Eigenwilliges Georgien

Kino Georgische Filme stachen aus dem sowjetischen Kino heraus. Das Arsenal widmet ihnen eine Reihe

Still aus „Blaue Berge“ (1983) von Regisseur Eldar Schengelaja, eine Satire über Bürokratie, Spießertum, Faulheit und Schlendrian Foto: Kino Arsenal

von Fabian Tietke

In einer Reihe von Interviews lotet die Journalistin Sofiko die Lebensbedingungen von Frauen in der Sowjetunion aus. Parallel zu diesen intimen Gesprächen wächst zwischen Sofiko und ihrem Mann zu Hause das Schweigen. Die georgische Regisseurin Lana Gana Gogoberidse montierte in ihren Spielfilm „Einige Interviews zu persönlichen Fragen“ von 1978 scheinbar dokumentarische Interviewsequenzen aus Sofikos Recherche mit Aufnahmen aus dem Familienleben der Journalistin zu einer beeindruckenden Geschichte über eine Selbstbefreiung.

Im Frühjahr lief Gogoberidses Film im Rahmen des Wiesbadener Filmfestivals „goEast“ in einem Symposium als Beispiel für den zögernden Feminismus im osteuropäischen Kino. Nun zeigt ihn das Berliner Kino Arsenal im Rahmen einer Auswahl von Filmen des georgischen Kinos aus den eigenen Beständen, die teilweise neu restauriert wurden.

Von „Einige Interviews zu persönlichen Fragen“ ziehen sich mehrere Verbindungslinien durch das Programm: die naheliegendste Linie ist die Familie Gogoberidse. Schon die Mutter von Lana Gogoberidse, Noutsa Gogoberidse, arbeitete in den 1930er Jahren als Regisseurin. Neben ihren eigenen Filmen hat Noutsa Gogoberidse mit den Großen der sowjetischen Filmgeschichte zusammengearbeitet, etwa Sergei Eisenstein und Aleksander Dovzhenko. Ihr poetischer Dokumentarfilm „Buba“ stellt das karge Leben in der Hochgebirgsregion Ratscha der Modernisierungsbewegung in der Sowjetunion der 1930er Jahre gegenüber. Im Vergleich mit anderen Filmen aus der Zeit, etwa Nikolos Schengelajas „26 Kommissare“ oder Kote Mikaberidses „Meine Großmutter“ wird deutlich, warum „Buba“ so besonders ist.

Wie „Einige Interviews“ zeichnet auch „Buba“ der präzise Blick auf die Lebensbedingungen von Frauen aus und die Verheißung, die die Modernisierung des Landes für sie bedeutete. „Buba“ wurde dem Publikum jahrzehntelang vorenthalten und erst vor einigen Jahren wiederentdeckt. Lana Gogoberidses Tochter Salome Alexis ist ebenfalls Regisseurin. Von ihr ist als eine der wenigen aktuellen Filme „Line of Credit“ von 2014 zu sehen – ein Porträt einer Lebenskünstlerin, die ein Leben auf Kredit führt.

1974 bat die sowje­tische Botschaft, Lenin mit einer ­Filmreihe zu ehren

Eine weitere Linie, die sich von „Einige Interviews“ durch die gesamte Filmreihe zieht: das schwierige Verhältnis zwischen dem georgischen und sowjetischen Kino. Schon in den Jahren, bevor Georgien 1921 in die Sowjetunion eingegliedert wurde, bestand in dem Land eine lebhafte Kinokultur, an die seit der Unabhängigkeit 1991 wieder angeknüpft wurde. In den Jahren, in denen Georgien zur Sowjetunion gehörte, zeigen sich, je nachdem, wo die jeweiligen FilmemacherInnen ihre Ausbildung absolviert haben und in welchem der sowjetischen Studios sie gearbeitet haben, sehr unterschiedliche Einflüsse.

Während „Einige Interviews“ durchaus Ähnlichkeiten zu anderen sowjetischen Filmen der Zeit hat, weisen Filme wie Merab Kokotschaschwilis „Ein großes, grünes Tal“ über einen Hirten, der sich zunehmend in der Archaik seiner Lebensweise verschanzt, andere Einflüsse auf. Nicht wenige georgische Regisseure studierten in Teheran und kamen dort mit einer Begeisterung für den italienischen Neorealismus in Berührung. Diese Begeisterung prägt viele der Filme der 1960er und 1970er Jahre, die in kargen SchwarzWeiß-Bildern die Lebenswirklichkeit erforschen und visuell den Filmen der Neuen Welle in Ländern wie Rumänien und Ungarn näher sind als jenen Filmen, die zur selben Zeit in der Sowjetunion entstanden.

Die Filme der Reihe verbindet eine besondere Geschichte mit dem Arsenal: 1974 fragte die sowjetische Botschaft das Kino, ob nicht Interesse bestünde, Lenin anlässlich den 50. Todestags mit einer Filmreihe zu ehren. Erika Gregor, damals eine der Programmleiterinnen des Arsenals, witterte ihre Chance und schlug der Botschaft einen Tausch vor: das Arsenal zeigt Filme zu Lenin und bekommt im Gegenzug die Filme, um eine georgische Filmwoche auszurichten. Nach Jahren des Wartens kam es so zu einer ersten georgischen Filmwoche in Westberlin. Darunter befinden sich auch einige Filme, die auch heute wieder zu sehen sein werden.

Georgische Filmreihe „Kino aus der Sammlung des Arsenal“, 1. bis 19. 10., Kino Arsenal, Weitere Informationen: www.arsenal-berlin.de