zwischen den rillen
: Donnergrollende Umarmung aus einem Himmel voller Drama

Broken Social Scene: „Hug of Thunder“ (City Slang/Indigo)

Beim Hören von „Hug of Thunder“, dem ersten Lebenszeichen von Broken Social Scene seit sieben Jahren, bin ich sofort angetan – und zugleich unbeeindruckt. Angetan, weil das kanadische Kollektiv auch auf seinem fünften Album seit „You Forgot It in ­People“ (2002) macht, was es immer gut konnte: Barocken Americana-Pop, der so breitwandmäßig daherkommt, dass er Arenen füllen könnte – wäre da nicht das Quäntchen Weirdness, das seinen Output spröder klingen lässt als etwa den der wirklich stadionkompa­tiblen Arcade Fire, einer von vielen von Broken Social Scene beeinflussten Bands.

Diese Kontinuität ist wiederum auch genau der Grund, warum man unbeeindruckt bleibt. Ganz offenkundig will diese Band nichts neu erfinden. Tritt man ein paar Schritte zurück und lässt das Ganze eine Weile wirken, offenbart sich jedoch – wie bei Malen nach Zahlen – ein kompletteres und auch schillernderes Bild. Neben subtilen Befindlichkeitskommentaren (wie klarkommen in einer immer vergifteteren Kultur?) steckt in den zwölf Songs ein Klang gewordenes Landschaftsgemälde, wie es ein Caspar David Friedrich nicht schöner hinbekommen hätte: Silberstreifen am Horizont, schwarze, sich auftürmende Gewitterwolken, aber auch ein Fitzelchen unschuldiges Blau – ein Himmel voller Drama, was der schön ambivalente Titel „Hug of Thunder“ schon andeutet.

Das Donnergrollen, von dem man sich umarmen lässt. Oder doch die schwarze Wolke, die sich über alles legt. Wer mag da nicht auch einen Kommentar zur politischen Lage lesen? Kevin Drew zufolge, zusammen mit Brendan Canning der Kern dieses Kollektivs (das über die Jahre zwischen 6 und 19 Mitgliedern zählte, am neuen Album waren 15 beteiligt), sollte man nicht zu viel reinlesen. Für ihn stellt das einfach einen Kommentar zur Band dar, „it’s just such a wonderful sentiment about us, coming in like a hug of thunder“. Broken Social Scene setzen wunderbare Gefühle frei, sie rollen an wie eine donnernde Umarmung.

Manche Mitglieder von BSS sind in anderen Konstellationen und Bands unterwegs, Leslie Feist etwa ist als Solokünstlerin inzwischen sehr erfolgreich. Dass bei „Hug of Thunder“ wieder mehr alte WeggefährtInnen beteiligt sind als auf dem Vorgänger „Forgiveness Rock Record“ illustriert nur, was man für eine zentrale Botschaft des Albums halten kann: für Miteinander gibt es kein virtuelles Substitut.

Da nimmt man auch als Hörerin die Einladung gerne an, es sich im zugerümpelten Wohnzimmer des Kollektivs gemütlich zu machen und abzuwarten, was passiert, wenn alte Freunde in der Lebensmitte neu zusammenfinden. Die Mitglieder von Broken Social Scene ziehen nicht mehr unbedingt am gleichen Strang, dafür treten die individuellen Qualitäten stärker hervor, hier vor allem die der Vokalisten. Der Titelsong „Hug of Thunder“, gesungen von Leslie Feist, lässt einen leisen Moment zu, wie er früher vielleicht dem klanglichen Maximalismus zum Opfer gefallen wäre. Immer wieder ebbt der Überschwang ab – was dem Album eine teils zerfaserten Anmutung gibt. Doch wie gesagt: Tritt man einen Schritt zurück, wird ein Bild daraus.

Im rumpelig-postpunkigen „Vanity pail Kids“ steckt eine recht vorhersehbare Aufforderung, leben in der Gegenwart (im Waschzettel mosert Drew über Handys als „Anti-Transzendenz-Geräte“ und beschließt seine Tirade mit einem pathetischen „And we’re getting killed, we’re getting killed“.

Für solchen Kulturpessimismus werden BSS wohl Schelte einstecken. Aber was soll’s, die Musik klingt einfach gut. Und als Gegengift zum Pathos schwingt auch immer eine Prise Humor mit, etwa beim tollen „Protest Song“, gesungen von Emily Haines (sonst bei der Indieband Metric aktiv). Hier führen BSS die Geschichte von Widerstandshymnen mit der von gescheiterten Liebschaften zusammen. Und liefern eine schöne Antwort, wie Anfechtungen des Lebens auch zu begegnen wären: „Just take it like you are strong“ („Steck’s weg, als wärst du stark“). Was soll man auch sonst ­machen?

Stephanie Grimm