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: Es wird Schüsse geben

„Daughter of the Nile“ (Taiwan 1987, Regie: Hou Hsiao-hsien)

Manchmal sieht man das Aquarium, manchmal sieht man es nicht. Es steht rechts an der Wand neben der Tür, die einerseits die Tür zum zentralen Aufenthaltsraum der Familie ist. Zum anderen aber ist sie der Rahmen, der das Geschehen auf Distanz hält und dann für einzelne Momente auch wieder nicht. Das Geschehen ist zunächst ganz alltäglich: Es wird gegessen, es werden Hausaufgaben gemacht. Man erzählt, man streitet sich auch. Der Opa kommt sehr regelmäßig zu Besuch. Einmal verlässt er zum Furzen den Raum, der Gestank jedoch weht durch die nur aus einem Fliegengitter bestehende Außentür wieder herein.

Die Einstellungen aber wechseln, ziemlich subtil. Mal sieht man das Aquarium, wie gesagt, mal sieht man es nicht. Einmal, aber das wird ein Traum gewesen sein, fahren die schönen roten Schleierfische darin zusammen. Ein Schreck geht durch den Film. In seinem Zentrum steht Lin Hsiao-yang. Sie spricht und erzählt auch, am Anfang, am Ende; so gibt sie dem Film einen Ton vor. Mit dem Manga „Daughter of the Nile“, der im alten Ägypten spielt, träumt sie sich aus der engen Wirklichkeit ihres Lebens heraus. Sie kümmert sich um die Familie, die kleine Schwester, den Bruder, der in zwielichtige Mafiageschäfte gerät. Die Mutter sieht man nicht, fast am Schluss erst erfährt man und sieht: Sie ist gestorben. Der Vater ist lange nicht präsent. Er taucht dann auf, mit einer Wunde, Lin Hsiao-yang muss ihn pflegen.

„Daughter of the Nile“ war, als er 1987 ins Kino kam, im Werk des taiwanischen Regisseurs Hou Hsiao-hsien ein unerwarteter Schritt. Die frühen Filme erzählten recht autiobiografisch von Kindheit und Dorf, wunderbar ruhig, gelassen und unsentimental. Filme über eine noch nicht allzu vergangene Vergangenheit, vor allem aber: Filme über das Erinnern. Nun aber, in „Daughter of the Nile“, ist alles Gegenwart, Zeitgenossenschaft, Pluderhose und Neonlicht, an allen Ecken und Enden wehen Popsongs aus den Straßen der Stadt in den Film.

Taiwanischer Pop, aber auch „Walk Like an Egyptian“ von den Bangles – den Refrain des Songs, also den direkten Bezug, den er zum Titel des Films unterhält, hört man nie. Das ist genau die Art der Verschiebungen, untergründigen Verbindungen, der Rahmungen und Bezüge, aber auch der Verweigerungen und Entzüge, aus denen Hous Filme auch auf der visuellen Ebene gebaut sind.

Alles ist Gegenwart, Zeitgenossenschaft, Pluderhose und Neonlicht

Die Geschichte also einer jungen Frau in Taipeh, in einem Film, der noch dazu Genre-Anwandlungen hat. Es wird Schüsse geben, Tote, es gibt Verbrechen, einen Mafia-Plot, eine eher angedeutete Liebesgeschichte. (Sie will was von ihm, will er was von ihr?) Aber nichts ist auf Spannung gerichtet. Es geht um eine ganz andere Form und nicht zuletzt darum, welches Verhältnis die Erzählung zur erzählten Geschichte und zu den Figuren eingehen will. Spröde, auf Distanz, trotzdem emphatisch.

Die Spannung ist eine Spannung der Form, eine des Verhältnisses zwischen Rahmung des Bilds und der Bewegung darin. Und weil sich die Kamera eher selten bewegt, ist der Schwenk aus einem fahrenden Auto nach rechts auf die Motorräder in rasender Fahrt eine Bewegung, die einen aus den Angeln hebt, einfach so. Es steckt so ziemlich alles, was man über Jugend sagen kann, ohne Worte zu machen, darin.

Kaum jemand, der sich auskennt, wird bestreiten, dass Hou Hsiao-hsien einer der großen Regisseure der Gegenwart ist. Es gibt aber, soweit ich sehe, in Deutschland keinen einzigen seiner Filme auf DVD. „Daughter of the Nile“, ein Werk von bezaubernder Schönheit, war bislang überhaupt nur in schrabbeligen Versionen zu haben. Eureka, das großartige englische Label, hat sich erbarmt. Das ist ein Glück. Ekkehard Knörer

Die DVD ist als Import ab rund 15 Euro erhältlich