Das Erbe des Kolonialismus: „Die Kakao-Maske ist ein Protest“

Der in Hamburg lebende ghanaische Künstler Joe Sam-Essandoh hat Masken aus Kolonial-Material zwischen Schiffsmodelle des Altonaer Museums gesetzt.

Will mit seiner künstlerischen Intervention zur Reflexion über koloniales Erbe anregen: Joe Sam-Essandoh im Altonaer Museum. Foto: Miguel Ferraz

taz: Herr Sam-Essandoh, warum haben Sie Ihre Masken ausgerechnet in die Schiffsabteilung des Altonaer Museums gehängt?

Joe Sam-Essandoh: Ich hätte sie auch in die „Kolonialwaren“-Abteilung hängen können. Aber dann kam ich in diesen Raum und wusste sofort: Hier soll es sein. Da, wo die Modelle der Schiffe stehen, die früher Versklavte transportierten und Waren aus Übersee hierher brachten. Hier wurde das Leid dieser Menschen plötzlich sehr fassbar. Deshalb habe ich diese Abteilung für meine Intervention ausgewählt.

Wieso bestehen die Masken unter anderem aus Palmenkernen?

Das ist eine Anspielung auf Palmöl, das in Afrika auf Plantagen gewonnen und nach Europa transportiert wurde. Noch heute wird es in Asien abgebaut und zu Bio-Seife verarbeitet. Die Verbindung zu Hamburg sieht so aus, dass Harburg Europas größtes Zentrum für Palmöl und Kautschuk war und es in Altona eine große Margarine-Industrie gab. Palmöl ist bis heute das günstigste Öl auf dem Weltmarkt, weil die Arbeitskräfte billig sind.

Eine andere Maske trägt Perlenketten um den Hals.

Solche Ketten aus Glas und Metall tragen Ghanaerinnen bis heute bei großen Festen. Die westlich wirkende weiße Perlenkette weist allerdings auf die Kolonialzeit hin, als die schwarze Dienerschaft diesen Schmuck tragen musste. Es war ein rassistisches Spiel mit Farben. Damals wollten die Kolonialherrn möglichst dunkelhäutige DienerInnen haben. Es gibt alte Gemälde, wo die Dame oder der Herr, weiß gepudert, sich effektvoll mit einer schwarzen Dienerin mit weißer Kette kontrastiert.

wurde 1968 in Ghana geboren und lebt als Maler, Designer, Fotograf, Skulptur- und Installationskünstler in Hamburg. Seit mehr als 20 Jahren gibt er außerdem Siebdruck-Workshops.

Aber heute ist es anders?

Nicht ganz. Wenn sich eine Ghanaerin schön anzieht, trägt sie – als westliches Symbol – Schmuck, wie ihn früher die Versklavten trugen. Das ist ein Spiel mit Mimikry – „the same, but not quite.“ Das heißt: Ich imitiere und benutze die Symbole meines Feindes, um seine Macht zu schwächen. Eine Art Aneignung.

Gilt das auch für Namen?

Ja, und zwar in beide Richtungen. Mein Großvater wurde als Kind in der Schule gefragt: Wie heißt du? Er sagte „San“. Da sagte er Lehrer: Ok, du heißt „Sam“. Und „Sen“ wurde zum westlichen Namen „Benson“. Was nicht passte, wurde whitewashed.

Hießen Sie eigentlich schon immer „Joe“?

Nein. Meine Eltern haben mich „Joseph“ getauft; wer zur Schule ging, musste einen christlichen Namen haben. Aber die jungen Leute wollen das nicht mehr. Ich habe den Mittelweg gewählt und Joe daraus gemacht, um meine Eltern nicht zu kränken. Zuhause trage ich einen afrikanischen Vornamen. Ich bin am Mittwoch geboren und heiße nach diesem Wochentag Kweku.

Ihre Ausstellung heißt Ahoobaa – für die Ahnen. Sind das Verstorbene oder noch nicht Geborene?

Das sind unsere Vorfahren, die wir in Ghana einmal im Jahr mit einer Zeremonie ehren. Es ist ein Fest der Lebenden und gleichzeitig eine Totenfeier. Hier in Europa erinnert man mit Fotos an die Verstorbenen. In Ghana gibt es diese Zeremonie.

Ist auch Ihre Intervention im Altonaer Museum eine Zeremonie?

Ja, eine Erinnerungszeremonie, die einen Radius von 7.000 Kilometern hat. Mein Dorf in Ghana wird hier symbolisch bis Altona erweitert.

Sind die Masken der Ausstellung spirituell aufgeladen?

Ja, ich habe sie gesegnet.

Wozu?

Es ist eine symbolische Handlung, um zu zeigen, dass ich zufrieden bin mit dem, was ich geschaffen habe. Damit die Maske spirituell funktioniert, müsste ich aber noch weitere Rituale durchführen.

Welche Bedeutung hätte zum Beispiel die Kakao- oder Coltanmaske für eine Zeremonie?

Es sind Erinnerungen an die unwürdigen Arbeitsbedingungen, unter denen diese Rohstoffe abgebaut wurden und werden. Hamburg hat zum Beispiel bis heute ein Monopol auf Kakao aus Afrika und bestimmt den Preis. Der ist günstig, weil es in der Kakao-Gewinnung immer noch Kinderarbeit gibt. Das gilt auch für die Coltan-Gewinnung im Kongo. Dieses Material steckt in jedem Handy und auch in vielen Elektrogeräten. Jeder sollte wissen, wie es hergestellt wurde. Das ist ein blutiges Geschäft mit Warlords und Kinderarbeit.

Was ändert da der Tanz mit einer Maske? Oder andere Re-Enactments zur Erinnerung an die Versklavung?

Es ist ein Protest gegen diese Produktionsbedingungen. In der Zeremonie würde der Kakao in Form einer Maske personifiziert – zur Erinnerung daran, dass da etwas nicht stimmt.

Reproduziert man mit solchen Zeremonien nicht eher den Zorn?

Nein. Wir verarbeiten und transformieren ihn durch den Tanz.

Dabei ist Ghana doch eigentlich „christianisiert“, oder?

Ja, aber die alten Zeremonien sind noch in den Hinterköpfen. Viele Familien haben rituelle Gegenstände zu Hause und kennen die Praktiken.

Und an welchen Gott glauben Sie selbst?

Erzogen bin ich, wie die meisten GhanaerInnen meiner Generation, als Christ. Meine Mutter und Großmutter sind Katholikinnen, mein Vater war Methodist. Trotzdem gibt es die Ahoobaa-Feste, auch im Königshaus. Das ist nicht böse gemeint. Die Menschen möchten einfach an ihre Vorfahren erinnern.

Entsteht da nicht eine Konkurrenz zwischen dem christlichen Gott und den alten Göttern?

Naja, die alten Götter werden etwas an den Rand gedrängt, weil alle sagen: Du musst an Gott glauben. Wenn ein Kind geboren wird, wird es zuerst nach oben gehoben und in Richtung Himmel gezeigt.

Wem zeigt man es?

Ich weiß nicht, ob es nur der christliche Gott ist. Jedenfalls glauben alle, dass es etwas Stärkeres gibt als das, was wir auf der Erde haben. Aber auch auf der Erde wollen wir Schutz. Der „Obergott“ ist manchmal zu langsam, und bei Kleinigkeiten muss schnell etwas passieren.

Feiert auch die ghanaische Exil-Community in Altona Zeremonien?

Offiziell würde die Community da nicht hingehen. Wenn im Hamburger Völkerkundemuseum Zeremonien stattfinden, sagen alle: Das hat nichts mit christlichen Werten zu tun.

Seit der „Missionierung“ werden in Ghana Wälder abgeholzt, Flüsse verschmutzt. Warum?

Weil die Leute keine Angst mehr haben. Vor 35 Jahren gab es in meinem Nachbardorf einen kleinen Fluss, und der König und seine Diener haben gesagt: Das Wasser und seine Fische sind heilig. Wer sie berührt, stirbt. Das hört sich naiv an, hatte aber Sinn: Es war das Trinkwasser des Dorfes. Heute wissen die Leute, dass es keine tötenden Götter gibt. Sie treiben Raubbau an der Natur. Das ist ihnen auch bewusst, aber es ändert sich nicht.

Warum sind Sie eigentlich aus Ghana geflohen?

Ende der 1970er-Jahre gab es einen Staatsputsch, eine Revolution. Demokratische Politiker und andere Menschen verschwanden spurlos, jeder konnte zur Zielscheibe werden. Die Hauptstadt Accra und auch die regionalen Hauptstädte waren gefährliche Militärgebiete geworden. Deshalb bin ich nach Nigeria geflohen und später nach Europa.

Sind unter Ihren Vorfahren Versklavte?

Schon möglich. Und es ist meine Generation, die ein Revival versucht, ein Back to the Roots. Meine Oma hatte es zum Beispiel nach Obuasi verschlagen.

Die einstige Goldgräberstadt.

Ja. Die Engländer haben dort 1899 Goldminen gegründet und viele Ghanaer aus der Gruppe der Fante, der ich angehöre, zu Verwaltungsbeamten ausgebildet. Sie wurden im ganzen Land verteilt. Im Moment versuchen viele, wieder in ihre Dörfer zurückzukehren.

Gibt es eine Fante-Identität?

Nicht so, dass ich es konkret beschreiben könnte. Vielleicht sind die Fante etwas ruhiger.

Ist es für Sie wichtig, mit Fante zusammen zu sein?

Zum Glück heiraten die Leute in Ghana nicht nur innerhalb ihrer Gruppe, auch in meiner Familie nicht. Hier in Hamburg bin ich allerdings im Mfantsiman-Verein, aber da sind auch Ashantis, Gas und Ewes. Die Kolonialmacht hat versucht, uns auseinanderzubringen, aber das hat nicht funktioniert.

Fahren Sie oft nach Ghana?

Ja. Zum Glück ist es dort jetzt ruhiger.

Fühlen Sie sich dort manchmal fremd?

Ja, das kommt vor. Aber wir versuchen es immer wieder, gerade zu biegen.

Wieso bauen Sie in Ihrem Dorf gerade ein Lehmhaus, obwohl alle anderen auf Beton setzen?

Es macht mir Spaß und Lehm hält schön kühl.

Wollen Sie da wohnen, wenn Sie in Rente sind?

Was ist Rente? Ein Künstler geht nie in Rente. Er arbeitet, bis er umkippt. Aber ich finde es schön, ab und zu von hier Urlaub machen – nicht in Griechenland, sondern in meinem Dorf.

Schaffen Sie in Ghana andere Kunst als in Altona?

Die Atmosphäre ist anders. Tatsächlich bekomme ich im Dorf mehr Inspiration. In Hamburg gibt es oft Stress: Beim Maskenbau muss ich mich an einen Zeitplan halten, muss unter Druck arbeiten, bis es nicht mehr geht. Im Dorf kann ich freier arbeiten.

Befassen sich viele ghanaische Künstler mit Kolonialismus?

Wenige. Wir in Ghana reden viel darüber, aber niemand sagt: Ich will mich konkret künstlerisch mit der Kolonialzeit befassen.

Woran liegt das?

Unter anderem daran, dass es in Ghana keine öffentliche Künstlerförderung gibt. Deshalb machen die Künstler vor allem verkäufliche Kunst.

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