Nach dem Hochhausbrand in London: Die Wut der Überlebenden

Die für das Inferno-Hochhaus in London zuständige Bezirksverwaltung stellt sich erstmals den Opfern. Die sind entäuscht.

Menschen, zwei davon mit Gasmasken, mit Protestschildern

Kundgebung am Mittwoch in London Foto: dpa

LONDON taz | Dass die Bezirksratssitzung des Londoner Stadtteils Kensington & Chelsea am Mittwochabend etwa Besonderes werden würde, war von Anfang an klar. Sowohl vor dem Rathaus der Gemeinde, in der das mit mindestens 80 Toten abgebrannte Hochhaus Grenfell Tower steht, als auch in einem größeren Konferenzsaal wurde die Sitzung auf Großbildleinwänden übertragen. Vor dem Rathaus protestierten Hunderte. Im Sitzungssaal blieb kein einziger Platz frei.

Es versammelten sich die Überlebenden des Grenfell Infernos – Menschen verschiedenster ethnischer Hintergründe und Religionen – gegenüber den überwiegend weißen, teils förmlich gekleideten Gemeinderäten. Es war ihr erstes kollektives Zusammentreffen seit dem verheerenden Brand in der Nacht zum 14. Juni.

Nachdem die Konservative Elizabeth Campbell zur neuen Bezirksbürgermeisterin ernannt wurde, entschuldigte sie sich zunächst für die Inkompetenz der Behörden nach dem Feuer, und sprach von der Notwendigkeit eines Richtungswechsels. Man müsse nun Seite an Seite mit den Bürgern arbeiten. Dabei musste sie zahlreiche Beschimpfungen über sich ergehen lassen. Überlebende bezeichneten sie als Lügnerin und verlangten ihren Rücktritt.

Also lud die frischgebackene Bürgermeisterin die Überlebenden ein, selbst ans Mikrofon zu treten. Und das veränderte den Verlauf des Abends.

Verlorenes Heim, verlorene Menschen

Erst machten zwei ehemalige Bewohner klar, dass ihre Hoffnungen enttäuscht wurden und dass sie kein Vertrauen in Campbell hätten. Nicht nur die konservative Bezirksregierung, auch andere wurden des Versuchs bezichtigt, die Katastrophe politisch auszubeuten.

Als dann Mahbooheh Jamalvatan, die mit ihrer Familie im dritten Stock des Towers gelebt hatte, das Wort ergriff, senkte sich gebannte Stille über den Raum. Mit müden dunklen Augen und teilweise emotionaler, jedoch klarer Stimme zitierte die Iranerin mittels einer Übersetzerin das Gedicht Bani Adam des persischen Poeten Saadi Shirazi sowie „For whom the bell tolls“ des mittelalterlichen englischen Dichters John Donne. Sie hob den Schlüssel ihrer abgebrannten Wohnung hoch und sprach vom verlorenen Zuhause, von verlorenen Menschen, von Überlebenden, „die auf sich selbst zurückgefallen sind“. Die Stadtbehörde müsse auf sie und andere hören.

„Warum predigt ihr Menschenrechte in fremden Ländern, und wenn Menschen aus diesen Ländern zu euch kommen, haben sie keine Menschenrechte?“, fragte sie vorwurfsvoll. „Wozu der Unterschied zwischen Menschen in Sozialwohnungen und in Privatwohnungen?“

Hilfe aus der Gemeinschaft

Viele andere sprachen von der Unangemessenheit ihrer Behelfsunterkünfte, vor allem Hotelzimmer. Amina Mohamed, die im achten Stock lebte, gab an, dass sie seit dem Inferno viermal mit ihrer Familie umziehen musste. Alle Überlebenden bestätigten, dass die wahre Hilfe nach dem Inferno nicht von Behörden kam, sondern aus der eigenen Gemeinschaft.

Campbell versprach, was sie konnte. Die Frage der Unterkünfte werde so schnell wie möglich gelöst. Es sollten auch alle Sanierungen unterbrochen und überarbeitet werden. Es würden in den nächsten fünf Jahren 400 neue Sozialwohnungen gebaut oder gekauft werden. Der Bezirk werde dafür auch seine Finanzreserven anzapfen.

Nach vier Stunden im heißen Saal meldete sich Jamalvatan noch mal zu Wort. Sie forderte, die verkohlte Ruine von Grenfell Tower zu verhüllen, da der Anblick für viele Überlebende unerträglich sei. Dann brach sie vor aller Augen zusammen. Sanitäter eilten herbei. Die Sitzung wurde vertagt, gegen den Wunsch vieler Überlebender. Jetzt ist erst einmal Sommerpause in London.

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