Filmland Russland
: Märtyrer haben keine Affären

Die Kommunistische Partei wollte die Verteilung des Films im Untergrund ­organisieren

Vergangenheit zu erzählen, das bleibt in Russland ein hart umkämpftes Gebiet. Das zeigt der Streit über den Historienfilm „Matilda“ über Zar Nikolaus II., der jetzt doch wie geplant ab dem 25. Oktober in russische Kinos kommen soll, und das auch noch im ganzen Land. Das Werk entspreche den Rechtsnormen , erläuterte Wjatscheslaw Telnow, der die Filmabteilung im Kulturministerium leitet. Allerdings stehe es den örtlichen Behörden frei, über die Aufführung zu entscheiden.

Der Film des russischen Regisseurs Alexej Utschitel handelt von der amourösen Liaison des damaligen Kronprinzen, gespielt von dem deutschen Schauspieler Lars Eidinger, mit der polnischen Balletttänzerin Matilda Kschessinskaja. Als Nikolaus 1894 die deutsche Prinzessin Alexandra Fjodorowna heiratete, war die Romanze beendet. 1918 wurde die gesamte Zarenfamilie von den Bolschewiken ermordet.

Sturm gegen „Matilda“ lief – wieder einmal – die orthodoxe Kirche. Die Gottesmänner, die jetzt auch noch nächtliche Protestgebete veranstalteten, waren auch 2013 ganz vorne dabei. Damals ging es darum, die staatliche Förderung eines Films über Peter Tschaikowsky zu verhindern. Der war bekanntlich schwul – in Russland eine Todsünde und manchmal sogar ein Todesurteil. Diesmal war ein Stein des Anstoßes, dass die Kirche Nikolaus und seine Familie im Jahr 2000 als Märtyrer heiliggesprochen hatte. Und Märtyrer haben eben keine Affären.

Als eine der HauptkritikerInnen setzte sich auch Natalja Poklonskaja in Szene, die offensichtlich ihre monarchistische Ader entdeckt hat. Die Duma-Abgeordnete, die nach der Annexion der Krim 2014 als Staatsanwältin auf der Halbinsel ihr Unwesen trieb, sieht die Gefühle Orthodoxer verletzt. Zudem hätte sich Nikolaus II. niemals in eine so „vollkommen schlichte“ Polin verlieben können.

Poklonskaja befindet sich mit ihren Einlassungen in bester Gesellschaft. Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow, dessen Folterknechte sich gerne mal an Homosexuellen abarbeiten, schrieb sogar einen Brief an das russische Kulturministerium: „Wir, die Erben der Eroberer, müssen nicht nur die Erinnerung an die Verteidiger unseres Vaterlandes ehren, sondern auch die junge Generation im Geiste des Respekts vor ihrer Geschichte erziehen.“ Aus diesem Grunde solle der Film in der Kaukasusrepublik nicht gezeigt werden.

Bezeichnend war auch der Beitrag der Kommunistischen Partei zu der Debatte. Die wollte, wie aus alten Zeiten aber mit anderen Akteuren bekannt, die Verteilung des Films im Untergrund organisieren. Denn der Film erzähle die Wahrheit über die widerlichen Affären des letzten russischen Monarchen, wie Parteichef Sergej Malinkowitsch ausführte. Barbara Oertel