Mädchen, die fortlaufen

Kino Das Lichtblick-Kino zeigt in der Reihe „Zurück auf Anfang“ das filmische Frühwerk Kirsi Marie Liimatainens

„Frühlingshymne“ stellt in gut vierzig Minuten die neunjährige Iris vor Foto: Lichtblick

von Carolin Weidner

Die Mädchen in den Filmen der Finnin Kirsi Liimatainen sind allein. Ihre Mütter bieten keine Stütze, denn die sind viel zu sehr mit sich beschäftigt. Sie leben in ostdeutschen Plattenbauten und rauchen, während sie den Lippenstift nachziehen und die Augenlider grün schminken („Frühlingshymne“). Sie nennen ihre Töchter „Madame“ („Frühlingshymne“, „Sonja“) und meinen nichts Gutes damit. Sie geben keine Antwort, wenn Fragen brennen. Sie leben mit Männern zusammen, die nichts taugen und laden den entstandenen Frust bei ihren Kindern ab. Und die Mädchen laufen fort, wenn sie es nicht mehr ertragen („Modlicha“, „Frühlingshymne“).

Jeden Monat zeigt das Lichtblick-Kino die Reihe „Zurück auf Anfang“, die einem jeweiligen filmischen Frühwerk gewidmet ist. Am 26. Juli sind es drei Filme Kirsi Marie Liimatainens, deren aktuelle Produktion „Comrade, Where Are You Today?“ 2016 in die Kinos kam. Eine autobiografische Doku-Reise, die Liimatainens Übersiedlung in die DDR zum Ausgangspunkt hat. Hier studierte sie ab 1988 an einer internationalen Jugendhochschule Leninismus und Marxismus. Im Film fragt sie sich: Was ist mit all den Kommilitonen von damals passiert? Was wiederum bei Kirsi Liimatainen passiert ist, das lässt sich anhand ihres Schaffens nachvollziehen: Von 1999 bis 2006 hat sie an der HFF Babelsberg Regie studiert – „Modlicha“ (2002), „Frühlingshymne“ (2002) und „Sonja“ (2006) sind in dieser Zeit entstanden.

Und es lohnt, diese drei Filme als Ensemble an einem Abend zu sehen. Es sind unterschiedliche Arbeiten, schon allein deshalb, weil „Modlicha“ ein Dokumentarfilm ist, während es sich bei „Frühlingshymne“ und „Sonja“ um Spielfilme handelt. Und trotzdem scheinen alle derselben Triebfeder entsprungen, wiederholen bestimmte Stadt- und Landmotive, Suchbewegungen und das Scheitern an einer Welt, die man als die der Erwachsenen bezeichnen könnte. Die junge Polin in „Modlicha“ begegnet ihr etwa als Punkerin in Ost-Berlin, wo es auch 2002 noch recht leer und trist anmutet. An einigen wenig attraktiven Häuserfassaden fallen Anzeigen zum Kauf von Eigentumswohnungen auf. Modlicha ist mit einer Gruppe anderer Punks unterwegs, die sich ein paar Mark mit dem Putzen von Windschutzscheiben an der Siegessäule verdienen, woraus die Bild-Zeitung eine Story macht.

Modlicha hat sich eine neue Familie gesucht, Liimatainens Porträt ist eine kleine Erfolgsgeschichte, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag. „Frühlingshymne“ und „Sonja“ sind gefühlsmäßig in den Jahren vor dem Ausbruch angesiedelt und geben Einblick in einen Alltag, der gerade wegen seiner Gewöhnlichkeit beklemmt. „Frühlingshymne“ stellt in gut vierzig Minuten die neunjährige Iris vor, die mit ihrer Mutter und Großmutter in Marzahn lebt. Ein Frauenhaushalt, aus dem keine Solidarität erwächst, ganz im Gegenteil stehen Mütter und Töchter in einem geladenen Verhältnis zueinander, lediglich zwischen Iris und der „Superoma“ flirrt es liebevoll. Weswegen Iris von ihr auch die ersehnte Jeansjacke erhält, die zufällig genauso aussieht wie die von Michi, in den Iris verliebt ist.

Die Mütter in ihren Filmen leben mit Männern zusammen, die nichts taugen

Ein ziemlich kompliziertes Umfeld, das Liimatainen klar aus der Perspektive der Kinder beobachtet. So kann es einem beim Sehen von „Frühlingshymne“ ähnlich ergehen wie Iris und ihrer Freundin Mira, wenn beide beim Spielen ein Kondom in den Büschen entdecken: Man ist erschrocken, aber doch auch ein bisschen aufgeregt. Gefühle, die sich in „Sonja“ nur noch steigern, Liimatainens Diplomfilm. Auch in ihm gibt es eine Mädchenfreundschaft und überforderte Mütter, eine Plattenbausiedlung und Neuartiges aus dem Reich der Sexualität. Nur dem Kindesalter ist man nun entwachsen, Sonja und ihre Freundin Julia tanzen auf Technopartys und fahren Moped, Sonja hat sogar einen Freund, der mit ihr schlafen möchte.

Eine an sich schöne Aufstellung, sommerlich obendrein, doch „Sonja“ handelt von unerwiderter Liebe und Dingen, die sich nicht so einfach aussprechen lassen, schon gar nicht, wenn man selbst nicht ganz weiß, wie einem eigentlich geschieht. Nöte, die Kirsi Liimatainen einfühlsam und glaubhaft darstellt. Wunderbares Zeitzeugnis ist diese Triplett außerdem.

Filmabend Kirsi Marie Liimatainen, Lichtblick, 26. 7., 19.30 Uhr