Der Pomp blieb draußen

Salzburger Festspiele Ihre Bilder gewinnen Wirkungskraft aus ihren Beschränkungen: Die bildende Künstlerin Shirin Neshat inszeniert Verdis „Aida“ in subtilen Grauwerten, und ein ganzes Land feiert Anna Netrebko

Aus „Aida“ von Shirin Neshat Foto: Monika Rittershaus

von Uwe Mattheiß

Vor Jahren soll es an irgendeinem deutschen Stadttheater die Inszenierung von Guiseppe Verdis „Aida“ lange nach der Premiere in eine Repertoirevorstellung doch noch zum Skandal gebracht haben. Der Auslöser: Statt pharaonischer Opulenz mit Palmen, Goldlack und Pappmaschee-Elefanten fasste sich das in mattem Grau gewandete Chorensemble des Hauses mit der einen Hand an die Nase und ließ den anderen Arm davor pendeln wie Kinder, die sich Elefanten vorstellen. Die mit dem Bus angereisten FreundInnen des Landabonnements fanden sich um den erwarteten sinnlichen Gegenwert betrogen.

Auch wenn diese schöne Episode vielleicht doch nur eine urbane Legende ist, spiegelt sie den Gemütszustand wider, der jene einsamen Buhrufer antrieb, die sich im Großen Festspielhaus der Salzburger Festspiele zur „Aida“-Premiere in den überwältigenden Jubel für Shirin Neshats Debüt als Operregisseurin verirrt hatten. Die aus dem Iran stammende, in New York lebende bildende Künstlerin unterzieht diesen Opulenz verheißenden Stoff genau jener klärenden, den Verstand adressierenden visuellen Diät, die ihre fotografischen Arbeiten aus und über den Iran zuvor vermuten ließen.

Formale Strenge, das Hervorkehren der konstruktiven Elemente, die jedem Bildaufbau latent zugrunde liegen, die eigenwillige Spannung zwischen Schrift und Körperlichkeit, die Schlagschatten in Schwarzweiß, die maskenhafte Erscheinung von Menschen in einem öffentlichen Leben, das von islamischen Ordnungsvorstellungen geprägt ist, all das fragt in ihrem Werk nach der Möglichkeit von Bildern nach und jenseits des Bilderverbots, das die religiöse Ordnung und die zur Ordnung der Macht gewordene Religion auferlegt. Ihre Bilder gewinnen Wirkungskraft aus ihren Beschränkungen. Selten war eine einzelne Geste so bedeutend, ein einzelner Blick so aufreizend wie unter der strengen Observanz der Gottesstaatsgesellschaft.

Der, man möchte sagen, behutsame Ikonoklasmus, mit dem Shirin Neshat den vier Akten der „Aida“, dieser exotischen Fieberfantasie des Westens, begegnet, erweist sich dramaturgisch schnell von Nutzen. Er unterstützt die Arbeit des Dirigenten Ricardo Muti über die stadiontauglichen Hits der „Aida“ hinaus, gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern, die Aufmerksamkeit der Hörenden auf die feingliedrigeren Elemente der Komposition vor allem in den beiden letzten Akten zu lenken.

Lebendig begraben

Der ganze Pharaonenhof reduziert sich auf einen zweigeteilten brutalistischen Baukörper (Bühne: Christian Schmidt). Zwei portalfüllende weiße Schalen werden auf der Drehbühne in einem jeweils der Szene dienlichen Winkel zueinander positioniert. Frontal zum Publikum öffnen sie sich beim Hofzeremoniell und schließen sich am Ende zu einem Würfel, der die getreue Aida (Anna Netrebko) und ihren geliebten Radamès (Francesco Meli) lebendig begräbt. Die Texturen der Bühnenbaukörper erinnern an Sichtbetonplatten aus den 1960er und 1970er Jahren, auf denen sich die Holzmaserung der Schalung eingeprägt hat. Sie fangen die Schatten der Streiflichter zu gewohnten Neshat-Bildern.

Die Videoeinspielung echter Flüchtlinge in armanigrauen Lumpen wirkt merkwürdig geschmäcklerisch

Ihr Ansatz dient auch dazu, das Drama bürgerlicher Seelenökonomie stärker herauszupräparieren jenseits des Pomps von Pharaonen, Pfaffen und Laffen. Die Kostüme von Tayana van Walsum verschmelzen geistliche Bekleidungskonventionen aller drei monotheistischer Religionen zu einem unerbittlichen Gottesstaatstableau. Doch hinter allen Prinzessinnen, Königen und Feldherren verbirgt sich unglückliches Begehren anno 1870/71. Da gibt es zwei Frauen, Königstochter Amneris (Ekaterina Semenchuk) und Aida, die unterworfene Fremde, dazwischen der Feldherr Radamès, den die Mesalliance mit Letzterer Reputation und damit das Leben kostet. Dahinter Aidas Vater, der Äthiopierkönig Amonasro (Luca Salsi), der seine Tochter zwischen Loyalität zu Stamm oder Nation und selbstbestimmter Objektwahl in den Tod treibt.

Der Pomp blieb draußen, beziehungsweise er war vorgelagert. Opernstars bilden in Österreich so etwas wie die Creme eines republikanischen Adels. Seit Tagen fieberte auch die Yellow Press dem erwartbar virtuosen Vortrag Netrebkos entgegen. Auch dem neuen Intendanten Markus Hinterhäuser gelten Bravos ob der vielen ausverkauften Vorstellungen, als ob das das Ziel staatlichen Kunsthandelns sei. Durchschaubar, aber dann doch einigermaßen aufgegangen war sein Kniff, „Aida“, die eigentlich den gesamten imperialen Wahn Europas in nuce beinhaltet, einer Künstlerin anzuvertrauen, die in den gebildeten Schichten einer Weltgegend sozialisiert ist, auf die Europa seine exotischen Projektionen selbst richtet. Ne­shat lässt sich aber gar nicht erst auf Ost-West-Antagonismen ein. Der kalte ägyptische Gottesstaat trägt Züge des Westens wie der islamischen Regimes. Die Äthiopier dagegen sind ihr die Heimatlosen der Gegenwart, die vor Kriegen und Klimakatastrophen flüchten.

Was in der Theorie stimmig ist, bleibt als Bild fraglich. Die Videoeinspielung echter Flüchtlinge in armanigrauem Lumpengewand wirkt merkwürdig geschmäcklerisch. Überhaupt scheint diese Oper ausinterpretiert. Seltsam resistent gegen zeitgenössische Deutungen bleibt sie ein Museum des bürgerlichen Subjekts seit dem 19. Jahrhundert, das individuelle Selbstverwirklichung und bloßen (wirtschaftlichen) Selbsterhalt nicht zusammenbringt.