Protest gegen Haft in der Türkei: „Wir sind viele“

Täglich wird in der Gethsemanekirche für den inhaftierten Peter Steudtner gebetet. Pfarrerin Almut Bellmann über Hoffnung – und den Autokorso für Deniz Yücel.

„Das Gebet ist ganz schlicht. Wir singen ein, zwei Lieder zusammen“: Pfarrerin Almut Bellmann Foto: Joanna Kosowska

taz: Frau Bellmann, am 24. Juli haben Sie sich hier in der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg erstmals versammelt, um für den in der Türkei inhaftierten Berliner Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner zu beten. Treffen Sie sich nach wir vor täglich?

Almut Bellmann: Ja! Es kommen auch nach wir vor viel mehr Menschen, als wir das erwartet hatten. Zum traditionellen Montagsgebet kommen 80 bis 150 Leute. An den anderen Tagen sind es 20 bis 30 Leute.

Ist es manchmal schwer, das aufrechtzuerhalten?

Es braucht einen langen Atem, und es braucht viele Schultern, die so etwas auf Dauer tragen.

Was sind das für Menschen, die zum Gebet kommen?

Es sind Freunde von Peter Steudtner, aber auch Menschen aus der Gemeinde, die sich an die 80er Jahre erinnert fühlen. Wir hatten einmal einen Mann hier, für den 1986 in der Gethsemanekirche gebetet wurde, als er zu Unrecht inhaftiert worden war.

Was ist in dieser Kirche damals passiert?

Es gab Fürbitten für die zu Unrecht Inhaftierten in der DDR. Die Gethsemanekirche war ein Treffpunkt für die DDR-Friedensbewegung. Für die Menschen, die eine Hoffnung hatten, die man nicht lautstark äußern durfte. Sie konnten ihre Meinung in einem geschützten Raum öffentlich machen – auch wenn die Polizei vor der Kirche stand. Sie konnten hier zusammenkommen, sich aussprechen und ihre Solidarität miteinander teilen. 1989, als es immer brenzliger wurde, gab es hier ein Kontakttelefon, über das man sich erzählen konnte, was geschehen war. Hier haben die Berliner aufgeatmet, als sie erfuhren, dass das Militär bei den Demonstrationen in Leipzig nicht eingeschritten war. Das alles füllt den Raum noch immer.

geboren 1982 am Stadtrand von Berlin, ist seit anderthalb Jahren eine von vier PfarrerInnen in der evangelischen Kirchengemeinde Prenzlauer-Berg-Nord. Die Gemeinde hat 12.000 Mitglieder.

Hat Sie das als junge Pfarrerin beeindruckt, als Sie hierher kamen?

Ich bin selbst in Ostberlin aufgewachsen, meine Eltern waren damals ein paarmal mit mir hier. Ich habe das, auch wenn ich noch sehr jung war, gespürt: dass die Erwachsenen damals nicht wussten, wo es hingeht.

Fühlen Sie sich heute manchmal ähnlich verunsichert und hilflos angesichts der politischen Situation in der Türkei?

Das zu ertragen ist wirklich schwer, vor allem für den Einzelnen. Man fühlt sich ohnmächtig. Es könnte einem auch jeden Glauben an die Menschlichkeit nehmen. Den Glauben, dass in jedem etwas Gutes steckt. Darum sind die Gebete auch Momente voller Sorge.

Und trotzdem geben die Gebete Halt?

Gerade wenn man wenig Hoffnung hat, hilft es sehr, zusammen zu beten. Man spürt, dass man nicht allein ist. Wir sind viele. Wir fühlen uns beim Gebet sehr verbunden – auch mit jenen, die gar nicht da sind und vielleicht nur vom Gebet wissen. Das gibt uns große Kraft, die manchmal über die eigene Kraft hinausgeht. Es ist eine Kraft, die man gar nicht fassen kann.

Das Bündnis #FreeDeniz ruft am Sonntag zum wiederholten Mal zum Autokorso für die Freilassung des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel auf, der an diesem Tag 44 Jahre alt wird. Um 12.30 Uhr startet vor dem Kino-International in der Karl-Marx-Allee ein Auto- und Fahrradkorso zum Bundeskanzleramt. Um 14 Uhr ist dort ein Kundgebung geplant. Auch Pfarrer Christian Zeiske von der Gethsemanekirche wird sprechen.

Täglich um 18 Uhr wird in der Gethsemanekirche in der Stargader Straße in Prenzlauer Berg für Peter Steudtner gebetet. (sm)

Wie genau laufen diese Gebete ab?

Es gibt einen Mann aus der Gemeinde, der für Peter Steudtner eine Kerze gestaltet hat. Diese Kerze wird nach dem Glockenläuten um 18 Uhr angezündet. Dann sagen wir ganz kurz, warum wir hier sind – und manchmal gibt es noch einen kurzen Infoblock, wenn es etwas Neues gibt. Das Gebet ist ganz schlicht. Wir singen ein, zwei Lieder zusammen. Dann stehen wir auf und jeder, der mag, zündet eine Kerze an. Manche sagen, was ihnen gerade durch den Kopf geht. Manchmal spricht jemand ein Gebet oder erzählt etwas Neues, worüber er die anderen informieren möchte.

Weiß Peter Steudtner denn, dass Sie hier in der Kirche für ihn beten?

Als der deutsche Botschafter ihn im türkischen Gefängnis besucht hat, hat Peter ihm erzählt, dass er von dem Gebet weiß und dass er täglich daran denkt.

Kommen Menschen auch aus politischen Gründen her?

Ich würde es eher so formulieren, dass Menschen kommen, die sehr genau wissen, dass Freiheit ein sehr kostbares Gut ist. Es geht hier um ein Menschenrecht. Das geht sehr tief. Und das hat auch nichts mit einem bestimmten Glauben zu tun. Auch wenn wir das hier in unserer Sprache und mit unserer Tradition machen: Wir beten natürlich auch für die Menschen, die damals mit Peter zusammen festgenommen wurden, auch wenn sie unseren Glauben nicht teilen.

Wissen Sie vom Autokorso für den inhaftierten Journalisten Deniz Yücel, der an diesem Wochenende anlässlich seines Geburtstags stattfindet?

Ja, natürlich. Mein Kollege, Christian Zeiske, wird am Sonntag beim Autokorso ein paar Worte sagen. Ich finde diese Aktion sehr schön, da Deniz Yücel Autokorsos so mochte.

Was hat das Gebet mit Peter Steudtner zu tun?

Er hat sich in unserer Gemeinde sehr engagiert – vor allem mit seiner großen Gabe zu kommunizieren. Es ist wichtig, dass man mit solchen Aktionen eine Sprache findet, die dem betroffenen Menschen entspricht. Es ist so schwierig, mit den Inhaftierten Kontakt zu halten. Deshalb ist es wichtig, dass bei ihnen ankommt, was man macht.

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