Krise am Golf

Der Konflikt auf der Arabischen Halbinsel schwelt weiter – und sorgt für Unsicherheit auf allen Seiten. Wie geht es nun weiter?

Tayyips (Alb-)Traum

Türkei Erdoğan steht zwischen den Fronten: den Sunniten und den Muslimbrüdern

ATHEN taz | „Wir sind sehr traurig über das Zerwürfnis unter muslimischen Brüdern“, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach einem Gespräch mit dem bahreinischen Außenminister, Scheich Chalid bin al-Chalifa, in Istanbul. „Wir hoffen und beten, dass die Krise bis zum Ende des Fastenmonats Ramadan (25. Juni) beigelegt ist“.

Es war der Versuch Erdoğans, in dem Konflikt zu vermitteln, der durch den gemeinsamen Boykott von Bahrain, Saudi-Arabien, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Jemen gegen das Emirat Katar entstanden war. Darüber hinaus telefonierte er mit diversen Staatschefs der Region; allerdings nicht mit dem saudischen König.

Der Konflikt stürzt die Türkei in ein strategisches Dilemma. Seit Jahren sind die Türkei und Katar aufs engste verbündet, zugleich hat Erdoğan aber auch versucht, die Beziehungen zu Saudi-Arabien entscheidend zu verbessern, um gemeinsam die sunnitische Opposition in Syrien zu unterstützen.

Dass nun ausgerechnet Saudi-Arabien Katar vorwirft, die Islamisten in Syrien – vor allem den sogenannten Islamischen Staat (IS) – zu unterstützen, dürfte nicht mehr als eine rhetorische Floskel zur Einbindung von US-Präsident Donald Trump sein.

Schon eher geht es um die katarische Unterstützung der von den Saudis ebenfalls als Terroristen angesehenen Muslimbrüder. Das ist zugleich einer der Gründe, warum Erdoğan sich so vehement für Katar einsetzt. Denn die auf etliche Länder des Nahen Ostens verteilte Muslimbrüderschaft wird nicht nur von Katar, sondern auch von Erdoğan protegiert – deshalb pflegt die Türkei seit dem Militärputsch gegen den Muslimbruder und ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi keine diplomatischen Beziehungen mehr zu Ägypten. Aus demselben Grund war auch das türkische Verhältnis zu Saudi-Arabien schwer gestört, weil die Saudis den Putsch maßgeblich finanziert hatten. Erst mit dem dortigen Thronwechsel hatte sich das Verhältnis wieder verbessert.

Erdoğan muss nun erneut zwischen den Muslimbrüdern und der sunnitischen Allianz, die von Saudi-Arabien angeführt wird, wählen. Zunächst zögerte er nicht, sich auf die Seite Katars und damit indirekt der Muslimbrüder zu stellen. Doch auf Dauer ist das schwer durchzuhalten, denn es bringt Erdoğan in eine unhaltbare Position. Denn es geht Saudi-Arabien ja auch um Katars freundliche Haltung gegenüber dem saudischen Erzfeind und regionalen Konkurrenten Iran.

Im Moment sind Iran und die Türkei die wichtigsten Verbündeten von Katar. Iran schickt bereits Lebensmittel über den Golf, und das Parlament in Ankara hat beschlossen, die türkische Garnison in Katar von 100 auf 600 Soldaten aufzustocken. Verschärft sich der Konflikt am Golf, sähe sich Erdoğan plötzlich an der Seite des schiitischen Irans gegen die sunnitische Allianz unter Führung der Saudis, die von den USA unterstützt wird. Das wäre das Ende des Traums Erdoğans, Führer aller Sunniten zu werden.

Doch so leicht kann er Katar nicht fallen lassen. Mit dem Herrscherhaus der al-Thani ist die Türkei seit dem Amtsantritt Erdoğans 2002 eng verbündet. Die Kataris haben nach eigenen Angaben in den letzten Jahren 18 Milliarden Dollar in der Türkei investiert, weitere gemeinsame Projekte sind verabredet. Die türkische Bauindustrie verdient Milliarden mit dem Bau von U-Bahnen, Straßen und einem neuen Flughafen in Doha.

Erdoğan kann und will darauf nicht verzichten. Kommt es tatsächlich zu einem bewaffneten Konflikt, indem Saudi-Arabien mit US-Unterstützung in Katar einmarschiert, wäre das die größte denkbare Katastrophe für die türkische Außenpolitik. Jürgen Gottschlich