Berliner Energiepolitik: Klimaschützer fühlen sich verkohlt

Das Bündnis „Kohleausstieg Berlin“ findet die Klimaschutzpolitik des Senats zu lasch: Vor allem für den Ausstieg aus der Steinkohle lasse man sich viel zu viel Zeit

Burn, Kohlendioxid, burn – natürlich nur metaphorisch Foto: dpa

Die Latte liegt hoch: Bis zum Jahr 2050 soll Berlin „klimaneutral“ sein, so steht es im Berliner Energiewendegesetz, das noch unter der rot-schwarzen Koalition beschlossen wurde. Klimaneutralität heißt: Die Stadt schickt lediglich einen Bruchteil der heutigen Menge an Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre und leistet somit keinen Beitrag mehr zu deren gefährlicher Erwärmung. Um 85 Prozent soll sich der Berliner CO2-Ausstoß dann verringert haben – bezogen auf die Menge des Jahres 1990.

Ein derart ambitioniertes Ziel lässt sich nur erreichen, wenn die ganze Stadtgesellschaft an einem Strang zieht – das will der Senat durch Aufklärung, finanzielle Förderung und vor allem seine Vorreiterfunktion erreichen. Die konkreten Maßnahmen stehen dabei nicht im Gesetz selbst, sondern im „Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm“ (BEK). Dessen Verabschiedung ging vor der letzten Abgeordnetenhauswahl aber im Gezänk von SPD und CDU unter, ein neuer, rot-rot-grüner Entwurf kam nun im Juli ins Parlament und soll voraussichtlich im November beschlossen werden.

Nun üben Umwelt- und Klimaschutzorganisationen scharfe Kritik am BEK: „Senat kneift vor Klimaschutz“ überschreibt das Bündnis „Kohleausstieg Berlin“ eine Stellungnahme zum Entwurf des Programms. Die gemeinsame Plattform von Vereinen und Initiativen wie dem BUND, Greenpeace und attac, dem Bürgerbegehren Klimaschutz oder Fossil Free Berlin begrüßt das BEK grundsätzlich, moniert aber, es gehe nicht weit genug und führe sogar teilweise in die falsche Richtung. Sprecher Oliver Powalla bezeichnete es gegenüber der taz als „visionlos“.

Ein Dorn im Auge ist den KlimaschützerInnen vor allem die ihrer Ansicht nach zu großzügige Frist beim Abschied von der Energieerzeugung aus Kohle. Seit der Stilllegung des Kraftwerks Klingenberg im Frühjahr wird auf Berliner Stadtgebiet keine Energie mehr aus Braunkohle erzeugt, dagegen verfeuern weiterhin mehrere große Kraftwerke Steinkohle für Strom und Fernwärme. Damit soll 2030 Schluss sein – sagt, genau genommen, nicht das BEK, sondern das Energiewendegesetz. Für „Kohleausstieg Berlin“ ist das viel zu lange hin, ebenso der Ausstieg aus Erdöl und Erdgas ab 2050: „Um die Pariser Klimaziele einzuhalten, ist ein schnellstmöglicher Ausstieg aus allen fossilen Energieträgern erforderlich“, heißt es.

Mehr Gas oder nicht?

Auch dass das BEK einen Anstieg beim Gasverbrauch voraussetzt, um den Verzicht auf die – klimaschädlichere – Kohle bei der Strom- und Fernwärmeerzeugung zu kompensieren, kann „Kohleausstieg Berlin“ nicht nachvollziehen: Würde der Gebäudebestand konsequent energetisch saniert, müsse auch künftig nicht mehr Gas verbrannt werden als heute, schreibt das Bündnis. Hinzu kommen Forderungen, alle Dächer öffentlicher Gebäude noch in dieser Legislaturperiode mit Solaranlagen zu bestücken und dem bislang künstlich klein gehaltenen Stadtwerk eine viel stärkere Bedeutung einzuräumen.

Gar nicht einverstanden ist „Kohleausstieg Berlin“ mit der Rolle, die das BEK der „Power-to-Heat“-Technologie bemisst. Bei dieser wird Strom, die zum Zeitpunkt der Erzeugung nicht verbraucht werden können, zur Erhitzung großer Wassermengen genutzt. Die im Wasser gespeicherte Energie dient dann direkt als Fernwärmelieferant oder wird über Dampfturbinen wieder zu Strom verwandelt. Laut BEK soll das künftig in großem Umfang mit Überschüssen aus erneuerbaren Energien geschehen.

Oliver Powalla erläutert die Befürchtung, die das Bündnis damit verbindet: Während Berlin an seiner Klimabilanz feilt, könnte die Lausitzer Braunkohle fröhlich weiter verstromt werden – und das Power-to-Heat-Verfahren würde das Problem mit der begrenzten Netzkapazität lösen. „Von großen Überschüssen auszugehen, ist aber ein ganz falscher Ansatz“, so Powalla. „Wenn man die Nachfrage etwa durch Energieeinsparungen deutlich absenkt, bräuchte man das gar nicht.“

Diesen und weitere Kritikpunkte können die klimaschutzpolitischen Sprecher der Koalitionsfraktionen gut nachvollziehen. „Der Fokus auf Power-to-Heat ist zu stark“, sagt Georg Kössler (Grüne). Der Anteil an Erneuerbaren Energien müsse bis 2050 größer sein als vorgesehen, die Rolle des Stadtwerks und seines Mieterstrom-Modells stärker. Berücksichtigt werden müsse als Klimafaktor auch der Flugverkehr, „da kann man sich nicht einfach auf die Lage des BER in Brandenburg berufen“.

Wie seine Kollegen Michael Efler von der Linken und Daniel Buchholz von der SPD verweist Kössler aber auf ein ganzes Bündel von Änderungsanträgen, das zurzeit zwischen den Fraktionen abgestimmt werde. Falsch sei es, so Kössler, das Inkrafttreten des Programms durch zu viel Grundsatzkritik immer weiter hinauszuzögern: „Die Verwaltung braucht endlich eine Handlungsgrundlage.“ Das BEK sei ein „living document“, das im Laufe der Zeit immer ambitionierter werden könne.

„Berliner Bärchen statt Vattenfall-Logo“

Was den Abschied von der Steinkohle betrifft, hat Daniel Buchholz gute Nachrichten: In der Novelle des Berliner Energiewendegesetzes, die das Abgeordnetenhaus in zwei Wochen verabschieden werde, heiße es, der Ausstieg solle bis spätestens 2030 erfolgt sein. Das verschärfende Wörtchen hatte auch schon der BUND in einem Brief an den Umweltausschuss angemahnt. Kritischer sieht der SPD-Mann die Machbarkeitsstudie, die der Senat zum Kohleausstieg in Auftrag geben will – und zwar in Kooperation mit dem Berliner Energie-Platzhirschen Vattenfall. „Auf der Studie muss das Berliner Bärchen stehen, nicht das Vattenfall-Logo“, betont Buchholz.

Michael Efler von der Linken gibt schließlich zu bedenken, dass ein übereilter Kohleausstieg sogar kontraproduktiv sein könne: „Dann ist es nämlich nur realistisch, große Gaskraftwerke zum Ersatz zu bauen.“ Ein „vernünftiges Konzept mit mehr Einsparungen und weniger Ersatzkapazitäten“ sei viel sinnvoller. „Ganz so einfach ist es dann doch nicht.“ Überhaupt ist Efler mit der Polemik der AktivistInnen nicht einverstanden: „Ich teile viele ihrer Punkte. Aber dass der Senat ‚kneift‘, das ist nun wirklich Quatsch.“

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