Die Zärtlichkeit des Lärms

Festival „A L’Arme!“-Auftakt mit Gitarrenkunst: Caspar Brötzmann und Thurston Moore im Berghain

Es war laut. Großer Lärm. Und er tat gut. Man konnte sich ihm anvertrauen, man durfte sich in ihm geborgen fühlen, in dem Tosen und Dröhnen, das diese beiden Gitarristen am Mittwoch zur Nacht hin im Berghain entfachten, Caspar Brötzmann und Thurston Moore am Auftaktabend des „A L’rme!“-Festivals.

Mit seiner fünften Ausgabe darf das Fachfestival für Avantgardejazz und andere Experimentalmusiken in diesem Jahr ein erstes kleines Jubiläum feiern. Wobei man sich das mit dem Jazz am ersten Abend weitgehend verkniff und stattdessen zuerst mit einem unterschiedlich rhythmisierten Knarren, Knarzen und Knattern aufwartete, das der Laptop-Musiker Frank Bretschneider mit akkurat dazu synchronisierten Bewegtbildern garnierte. Tanzende oder explodierende Lichtpunkte, ausschwingende Linien, solche Sachen. Letztlich war der Auftritt Bretschneiders ein audiovisueller Vortrag über die Möglichkeiten des Elektronischen und darüber, dass halt auch im digitalen Gewerbe hübsches Kunsthandwerk gemacht werden kann.

Was alles mit der elektrischen Gitarre möglich ist, zeigten im Anschluss Caspar Brötzmann (unvermeidlich wohl weiter der Hinweis, dass er der Sohn der Freejazz-Legende Peter Brötzmann ist) und Thurston Moore (genauso unvermeidlich der Hinweis auf dessen Sonic-Youth-Vergangenheit). Der Lärm. Der ganz behutsam geschichtet wurde, mit einer Sorgfalt und, ja, Zärtlichkeit. Zwischendurch wurden da zwar schon auch einige rockgitarristische Posen und Soundhaltungen durchgespielt, einfach aber mal die Rocksau rauslassen wollten die beiden nie. Konzentriert und eher introvertiert sortierten sie die Frequenzen, spannen sich ein in das große Dröhnen.

Alte Punkrocker könnten jetzt natürlich mäkeln, dass man es hier doch nur mit einem lang ausgedehnten Gitarrensolo-Doppel zu tun hatte. Die anderen, die gern in diesen Kokon schlüpften, werden sich eher wieder mal gewundert haben, wieso dieser Caspar Brötzmann immer nur ein Geheimtipp geblieben ist.

Mit dem aus Norwegen kommenden, von einer Orgel angeführten Trio Elephant9 blieb es deftig laut. Und weil im Moment sowieso niemand weiß, in welcher Richtung die musikalische Zukunft liegt, kann so eine Zukunftszugewandtheit eben durchaus mal gerade daran abgelesen werden, dass dieses Trio musikalisch und auch optisch bestens in eine Siebziger-Jahre-Doku passen würde mit seinem kompakten und schwerblütigen Progrock. Weil dazu noch so eine Deep-Purple-Heavyness zu hören war bei Elephant9, durfte man sogar headbangen.

Der Abend im Berghain war also ein heftiger, in seiner Lautheit immer plausibler – bei entsprechender Gestimmtheit deswegen beglückender – „A L’Arme!“-Auftakt. Jazz gibt es bei dem bis Samstag dauernden Festival auch noch, dann mit dem Radialsystem als Spielstätte. Und am Freitag kann man ein weiteres Mal Caspar Brötzmann und Thurston Moore – dann getrennt mit ihren eigenen Projekten – hören. Thomas Mauch