„Fest wäre die treffendere Bezeichnung“

FREILUFT Der House-Produzent Frank Wiedemann organisiert mit dem Musiker Ry X das „Sacred Ground“-Festival in der Uckermark. Ein Gespräch über Berliner Freunde und kraftspendende Landidylle

Die Band Howling wird auch in der Uckermark auftreten Foto: Sacred Ground

Interview Gunnar Leue

taz: In der üppigen Festivallandschaft hat das Sacred Ground Festival eine Nische gefunden und präsentiert sich als das „andere“ Festival. Was heißt das konkret?

Frank Wiedemann: Vor drei Jahren hatten Ry und ich festgestellt, dass wir zusammengenommen in sehr vielen Projekten Musik machen, sodass wir allein damit ein großes stilistisches Spektrum abdecken. So entstand die Überlegung, wenn wir alle mal zusammen aufträten, wäre das eigentlich fast ein Festival. Von da war der Schritt nicht weit, dies tatsächlich mit befreundeten Musikern, Bands und DJs zu realisieren. Wichtig ist uns, dass zwar alle aus unterschiedlichen musikalischen Richtungen kommen, sich in der Denkweise als Künstler aber doch sehr ähneln.

So wie es bei Ihnen und Ry X der Fall ist?

Ja, Ry kommt hauptsächlich von der akustischen Musik, den Begriff Folk verwendet er selbst ja nicht so gern, und ich komme aus dem House- und Techno-Bereich. Unser Projekt Howling ist die Essenz, in dem beides zusammenfließt. Mit dem Festival wollten wir auch einen Rahmen schaffen, wo diese beiden Welten aufeinandertreffen können. Musiker, die sich sonst nie über den Weg laufen, weil die einen nur auf Dancefloors anzutreffen sind und die anderen eher auf Bühnen für Gitarrenmusik, sollen mal einen gemeinsamen Anlaufpunkt haben. Unsere Hoffnung ist, dass sie vielleicht gegenseitig Anknüpfungspunkte entdecken und daraus irgendwann etwas entsteht. Ein bisschen vergleichbar ist das vielleicht mit der Uridee des Montreux-Festivals, wo ein Leonard Cohen und Al Jarreau, die sich normalerweise nie auf einer Konzertbühne getroffen hätten, eben doch mal zusammenkamen. Nur, dass wir das alles in einem sehr familiären Rahmen machen.

Weil es eine kritische Masse für ein Festival gibt?

Es ist doch so, dass auf den größeren Festivals die Leute meist hin- und herrennen zwischen zwei, drei Bühnen, um zu schauen, wer spielt hier oder da. Und zwischendurch verabredet man sich noch mit den Freunden. Das läuft bei uns anders. Alles ist überschaubar, man trifft sich automatisch ständig wieder. Es wird auch nichts groß abgesperrt und es gibt auch keinen VIP-Bereich für die Musiker, sondern alle sind überall. Eigentlich ist das Wort Festival gar nicht treffend für unsere Veranstaltung. Es handelt sich eher um ein Fest, zu dem unsere Freunde eingeladen sind, um mit uns Musik zu machen oder einfach nur, um neue Musik zu hören und Leute zu treffen, mit denen man mal Musik gemacht hat oder irgendwann machen könnte.

Kunst und Gemeinschaftsgefühl sollen gleichermaßen das Festival bestimmen. Welche Rolle spielt der Ort für die Entstehung so eines Spirits?

Eine sehr große. Genau deshalb haben wir einen Ort ab vom Schuss gesucht, wo man in Ruhe Musik hören kann und dieses Gefühl des Auf-dem-Sprung-seins gar nicht aufkommt. In Berlin ist es ja oft so, dass man die ganze Zeit denkt, jetzt muss ich wieder los, weil in der Nachbardisko noch was läuft, was ich auch sehen will. Wer zu uns muss kommt, muss sich schon auf die Andersartigkeit einlassen. Der Ort hilft dabei total. Auch mir als Künstler.

Frank Wiedemann

Foto: privat

wurde 1973 geboren. Anfang der Nuller startete er mit Kristian Beyer das House-Duo Âme. Neben dem Projekt Schwarzmann (mit Henrik Schwarz) arbeitet er mit dem Australier RY X. Ihr Name „Howling“ beruht auf dem Titel ihres ersten Hits.

Inwiefern?

Ich habe häufig an einsamen Orten Musik gemacht. Oft auch nur aus Zufall, weil ich zum Beispiel auf Tour irgendwo einen Off-Day hatte, sei es in einem perfekt ausgebauten Studio irgendwo in England, das zufällig auf dem Weg lag, oder auf einem Bauernhof in Süddeutschland. Nach meiner Erfahrung ist der Ort, an dem wir Musik machen, wichtiger als das Equipment oder die Akustik in einem Raum. Und ich glaube, dass speziell dieser Ort in Trampe [gehört zur Gemeinde Brüssow; d. R.] eine besondere Ruhe ausstrahlt. Als ich das erste Mal dort war, habe ich mich sofort wohl gefühlt. Ich bin jetzt nicht wirklich spirituell, aber ich finde, dass man hier definitiv eine besondere Energie spürt.

Sacred Ground, geheiligter Ort – haben Sie ihn gesucht oder gefunden?

Beides. „Sacred Ground“ heißt ja auch unser erstes Howling-Album, den passenden Namen hatten wir also schnell gefunden. Den Ort hat Max, der alles organisiert, entdeckt – ein Bekannter von ihm lebt in Trampe. In dem Dorf wohnen vielleicht 50 Leute. Unser Festivalgelände ist ein klassischer alter Bauernhof mit riesiger Scheune, die wir wegen der Brandschutzbestimmungen leider nicht benutzen dürfen, die aber die Kulisse bildet. Das Areal, zu dem noch mehrere kleine Höfe und eine Kirche gehören, ist so idyllisch, dass man sich glatt vorstellen könnte, dahin zu ziehen.

Wurden Sie von den Dorfbewohnern denn gleich mit offenen Armen empfangen?

Im ersten Jahr mussten wir uns natürlich vorstellen. Aber die Leute fanden unser Vorhaben gleich toll. Nach der Premiere 2015 sagte der „Ortsvorsteher“, dass wir es unbedingt wiederholen sollten. Es gibt nur einen Bewohner im Ort, der das Festival nicht mag. Dem bieten wir immer ein kostenloses Wochenende woanders an.

In Berlin?

Beim Festival Sacred Ground treffen unterschiedliche Musikstile aufeinander

Nein, an einen Ort seiner Wahl. Ansonsten sind aber alle mit Eifer dabei, die würden am liebsten selber so was wie Dance­floors in ihrem Garten errichten. Letztlich macht das ganze Dorf mit, die Bewohner backen Brot, helfen als Parkplatzeinweiser oder stellen ihren Grund als Zeltplatz zur Verfügung.

Erstaunlich, wo doch die Landbevölkerung nicht unbedingt als Fans von Musik gilt, die man zum Beispiel mit dem Berghain verbindet?

Na ja, es gibt in dem Ort schon ein paar Berliner Aussiedler, was die Sache begünstigt. Denen hat es gleich gefallen, dass dieses Festival Musik zu ihnen bringt, die sonst in den Clubs läuft und das Nachtvolk anzieht, aber zugleich auch die Familien im Dorf anspricht. Ich habe es selten erlebt, dass so viele Kinder auf einem Festival rumspringen.

Dem Grundgedanken von Offenheit frönen Sie auch mit einem nicht existierenden Zeitplan?

Ja, wir haben keinen Zeitplan, wer wann spielt. Das tut unserer Ansicht nach der künstlerischen Offenheit gut. Es gibt auch nur eine Bühne, beziehungsweise nachts ein Zelt, wo jeweils etwas passiert. Die Zuhörer müssen sich also auf das einzige Ge­schehen einlassen. Sie werden, ob sie wollen oder nicht, in das Experiment mit reingezogen. Dafür bekommen sie hoffentlich das Erlebnis: Normalerweise hätte ich mir den wohl gar nicht angehört, aber so habe ich es zum Glück, toll! Bisher haben wir jedenfalls nur positives Feedback erhalten, auch wenn an der einen oder anderen Stelle etwas improvisiert wurde, weil letztes Jahr wegen des Besucheransturms zum Beispiel das Sonntagsfrühstück nicht reichte.

Das Sacred Ground Festival findet vom 21. bis zum 23. Juli in Brüssow statt. U. a. spielen RocketNumberNine, Tender Central, Schwarzmann, The Invisible, Thomas Fehlmann, Ry X, Nick Mulvey, The Legendary Lightness, Âme DJ, Alex.Do, Káryyn, Hannah Epperson, Robag Wruhme, Alex From Tokyo, Howling und Gigi Masin.

Eintritt: 89,50 Euro

Anreise: mit dem Regionalexpress RE3 bis Prenzlau und dann weiter im Shuttle-Bus nach Brüssow.

Beim Besucherkontignent hört die Grenzenlosigkeit dann doch auf?

Um die 1.000 Besucher sind für das Gelände geeignet. Da sind die Regularien für die Sicherheit noch überschaubar und es gibt viel Freiraum für den Spaß der Festivalgäste, die auf einer Riesenwiese am See zelten können. Ein Anwohner hat fürs Badengehen sogar einen Zugang zu einem See freigelegt.

Raus aus Berlin, rein in die Uckermark zum Runterkommen, das ist ja nicht zuletzt unter Berliner Künstlern schwer angesagt. Kommen einem in so einer Landschaft andere Gedanken als in der Stadt?

Es fühlt sich auf jeden Fall deutlich anders an. Ich bin, so gut es geht, immer gern auf dem Land, meistens in Süddeutschland bei meiner Familie. Für mich ist es essenziell, mich mehrmals im Jahr für ein paar Wochen aus der Großstadt rauszuziehen, um zu entspannen. Das hat mit der Luft zu tun und der Ruhe und dem Weitblick. Ja doch, die Natur bringt mich auf andere Gedanken.