Hate Speech: Beleidigung? Nö, Meinungsfreiheit!

Ein Duisburger Lokalpolitiker bedroht Cem Özdemir auf Twitter und erhält eine Geldstrafe. Jetzt fühlt er sich als Opfer Deutschlands und der Justiz.

„Wo ist die Meinungsfreiheit?“, fragt sich Bekir Sipahi Foto: dpa

„Cem Özdemir fühlt sich in seiner Ehre beleidigt wegen einem Tiervergleich. Er zeigt den Kritiker an, dem nun 30 Tage Haft drohen“, schreibt Bekir Sipahi seit dem 21. August wiederholt auf dem Nachrichtendienst Twitter. Dabei versieht der Vorsitzende der Kleinpartei Duisburger Soziale Politik (DSP) und Mitglied des Integrationsrates seine Tweets mit dem Hashtag #FreeBekir.

Die erste Seite des Strafbefehls des Amtsgerichts Duisburgs stellt Sipahi ebenfalls ins Netz. Dort ist nachzulesen, was ihm vorgeworfen wird. „Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Duisburg“ ist gegen Sipahi eine Geldstrafe in Höhe von 2.100 €, und, im Falle des Nichtzahlens, eine Haftstrafe von 30 Tagen erwirkt worden. Grundlage für den Rechtsspruch sind der Paragraph §185 (Beleidigung) sowie §194 (Strafantrag bei Beleidigung gegen einen Amtsträger).

Türkische Medien finden deutsches Urteil „skandalös“

Konkret handelt es sich um Tweets, die Sipahi im Vorfeld der Armenien-Resolution an die Twitteradresse des Grünen-Kovorsitzenden Cem Özdemir richtete. Am 31. Mai 2016 um 20.23 Uhr schrieb er unter anderem: „Ob das Totengebet für den Verräter Cem Özdemir verrichtet wird? …Ihn sollte man demnächst auf dem Hundefriedhof von Berlin begraben.“

Bereits im Juni 2016 wurde der Lokalpolitiker von der Kriminalpolizei um eine schriftliche Stellungnahme gebeten, auch dieses Anschreiben twitterte er. Türkischen Medienberichten zufolge ist er das Opfer der deutschen Justiz: „Türkischstämmiger Politiker in Deutschland erhält Haftstrafe wegen Internetpostings“ (Nachrichtenagentur Anadolu, 20. August), „Eilmeldung: Deutschland erlässt Skandal-Urteil gegen türkischen Politiker“ (Milliyet, 22. August) und „Ist das Gerechtigkeit, Deutschland?“ (Sabah.de, 23. August) sind nur einige der Artikel, in denen sich Sipahi über die seiner Meinung nach willkürliche Auslegung von Meinungsfreiheit in Deutschland beschwert.

„Ist das Gerechtigkeit, Deutschland?“

Im türkischsprachigen Nachrichtenportal für Duisburg „NRW Haber“ zitiert man das Mitglied des Duisburger Integrationsrats mit den Worten: „Özdemir beleidigte über die Medien fortwährend die Türkei und unseren Staatspräsidenten. (…) Diese Person, die jedes Mal anmerkt, dass die Freiheit in den Medien und sozialen Medien in der Türkei beschnitten wird, hat mich wegen meiner Internet-Postings angezeigt. (..) Wo sind die Menschenrechte, wo ist die Meinungsfreiheit? Warum hat mich in den 14 Monaten niemand zur Aussage geladen? Ist das Gerechtigkeit, Deutschland?“

Nicht zitiert werden in all den Medienberichten hingegen die Tweets, die Sipahi abgesetzt hat.

Armenien-Resolution im Bundestag

Sipahis Tweets sind nur wenige der Beleidigungen und Bedrohungen, die an türkeistämmige Politiker*innen im Vorfeld der Armenien-Resolution gerichtet wurden. Am 2. Juni 2016 hat der Bundestag die Resolution beschlossen und damit das historische Massaker an 1,5 Millionen Armeniern als Völkermord eingestuft. Als die Resolution verabschiedet wurde, so beschreiben es viele türkeistämmige Politiker*innen, waren die Angriffe über die sozialen Netzwerke besonders schlimm.

Man könne ein Muster erkennen, zeitlich wie thematisch, erzählt eine deutsche Lokalpolitikerin mit türkischer Herkunft, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Besonders, wenn es um Türkeibelange gehe, seien die Anfeindungen gravierend. Türkische Organisationen und die türkische Regierung lehnen die Bezeichnung der Massaker an den Armeniern als Völkermord ab. Der türkische Staatspräsident und auch die Medien hatten Anfang Juni explizit türkeistämmige Parlamentarier*innen als PKK-Terroristen und kranken Blutes bezeichnet.

„Von türkischem Hessen zu anatolischem Schwaben“

Cem Özdemir wies damals im Bundestag auf die Mitverantwortung Deutschlands hin, während sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel sowie der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier aus Termingründen nicht an der Abstimmung beteiligten.

Bereits im vergangenen Jahr haben die Abgeordneten Cem Özdemir und Sevim Dağdelen (Die Linke) Strafanzeige gegen türkeistämmige Bürger*innen erstattet, die sie im Vorfeld der Resolution beleidigt und bedroht hatten.

Allerdings begegnete man Özdemir im Kontext der Resolution nicht nur mit Hass: Deniz Yücel, der derzeitig in Istanbul inhaftierte Ex-taz-Kollege und Welt-Korrespondent schrieb dem Grünen-Vorsitzenden einen öffentlichen Dankeskommentar, so „von türkischem Hessen zu anatolischem Schwaben“, der in „einer solchen Situation gestattet“ sei: „Dafür, dass Sie der Weltöffentlichkeit zeigen, dass nicht alle Türken (und Bindestrich-Türken) den Völkermord leugnen. (…) Dass Sie dafür Anfeindungen und Risiken in Kauf nehmen.“

Ex-SPD-Mitglied, wählte sogar mal Cem Özdemir

Bekir Sipahi beließ es im Mai 2016 nicht bei den Anfeindungen. Nach der Armenien-Resolution fasste der Integrationsrat Duisburg, dem Sipahi angehört, einen Gegen-Resolution, wo unter anderem behauptet wird, dass der armenische Genozid eine Lüge sei. Dies hatte bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Auf politischen Druck, unter anderem durch den Oberbürgermeister Sören Link (SPD), wurde der Beschluss zurückgezogen.

Sipahi erzählt auf Anfrage der taz.gazete, dass er seit 1989 SPD-Mitglied gewesen sei und auch schon einmal Cem Özdemir gewählt habe, weil er Türke sei, wie er betont. Ebenfalls kann man seiner Beschreibung auf twitter entnehmen, dass er bis 2016 Vorsitzender der AKP-nahen Lobbyorganisation UETD Duisburg war.

Lieblingsziel: deutsche Politiker und deren Türkeipolitik

Sein Lieblingsziel auf Twitter sind weiterhin deutsche Politiker, sein Spezialgebiet deren Türkeipolitik. Denen erklärt er in den twitterüblichen 140 Zeichen seine Sicht der Dinge. Zum Beispiel so: “du erzählst Mist. Wer nicht unsere StaatPräsident Herr Erdogan Keine Respekt, haben wir auch keine Respekt an Deutsche Politiker“.

Warum er allerdings für etliche seiner tweets seit dieser Woche den Hashtag #freebekir benutzt, erklärt er taz.gazete so: „Meine Freunde haben den Hashtag für mich initiiert, das freut mich sehr. Gegen diesen Strafbefehl werde ich mit meinem Anwalt Widerspruch einlegen und wenn nötig bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen.“

Bekir Sipahi glaubt fest daran, dass seine Äußerungen auf twitter durch die Meinungsfreiheit abgedeckt sind.

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taz.gazete-Redakteurin, hat Turkologie und Publizistik an der FU Berlin studiert. Türkeistämmige in der Diaspora sowie Diversity in Medienhäusern und Redaktionen sind ihre Steckenpferde.

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