Data-Dada

PERFORMANCE Das Duo Jajaja beschäftigt sich im Fleetstreet mit der Macht der Algorithmen

Tanz den Dataismus: Jajaja auf der Bühne Foto: Lukasz Chrobok

Iris Minich faucht. „Guck mal, die Katze kann auf zwei Beinen laufen!“ Sie miaut, schnurrt – und ärgert sich zugleich über die Zeit, die sie im Internet verplempert. Und doch war da diese faszinierende Katze. Arvild Baud mixt dazu einen lässigen Sound. „Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch …“, raunt die Schauspielerin ins Mikrofon.

Doch was wie eine Empfehlung klingt, ist tatsächlich eine Fernsteuerung. Ein Kontrollverlust: Kaufentscheidungen und Wahlkämpfe sind längst an Algorithmen delegiert, die Grenzen zwischen Körper, Stadt und Technologie lösen sich mehr und mehr auf. Laut Harari – dem Autor von „Homo Deus. Ein kurze Geschichte von Morgen“, einer zentralen Inspirationsquelle der beiden Performer, fordere dieser virulente Dataismus schlicht: „Hör auf Algorithmen. Sie wissen, wie du dich fühlst.“

„AllGoRhythm“ lautet auch der Titel der aktuellen Arbeit, die Jajaja im Rahmen des Sommerfestivals von Kampnagel zeigt. Es ist eine Mischung aus Performance und Life Art, entstanden während der zweimonatigen Residenz des Hamburger Performanceduo im Fleetstreet-Theater. Annonciert wird ein Showcase. Die Bar ist geöffnet, die Stühle werden weggeräumt, Kommen und Gehen ist ausdrücklich erwünscht

Mal wird der Zuschauer aufgefordert, sich mit einem Datenmosaik in der analogen Festplatte zu verewigen. Eine bunte Auswahl an Teppichverschnittstücken liegt dafür bereit, es riecht nach Kleber. Mal wird eine kleine Gruppe zum binären Data-Chor-Singen angeleitet und wer mag, kann sein Smartphone für die Dauer der Aufführung gegen einen tröstenden Keks eintauschen – es darf dann eine Weile Urlaub machen von seinem Besitzer. Oder umgekehrt.

„Der Auslöser für das Projekt war unsere eigene Erfahrungswelt als Künstler mit einem 15-jährigen Sohn“, kommentiert der Performer, Sänger und Musiker Arvild Baud. „Zum einen sind wir Teil des Systems, verbringen viel mehr Zeit am Computer, als uns gut tut, versuchen aber auch die Distanz des ,Andersseins‘ aufrechtzuerhalten – eine fast paradoxe Situation.“ Und so kreierten sie neue Identitäten auf Facebook, übten sich für „AllGoRhythm“ mit Modelliermasse im „Face-Faking“, stellten Fragen zu Matrix und Maschine und versuchten sich im „Fake-Liking“.

All diese Aktionen waren Teil eines täglichen „Idiotentrainings“ im Vorfeld. Dabei galt es, subversive Mittel und Wege zu finden, die eigene Berechenbarkeit zu stören und mit anderen in Kontakt zu treten. Da Jajaja seine Aktionen nicht durch klassische Theaterproben erarbeitet, sondern so direkt wie möglich aus der Idee heraus agiert, gehe es bei solchen Begegnungen auch darum, „welche Ideen außerhalb unserer Köpfe auf Interesse stoßen und durch ihr Feedback bereichert werden können“, bemerken Minich und Baud.

Einige dieser Ideen finden sich während des knapp zweistündigen Showcases wieder. Manches wird per Video eingespielt, vieles gesungen. Oft bewegt sich der Abend zwischen DJ-ing und Live-Konzert – etwa wenn Arvild Baud kopfüber eine Internet-Slash-Shortcuts-Textsplitter-Textrolle versingt. Eine Ballade, eine Litanei der Sinnlosigkeit, grandios performt. „AllGoRhythm“ vereint höchste Kunst mit charmantem Trash. Manchmal klug durchdacht, manchmal viel zu privat – aber meist geliked. Katrin Ullmann

Showcase „AllGoRhythm“: So, 27. 8., 20 Uhr, Fleetstreet Theater