Universum und Materie: Große Geräte für große Forscherfragen

Teilchenbeschleuniger und Teleskope: Rund 15 Milliarden Euro stehen in den nächsten 10 Jahren für den Betrieb von Großforschungsanlagen bereit.

Ein mit blauem Licht beleuchteter Tunnel

Der Tunnel des jetzt in Hamburg in Betrieb genommenen Röntgenlasers XFEL Foto: dpa

BERLIN taz | Wissenschaft sucht nach dem Anfang und Ende des Kosmos, ebenso nach den kleinsten Teilchen, aus denen Materie zusammengesetzt ist. Für beide Enden der Größenskala, von 10-18 Meter (Elementarteilchen) bis 1027 Meter (Weltall), braucht es große, weil ultrasensible Mess- und Beobachtungsgeräte. Das Bundesforschungsministerium hat jetzt das Rahmenprogramm „Erforschung von Universum und Materie“ (ErUM) gestartet, das in den nächsten zehn Jahren 15 Milliarden Euro in den Betrieb dieser Großforschungsgeräte wie Teilchenbeschleuniger und Teleskope investiert.

14 solcher Superinstrumente können derzeit in Deutschland von den Forschern – Physiker, Chemiker, aber auch Lebenswissenschaftler – genutzt werden. Zwei von ihnen stehen in Berlin: der Neutronenforschungsreaktor BER II und die Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II in Adlershof.

Als 15. Großforschungsgerät hat im letzten Monat in Schenefeld bei Hamburg der Europäische Röntgenlaser XFEL den Betrieb aufgenommen: das modernste und leistungsstärkste Mikroskop der Welt. In einem 3,4 Kilometer langen unterirdischen Tunnel werden ultrakurze Laserlichtblitze erzeugt – 27.000 Mal in der Sekunde –, die eine neue Dimension der Nanoforschung ermöglichen.

Chemiker können filmen, wie einzelne Atome miteinander reagieren. Biologen erhalten detaillierte Bilder von Zellbestandteilen, Eiweißmolekülen und Viren. Dabei verschwimmen die Grenzen von Grundlagen- und Anwendungsforschung, denn die neuen Entdeckungen können sehr zügig in Produktentwicklungen übertragen werden, etwa für neue Katalysatoren oder Grundstoffe für Pharmazeutika.

Zusammengesetztes Bild

Die Röntgenblitze des XFEL dauern weniger als eine hundertbilliardstel Sekunde. „Trifft ein solcher Blitz auf ein Molekül, lenkt es die Strahlung ab, bevor es aufgrund der extremen Energie sofort explodiert“, erklärt der Lübecker Infektionsbiologe Lars Redecke, der dort ein Experiment betreibt. „Die abgelenkte Strahlung können wir auf einem Detektor sichtbar machen: Wir haben eine Momentaufnahme davon im Kasten.“ Dies wiederholt sich mehrere tausend Mal und ergibt am Ende ein dreidimensionales Bild des Moleküls.

„Basierend auf unseren Daten können dann gezielt neue Medikamente gegen Krankheiten entwickelt werden“, ergänzt Redecke, der die Arbeitsgruppe „Strukturelle Infektionsbiologie unter Anwendung neuer Strahlungsquellen (SIAS)“ am Institut für Biochemie der Universität zu Lübeck und am DESY in Hamburg leitet. „Das nennen wir strukturbasiertes Wirkstoffdesign.“

1,2 Milliarden Euro hat der Bau von XFEL seit 2011 gekostet. An dem internationalen Projekt, das per Tunnel mit dem Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg verbunden ist, einem Institut der Helmholtz-Forschungsgemeinschaft, sind elf Nationen beteiligt. Größte Geldgeber sind Deutschland und Russland.

Die Kosten für die atomaren Altlasten drücken auch die deutsche Forschung

„Grundlagenforschung wie die Erforschung von Teilchen, Materie und Universum ist Zukunftsvorsorge“, sagte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka bei der Vorstellung des Programms am passenden Ort, dem Zeiss-Großplanetarium in Berlin, das mit moderner Visualisierungstechnik einen faszinierenden Blick in die Weiten des Alls bietet.

„Grundlagenforschung liefert uns zum Beispiel Ideen und Methoden für die Krebstherapie oder für effizientere Solarzellen und Batterien in der Energieversorgung“, ergänzte die Ministerien, die für die Instrumente zur „neugiergetriebenen Forschung“ künftig ein Zehntel ihres Etats ausgibt.

Nützliche Anwendungen sind indes nicht das eigentliche Ziel der Grundlagenforschung, allenfalls das Sahnehäubchen, auf das mitunter doch eine Weile gewartet werden muss. „Quantenphysik war in den 30er Jahren nur eine Spielwiese ganz weniger Wissenschaftler“, bemerkt Matthias Steinmetz, Wissenschaftlicher Vorstand des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) und Direktor des Forschungsbereichs Extragalaktische Astrophysik: Heute kommen durch die daraus entwickelten Techniken der Optoelektronik nach seinen Angaben „30 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts zustande“.

Europäische Spitzenforschung

Das große Instrument für Steinmetz und seine Astro-Kollegen entsteht derzeit in Chile: das Extremely Large Telescope (ELT) an der Europäischen Südsternwarte ESO. Im Mai war Grundsteinlegung für das 1,1 Milliarden Euro teure Projekt, im Jahr 2024 soll das ELT erstmals Lichtsignale aus den fernsten Ecken des Universums detektieren. „Europa hat sich im Bereich der optischen Astronomie sehr gut entwickelt und nimmt heute die weltweit führende Position ein“, erklärt Steinmetz. Auch sein Institut auf dem Potsdamer Telegrafenberg expandiert und hat mittlerweile 200 Beschäftigte.

Die Gelder des ErUM-Programms (1,542 Milliarden Euro pro Jahr) setzen sich aus der institutionellen Förderung für den Helmholtz-Forschungsbereich Materie (638 Millionen) und der deutschen Beteiligung an den internationalen Anlagen CERN in Genf oder ESO in Chile (301 Millionen) sowie Mitteln für die Projektförderung zusammen.

Den größten Anteil haben die Reste der „Großforschung von gestern“, nämlich der Rückbau kerntechnischer Forschungsanlagen, der mit 320 Millionen Euro im Jahr zu Buche schlägt. Das ist deutlich mehr als für den Bau neuer nationaler Forschungsinsfrastrukturen (188 Millionen) oder für die Verbundforschung mit der Wirtschaft (87 Millionen Euro) ausgegeben werden kann. Die atomaren Altlasten drücken auch die deutsche Forschung.

Aber das neue Rahmenprogramm will nicht nur Geld verteilen, wie bisher, sondern es will auch ein neues Verfahren zur Entwicklung und Steuerung von Großforschungsgeräten einführen. Das ist nötig, weil häufig genug die Kosten und Bauzeiten aus dem Ruder laufen. Auch der Röntgenlaser XFEL sollte nach ursprünglicher Planung schon 2014 fertig sein. Und beim Bau des internationalen Beschleunigerzentrums FAIR (Facility for Antiproton and Ion Research) in Darmstadt wurde dermaßen geschludert, dass der Bundesrechnungshof einschritt, nachdem sich 2014 die Baukosten von zunächst geplanten 493 Millionen auf 729 Millionen Euro erhöht hatten. „Dies ließ es fraglich erscheinen, ob die Fertigstellung noch zu rechtfertigen ist“, notierten die Finanzprüfer und verpflichteten das BMBF zu verschärfter Aufsicht.

Unsichere Partner

Sorge bereitet auch die Beteiligung der internationalen Partner, die ein Viertel der Kosten von insgesamt 1,3 Milliarden Euro tragen (Finnland, Frankreich, Indien, Polen, Rumänien, Russland, Schweden und Slowenien). Im März konstatierte der Rechnungshof zwar, dass sich das FAIR-Teilprojekt Bau „in den vergangenen Monaten erkennbar stabilisieren“ konnte. Es sei jedoch „nicht sicher, ob die Finanzierungspartner alle benötigten Mittel für die beiden Tranchen freigeben werden“.

Und ein weiterer Kritikpunkt am Wanka-Ministerium: „Das BMBF hat trotz entsprechender Berichtspflicht gegenüber dem Haushaltsausschuss die vorgesehenen Zahlungen des Bundes über die Gesamtprojektdauer nicht dargestellt“.

Am 4. Juli war nun in Darmstadt erster Spatenstich für die FAIR-Anlage, die unter Regie des GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung entsteht. Im Jahr 2025 soll der Teilchenbeschleuniger in Vollbetrieb gehen.

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