Großdemo in Barcelona: Tausende für die „Independencia“

Hundertausende sind für Kataloniens Unabhängigkeit auf die Straße gegangen. „Dieses Jahr machen wir ernst“, sagt eine Demonstrantin.

eine katalanische Unabhängigkeitsflagge in der Abendsonne

Fordern Unabhängigkeit und Wahlrecht: Demonstranten am Montag in Barcelona Foto: dpa

BARCELONA taz | „Wir haben Gründe. Sie haben nur die Unterdrückung“, schimpft Montse Pascual. „Wir“, das sind die Verfechter der Unabhängigkeit Kataloniens. „Sie“, das sind die Politiker in Madrid. Pascual und ihre kleine Gruppe kommen aus Badalona, einer Industriestadt vor den Toren Barcelonas. Sie sind ins Zentrum der katalanischen Hauptstadt gekommen, um an der Demonstration anlässlich des katalanischen Nationalfeiertages – Diada – teilzunehmen. Wie in den letzten fünf Jahren haben sich am Montag Hunderttausende versammelt, um die Loslösung von Spanien zu fordern.

„Dieses Jahr machen wir ernst“, sagt die 57-jährige Frau. Die riesige Menschenmenge unterstützt den Plan der katalanischen Regierung, am 1. Oktober ein Referendum über die Unabhängigkeit abzuhalten – gegen den Willen der spanischen Regierung und des Verfassungsgerichts, das eine solche Abstimmung vergangenen Woche verboten hatte. Die Generalstaatsanwaltschaft hat gar die Strafverfolgung der Regierungsmitglieder und einiger Abgeordenter im katalanischen Parlament eingeleitet.

Die gelb-roten Unabhängigkeitsfahnen mit dem Stern und dem blauben Dreieck wehen tausendfach im Wind. Vier Straßen bilden ein riesiges Pluszeichen, das für die „Möglichkeiten des neuen Kataloniens steht“, so die Veranstalter, die Katalanische Nationalversammlung (ANC) und die Kulturvereinigung Òmnium. Aus Lautsprechern dröhnen Lieder über die „Katalanischen Länder“ – neben der rebellischen spanischen Nordostregion Teile Südfrankreichs, Andorra und die Balearen. „Wir wollen unabhängig sein“, rufen die Menschen immer wieder.

Nur einmal wird es ganz still. Eine Minute vor 17 Uhr gedenken sie der Opfer der Anschläge von Barcelona und Cambrills vor weniger als einem Monat. Dann, um 17:14 Uhr, – in Erinnerung an des Jahr 1714, in dem Katalonien der Mythologie der Nationalisten zufolge im Erbfolgekrieg seine Unabhängigkeit verlor – ziehen sie sich alle ein phosphoreszierend gelbes T-Shirt über, auf dem in zahlreichen Sprache das Wort „Ja“ steht.

Vorbild Holland und Dänemark

„Die Regierung in Madrid ist undemokratisch, korrupt und sie beeinflusst die Justiz. Banken und Parteien sind ein Filz“, erklären Dani Bueso. Der 55-jährige Postboote ist mit seinem 17-jährigen Sohn Paul gekommen. „Ein unabhängiges Katalonien wäre keine Monarchie. Es wäre kleiner und damit leichter demokratisch zu kontrollieren“, fügt er hinzu. Sein Sohn Paul verweist auf Holland und Dänemark als Vorbild. „Was uns bewegt, ist das, was auch die Empörten einst am 15. Mai 2011 auf die Plätze trieb“, sagt die Vierte im Bund, die 55-jährige Lehrerin Araceli González.

Die vier könnten unterschiedlicher nicht sein. Montse stammt aus einer katalanischen Familie. Dani hat einen Vater aus Katalonien und eine Mutter aus Valencia. González ist Enkelin andalusischer Einwanderer und der 17-jährige Paul fühlt sich als Katalane ohne Wenn und Aber.

Eines aber haben alle gemein. Vor Jahren waren sie nicht für die Unabhängigkeit. „Das kam nach und nach. Die Politik in Madrid hat gezielt antikatalanische Gefühle im restlichen Spanien geschürt, jetzt reicht es“, sagt Dani Bueso und verweist auf die Politik der Partido Popular des spanischen Ministerpräsidenten Rajoy, die Attacken auf die katalanische Sprache im Schulsystem, die Klage vor dem Verfassungsgericht gegen Teile des Autonomiestatutes.

drei Menschen, einer mit der Unabhängigkeitsflagge

Dani und Paul Bueso, Araceli González Foto: Reiner Wandler

„Sie werden nicht wirklich verhindern können, dass wir am 1. Oktober abstimmen“, sagt González. Und das, obwohl ein Blick in die Zeitung reicht, um zu sehen, das Madrid alles auffährt, was juristisch und polizeilich zur Verfügung steht.

Rajoy hat ein Krisenkabinett eingesetzt. Ihm gehört auch der Chef des militärischen Geheimdienstes CNI an. Er soll die Urnen für den Wahlsonntag sowie die Druckereien und andere Unternehmen aufspüren, die für das Referendum notwendige Arbeiten ausführen. Am Wochenende durchsuchte die Guardia Civil die Redaktionsräume einer lokalen Wochenzeitung im Süden Kataloniens nach Stimmzetteln.

„Wenn sie tatsächlich die Urnen beschlagnahmen, dann ist es vorbei mit der Glaubwürdigkeit der Demokratie“, warnt González. Ob ein Referendum unter solchen Bedingungen genügend demokratische Garantien biete? González wird nachdenklich. „Das Referendum hat sicher Fehler, eine Abstimmung im Einvernehmen mit Madrid wäre sicher besser. Doch wir machen, was wir in dieser Lage machen können“, sagt sie. „Wir müssen endlich befragt werden, um zu wissen, wer hier die Mehrheit hat, die Befürworter oder die Gegner der Unabhängigkeit“, wirft Pascual ein. Eine Umfrage zeigt: 71 Prozent der Katalanen sehen das genauso, egal ob sie letztendlich mit Ja oder Nein stimmen würden.

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