Doping in der BRD: Ausheulen beim Häuptling

Anlässlich einer Bundestagsanhörung: Ehemalige Leichtathleten aus der Bundesrepublik sprechen über Doping mit Anabolika im Westsport.

„Die Einnahme wurde trotz Verbotes toleriert“: Alwin Wagner im Jahr 1986 Foto: imago/Pressefoto Baumann

Doping in der alten BRD, das war das Thema in der letzten Sitzung des Bundestags-Sport­ausschusses vor der Sommerpause. Der Autor Simon Krivec stellte am Mittwochnachmittag den Abgeordneten seine Studie vor: „Die Anwendung von anabolen-androgenen Steroiden im Leistungssport der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1960 bis 1988 unter besonderer Berücksichtigung der Leichtathletik“ (erschienen im Logos-Verlag Berlin, 345 Seiten).

In diversen Fallbeispielen wird gezeigt, dass das Anabolika-Doping auch im Westen, vor allem in den Wurf- und Stoßdisziplinen sehr weit verbreitet war, wenngleich die Systematik einer staatlichen Steuerung fehlte. Dauerdoping war auch im Westen State of the Art. Gedopt wurde in kleinen Netzwerken, unterstützt durch gewissenlose Ärzte sowie Trainer und Funktionäre, die Bescheid wussten, aber immer wieder wegschauten, wenn Medikamente wie Dianabol, Stromba, For­ta­bol, Testosteron oder Megagrisevit zur Muskelmast eingenommen wurden. Wir dokumentieren Aussagen des Exathleten Alwin J. Wagner, fünffacher Deutscher Meister im Diskurswurf:

„(Bundestrainer Karlheinz Stein­metz) gab mir auch Anfang des Jahres 1977 das erste Mal Dianabol-Tabletten. Anfangs war ich skeptisch, doch bald schon sah ich die Erfolge. […] Von Funktionärsseite wurde ich nicht dazu aufgefordert, aktiv Anabolika einzunehmen, jedoch wurde die Einnahme trotz Verbotes toleriert. So wurden wir über unsere Trainer immer wieder darauf aufmerksam gemacht, wenn Dopingkontrollen anstanden.

Bei nationalen Wettkämpfen war aber augenscheinlich selbst das kein Pro­blem. So weiß ich noch, dass bei einer unangekündigten Dopingkontrolle ein Teamkamerad auf mich zukam und meinte, er sei ‚bis oben hin voll‘. Trotzdem gestand er mir einige Wochen später, dass dieser Test negativ ausgefallen war. […]

1977 wurde weder vom DLV-Trainer Steinmetz noch von den betreuenden Ärzten in Freiburg Aufklärung betrieben, welche Wirkungen und Nebenwirkungen durch die Einnahme der verschriebenen Medikamente eintreten können. Vielmehr hat Prof. Keul mir damals versichert, es sei alles ok und ich könne ruhig mehr einnehmen. Ich habe immer wieder mit Prof. Klümper über Anabolika gesprochen, auch über die aufgezählten Nebenwirkungen in den Beipackzetteln. Klümper hat diese dann immer verharmlost und gemeint, dass die Firmen das alles aufschreiben müssten, um sich rechtlich abzusichern. […]

„Das ist hier tabu“

Ende der Siebziger wurde mir von den Ärzten gesagt, dass man die Anabolika rund 14 Tage vor dem Wettkampf absetzen müsse, um keinen positiven Dopingbefund zu riskieren. Diese Frist wurde dann im Laufe der Jahre auf 10 Tage heruntergeschraubt. Das Testosteron könne bis 1 Tag vor dem Wettkampf bedenkenlos angewendet werden. […]

In den 80er Jahren war ich der ‚Häuptling‘. Da kamen viele Athleten zu mir und haben sich regelrecht ausgeweint. Ich war ja damals Kapitän der Nationalmannschaft. Die sagten dann: ‚Wir müssen immer mehr nehmen, die Normen gehen höher und höher. Was sollen wir denn bloß machen?‘ Als ich das Thema bei einer Sitzung in Frankfurt vortrug – alle Top-Athleten waren dabei –, sagte mit der Präsident Kirsch: ‚Das ist hier tabu.‘ Kirsch wusste es, Blattgerste [H. Blattgerste, Leistungssportdirektor des Deutschen Leichtathletikverbands] wusste es, auch Frau Bechthold, die heute noch Vizepräsidentin des DLV ist.“

Skrupel hat es bei der Einnahme der verbotenen Mittel eher nicht gegeben. Ein Kollege von Wagner, der Kugelstoßer Gerd Steines, berichtet: „Anabolika waren für mich immer nur ein gesundheitliches Pro­blem, nie eins der Fairness, Ethik oder Moral. Ich habe die Anabolikaeinnahme nie als unerlaubten Vorteil betrachtet, sondern als selbstverständliche Vermeidung eines eventuellen Nachteils.

Mir war nie wohl in meiner Haut, wenn ich Anabolika nahm, aber ich sah nur die Alternative, Höchstleistung anzustreben oder den Leistungssport aufzugeben. Das hätte ich im Übrigen getan, wenn mir die Mediziner, auf deren Kompetenz ich vertraute, nicht die Unschädlichkeit von in kon­trol­lierten Dosierungen eingenommenen Anabolika versichert hätten.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.