Kommentar Türkeipolitik der Grünen: Özdemirs leere Versprechen

Wenn die Grünen an der Regierung sind, werde es endlich eine Reisewarnung für die Türkei geben. Nur: Mit wem wollen die Grünen das durchsetzen?

Der Grünen-Spitzenkandidat spricht zum Abschluss des Kleinen Parteitages

Dass deutsche Konzerne auf Millionengewinne verzichten sollen, könnte es zwar mit Grün geben, aber nicht mit CDU, CSU und FDP Foto: dpa

Auf dem Kleinen Parteitag der Grünen blies Cem Özdemir am Sonntag kräftig die Backen auf: Autoritäre Herrscher würden sich freuen, wenn nach der Bundestagswahl Union und FDP gemeinsam regierten, rief er unter tosendem Beifall. Regierten aber die Grünen, sähe das ganz anders aus.

Mit Blick auf das Erdoğan-Regime: Wenn die Grünen erst an der Regierung sind, gibt es endlich eine Reisewarnung für die Türkei! Außerdem werden die Hermesbürgschaften ausgesetzt! Und Rüstungsschmieden wie Rheinmetall dürften dann auch keine Panzerfabrik mehr am Bosporus bauen! Genau das wäre die angemessene Antwort auf das diktatorische Treiben Erdoğans. Chapeau!

Es gibt nur ein Problem: Mit wem wollen die Grünen das durchsetzen? Unterstützung gibt es dafür nur von der Linkspartei. Da Berlin aber nicht Kreuzberg ist, dürfte es für die beiden Parteien wohl nicht ganz zu einer absoluten Mehrheit reichen. Falls die Demoskopen nicht völlig irren, besteht für die Grünen vielmehr die einzig realistische Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung in einer Koalition mit der Union und wahrscheinlich auch der FDP.

Dann jedoch wird Özdemirs Versprechen ein leeres bleiben. Wie schon die derzeitige Große Koalition wird man zu nichts bereit sein, was heimische Wirtschaftsinteressen tangiert. Dass deutsche Konzerne auf Millionengewinne nur für ein paar eingesperrte deutsche Journalisten und Menschenrechtsaktivisten verzichten sollen, gibt es mit CDU, CSU und FDP nicht. Egal, ob es um die Tourismusbranche oder die Rüstungsindustrie geht.

Daran werden die Grünen keine Koalition scheitern lassen. Das gilt ebenso für die von Union und FDP propagierte milliardenschwere Erhöhung der deutschen Militärausgaben, über die Özdemir am Sonntag wohlweislich erst gar kein Wort verlor – obwohl sich seine Partei in ihrem Wahlprogramm deutlich dagegen ausspricht. Das 2-Prozent-Ziel der Nato wird auch „Jamaika“ nicht infrage stellen, zumal die FDP sogar gern 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts veranschlagen würde. Wie heißt es so schön im Grünen-Programm: „Wer Frieden will, muss sich für weltweite Abrüstung engagieren und dabei mit eigenem Beispiel vorangehen.“

Es wird ein Satz fürs Poesiealbum bleiben.

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Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

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