beliebteste Sorte. Die typische gelbe Farbe hat mit der Vanille übrigens nichts zu tun, das Gelbe kommt vom Ei, das in vielen Lebensmitteln mit Vanillegeschmack enthalten ist, oder es ist schlicht Farbstoff. Und auch die kleinen schwarzen Punkte haben in industriell hergestellten Produkten vor allem eine kosmetische Funktion.

Aktuell nach Safran das teuerste Gewürz der Welt

Der Vanillepreis schwankt deutlich, es ist das klassisches Spiel von Angebot und Nachfrage. Zwischen 2005 und 2014 gab es ein Überangebot an Vanille, sie wurde billiger. Die Kleinbauern stiegen zum Teil auf andere Erzeugnisse um. Es wurde weniger Vanille auf dem Weltmarkt angeboten, sie wurde stärker nachgefragt, es wurde gehortet und spekuliert.

Die natürliche Vanille wurde auch beliebter, vor allem in den USA haben große Lebensmittelhersteller damit begonnen, auf künstliche Vanille-Aromen zu verzichten. Denn der Vanille-Geschmack ließ sich längst künstlich herstellen – und das sehr viel billiger und in großem Maße. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Vanillin, der Hauptaromastoff der Vanille, im Labor nachgebaut. Heute wird als Grundstoff vor allem Lignin benutzt, ein Abfallstoff bei der Papierherstellung.

Im März dieses Jahres fegte dann noch der Zyklon „Enawo“ über Madagaskar hinweg, 78 Menschen starben und wenige Monate vor der Erntezeit wurden viele Vanillepflanzen zerstört. Die Folge: Der Preis schnellte so hoch wie nie, ein Kilogramm Vanille wird jetzt mit über 500 Euro gehandelt, vor ein paar Jahren waren es noch um die 20 Euro. Vanille ist jetzt nach Safran das zweitteuerste Gewürz der Welt.

„Es ist wahrscheinlich, dass die Vanille in den kommenden Monaten weiter neue Höchstpreise erzielt“, prognostiziert Nielsen-Massey, einer der weltweit größten Vanillehändler. Vor 2019 könne mit keiner Entspannung gerechnet werden. Es dauert nämlich drei bis vier Jahre, bis eine neue Vanillepflanze das erste Mal Ertrag bringt.

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