Debüt-Roman „Blaupause“: Zwischen Festen und Manifesten

Theresia Enzensberger erzählt in ihrem ersten Roman im Bloggerstil von einer jungen Frau, die sich mit Bauhaus-Patriarchen herumschlägt.

Die Autorin im Porträt vor Gewächshaus

Die Glashausgrenze ist nicht immer sofort sichtbar: Autorin Theresia Enzensberger Foto: Rosanna Graf

Nicht weniger als die Erschaffung einer besseren Gesellschaft war das Ziel des 1919 gegründeten Bauhauses unter der Leitung von Architekt Walter Gropius. In ihrem Roman „Blaupause“ erzählt Theresia Enzensberger von Erfolg und Misserfolg einer bald 100 Jahre alten Utopie – auf individueller, kollektiver und ideologischer Ebene.

Luise Schilling, Tochter aus gutem Hause in Berlin, kommt 1921 als Studentin ans Weimarer Bauhaus. So ehrgeizig wie naiv stürzt sich die Ich-Erzählerin von „Blaupause“ ins Architekturstudium. Sie taucht ein in den esoterischen Kreis um den Schweizer Maler und Naturmystiker Johannes Itten – der damals als einer der Ersten als Meister ans Bauhaus berufen wurde – und glaubt bald, durch Fasten-Rituale und Körperkult einen Zugang zur Kunst und neue Freunde gefunden zu haben. Im Kreise der Itten-Jünger lernt sie Jakob kennen, einen dandyhaften Studenten, der nicht nur ihr den Kopf verdreht.

Doch auf die erste Liebe folgt die erste Enttäuschung. Auf die erste Begeisterung die erste Entgeisterung. „Blaupause“, Theresia Enzensbergers Debüt als Schriftstellerin, ist ein chronologisch erzählter Entwicklungsroman, eine klassische Coming-of-Age-Geschichte, in die viele historische Details einflossen. Enzensberger hat Film und Filmwissenschaft in New York studiert, als freie Journalistin schreibt sie unter anderem für die Zeit, die FAZ und das Kunstmagazin Monopol.

Seit drei Jahren ist die 30-jährige Tochter von Hans Magnus Enzensberger Herausgeberin des Block Magazins, das nach einem interessanten Konzept funktioniert: das Heft, ein Hybrid aus Essays, Fotografien, Lyrik und Reportagen, wird erst ab 1.300 Bestellungen gedruckt. 2016 wurde Block mit dem Lead Award ausgezeichnet.

Theresia Enzensberger: „Blaupause“. Hanser Verlag, München, 2017, 256 Seiten, 22 Euro.

In „Blaupause“ beleuchtet die Autorin die Selbstermächtigung einer talentierten Frau in den Zwanzigern, die erstaunlich zeitlos erscheint. Zeitlos, weil die Geschichte der Bauhaus-Studentin zeigt, wie sich patriarchale Strukturen auch in einer vermeintlich fortschrittlichen Gesellschaft manifestieren können – und dass es sich lohnt, gegen sie zu kämpfen.

Die Vergangenheit abreißen

In Weimar und später in Dessau muss Luise sich auf einer Schule behaupten, deren Gründer sich zwar die Gleichberechtigung von Frau und Mann auf die Fahne schrieb, Studentinnen aber zur kunsthandwerklichen Arbeit verbannte. Frauen, die Häuser bauen? Das konnte sich trotz proklamierten Fortschritts am Bauhaus seiner Zeit keiner der namhaften Meister vorstellen.

Luise wird auf ihrer Suche nach mehr Anerkennung und Zugehörigkeit zum Spielball ihres heterogenen Umfeldes aus Esoterikern, Antisemiten, Kommunisten und Narzissten. Zwischen Festen und Manifesten, zwischen Konservatismus und Reformismus findet die Kunstschülerin schließlich zu ihrer eigenen Vision, der auch als Leitsatz dieses Buches gelesen werden kann: „Ich will die Zukunft bauen und die Vergangenheit abreißen.“

Die holprige Sprache im historischen Präsens versucht nicht, den Ton der Zeit einzufangen

Enzensberger schreibt in der Gegenwartssprache. Das mag konsequent sein, wirkt durch den Clash von gelebtem Geschichtsunterricht und Blogger-Stil aber etwas eigentümlich. Die holprige Sprache im historischen Präsens („Ich finde seine langen Haare irgendwie komisch und bemühe mich, nicht allzu auffällig hinzusehen“) versucht erst gar nicht, den Ton der Zeit einzufangen. Trotz der stilistischen Unstimmigkeiten liest man gerne, wie Luise sich dem berauschten Studentenleben hingibt, sich von Impulsen ihrer Umgebung inspirieren, aber auch verunsichern lässt, und dabei eine vage Ahnung von politischen Umbrüchen der Weimarer Republik entwickelt.

Individueller Raum

Das ist der Recherche zu verdanken, die hinter „Blaupause“ steckt. In leisen Zwischentönen und Beobachtungen überträgt Enzensberger gesellschaftspolitische Diskurse von der Vergangenheit in die Gegenwart: Neben strukturellem Sexismus ist das auch die Frage nach der Politisierung von Kunst. Am progressiven Bauhaus mit seiner sozialistischen Ausrichtung findet das seinen stärksten Ausdruck im Spannungsfeld von Individualismus und Kollektivismus, ein Verhältnis, das Luise auch im eigenen Freundeskreis zu hinterfragen versucht.

Die junge Frau träumt von einer Gemeinschaft, die jedem Individuum den Raum eingesteht, den es benötigt: „Ein neuer Mensch, das war das Ziel. Bewegt und geprägt durch die neuen Formen, die ihn umgeben. Aber wie soll das möglich sein, wenn diese Formen doch immer nur von den alten Menschen mit all ihren Fehlern und Mängeln geschaffen werden können?“

Nach der Machtergreifung der Nazis wird das Bauhaus 1933 endgültig geschlossen. Luise verlässt es schon vorher – als Reaktion auf das Plagiat ihrer Diplomarbeit ausgerechnet durch den eigenen Mentor Gropius. Mit dieser unerwarteten Wendung in dieser sonst brav konstruierten Geschichte macht die Autorin Gropius im Sinne der künstlerischen Freiheit zum Stellvertreter einflussreicher Männer, die Frauen für sich arbeiten lassen.

Diese „Blaupause“, also Abzug eines Originals, ist es, die es der Protagonistin erlaubt, sich von der systematischen Kleinmacherei am Bauhaus zu emanzipieren. Enzensbergers Debütroman schöpft seine Gegenwärtigkeit nicht zuletzt daraus, dass diese Emanzipationsgeschichte 2017 noch lange nicht auserzählt ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.