Poptalent Halsey mit neuem Album: Dieser elende Hunger

Mit „Hopeless Fountain Kingdom“ steht die junge US-Popsängerin Halsey an der Spitze der Charts. Wie gut und wie kalkuliert ist ihre Musik?

Begehren und begehrt werden: Halsey Foto: Brian Ziff

Amerika brennt nicht. Wenn es manchmal aus der Ferne auch so scheint. Selbst aus mancher Innenperspektive. Kam ein Mainstreamsound der Gegenwart nahe, so wird dies meist zum Ausdruck gebracht in Form von künstlerischer Wut, wie zuletzt bei Kendrick Lamar und Beyoncé, die hinter persönlichen Krisen ein gespaltenes Land zeichneten, mit Rassismus, Ungleichheit und notwendigen Selbstermächtigungen.

Dabei müsste ein Album, das wirklich den Anspruch hätte, die Gegenwart im Land der Pop-Superstars zu zeichnen, Ärger und Dada, Komik und Tragik der Situation zugleich zeigen.

Die junge Sängerin Halsey, obschon biografisch dazu prädestiniert, solche Gegensätze in einem Great American Record abzubilden, wählt einen anderen Weg – ähnlich dem, den Lady Gaga wählte bei ihrer Superbowl-Show im Februar, als sie, in einer merkwürdigen Inszenierung zwischen Pathos, Patriotismus und Provokation, dem Fahneneid eine verbindende Message abrang.

Lohn der Wandelbarkeit

Dabei war das Debüt der 22-Jährigen 2015 tatsächlich als ein solcher Versuch lesbar. Die Dystopien von „Badlands“ waren Marker für den Zustand der Mil­len­nial-­Generation, die Halsey in ihrer Erfolgssingle „New Americana“ auf den Punkt gebracht hatte: Sie skizzierte musikalisch einen Zustand, in dem die gesellschaftlichen Kämpfe zwischen den damit assoziierten Musikstilen, zwischen ­Suburbs und Innenstadt in einem kollektiven Egal-Rausch aufgehen: „High on legal marihuana / Raised on Biggie and Nirvana“.

Ihr nun erschienenes zweites Album, „Hopeless Fountain Kingdom“, verfolgt ein Konzept, ein dunkel futuristisches „Romeo und Julia“, dem Baz Luhrmanns Verfilmung die Ästhetik mitliefert – Leonardo DiCaprio und Claire Danes, Kitsch und Krawall. Eine komplizierte Lovestory also, natürlich erweitert um die notwendigen minimal-autobiografischen Hinweise auf Halsey selbst, ohne die ein Popalbum, insbesondere das einer jungen Frau, keinen Mainstreamerfolg erringen kann.

Die Musik dürfte alle versöhnen: Die Trommeln dringen aus einem Stadion der Achtziger, Beats und Klangfarben aus den klugen Clubs und Melodien aus dem Radio. Halseys Stimme zitiert derweil kunstvoll Britney Spears bis Rihanna. „Hopeless Fountain Kingdom“ ist für die hohe Chartplatzierung gebastelt, die es nun errang: Lohn vorhersehbarer Wandelbarkeit.

Als Figur ist Halsey wesentlich spannender. Ihre Karriere verlief selbst wie eine auf den Punkt gebrachte postmoderne Starbiografie, in der nicht mehr alte Männer hübsche junge Mädchen zum Erfolg casten, sondern diese sich selbst im social web dazu erheben. Inwiefern Ashley Nicolette Frangipane, so ihr Geburtsname, einen Tick zu perfekt die Diskurse ihrer Generation verkörpert, wird in den USA heiß debattiert.

Reduktion auf Hashtags

Sie selbst ist eher verärgert, dass ihr Leben – und die Komplexität von Diskriminierungsmechanismen – allzu oft auf einen Hashtag reduziert wird: „tri-bi“ heißt der und spielt auf ein dreifaches Dazwischen an: Halsey ist bisexuell, Tochter eines Vaters of color und einer Weißen („bi-racial“) und nicht zuletzt manisch-depressiv – bipolar.

So einfach es wäre, das auf bloßes Marketing zu reduzieren – dass alle diese Kategorien Stimmen nötig haben, wird deutlich im Aufruhr, den die Single „Strangers“, auslöste, ein Straight-forward-Duett mit der ebenfalls bisexuellen Sängerin Lauren Jauregui. „Strangers“ ist so etwas wie die Fernsehgarten-Inszenierung gleichgeschlechtlicher One-Night-Stands, lesbisches Begehren, das über reinen Sex und romantische Liebe hinausgeht: „We’re not lovers, we’re just strangers / With the same damn hunger / To be touched, to be loved, to feel anything at all“.

Halsey: „Hopeless Fountain Kingdom“ (Universal)

Live: Hurricane Festival, Scheeßel, 24.6.

Dass das 50 Jahre, nachdem die Doors im TV „high“ sagen durften, 14 Jahre nach dem Stage-Kiss von Madonna, Britney Spears und Christina Aguilera tatsächlich einer Erwähnung bedarf, ist eigentlich ziemlich peinlich für eine Popkultur, die manchmal zu vergessen scheint, ihre gesellschaftliche Avantgarde-Stellung zu beanspruchen. Eine, die Halseys Musik genauso wenig erringen will.

Im Grunde ist das eine Form von Pop, wie sie sich die Achtziger immer gewünscht haben: serielle Authentizität und Hyper-Zitat-Pop von Stilen, Songtexten und Themen. Alles ist möglich, solange es demokratisch zugänglich bleibt – bisweilen faszinierend, konzeptuell interessant, aber darum vielleicht auch ein Pop, der musikalisch nicht im Ansatz den Horizont erreicht, an dem interessanter Sound stehen können sollte, im Sommer 2017.

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