Koreanischer Horrorfilm „The Wailing“: Seelenlose Wahnsinnige

In seinem Horrofilm spürt der koreanische Regisseur Na Hong-jin dem Übernatürlichen nach – atemlos und mit widerspenstigem Humor.

Ein blutender Mann hält eine schreiende Frau umklammert

Wer von der Epidemie befallen wird und wer nicht, ist eine Frage des Schicksals: „The Wailing“ Foto: Alamode

Der neue Film des koreanischen Genremeisters Na Hong-jin heißt „The Wailing – die Besessenen“ und ist besessen vom Übernatürlichen. Na Hong-jin kommt von harten, temporeichen Thrillern („The Chaser“, „The Yellow Sea“) und wagt sich nach einer mehrjährigen Pause mit einem tiefreli­giösen Film erstmals aufs Terrain des Fantastischen vor. In Interviews spricht er davon, wie ihm nach wiederholten Todesfällen in seinem Bekanntenkreis die Erklärungen ausgingen.

Sein Film ist deshalb grundlegend fragend und durchdringend, zeigt Grausamkeiten von Bibelformat in drastischen Bildern. Das Ergebnis ist einer der stärksten Genrefilme der letzten Jahre. Eine unheimliche Spurensuche über fast drei Stunden, die atemlos und mit widerspenstigem Humor inszeniert ist, letztlich über die gesamte Dauer unberechenbar bleibt.

Schon die Grundsituation überrascht. In dem kleinen koreanischen Dorf Gokseong breiten sich als Reaktion auf brutale Todesfälle Gerüchte über einen Außenseiter aus. Besessen scheinen die Leute also vor allem von Rassismus zu sein. Die mysteriöse Moo-myeong (Chun Woo-hee) behauptet, ein Fremder sauge allen das Blut aus. Ein waschechter Vampir? Wer ihn einmal sieht, wird bald von ihm verfolgt!

Dann spricht der Kräuterhändler davon, wie der Kerl im Wald die Eingeweide eines Rehs fraß. Ein Vergewaltiger ist er anscheinend auch. Der Fremde ist ein japanischer Fischer (meisterhaft ungreifbar: Jun Kunimura), der sich seit Kurzem in einer Hütte im Wald niedergelassen hat. Die Frau, die angeblich er am Flussufer überfallen hat, taucht als nackte, geisterhafte Wahnsinnige vor dem Polizeirevier auf. Kurz darauf wird ihre Familie abgeschlachtet und ihr Haus brennt nieder. Bald ist der Fremde auch den Provinzpolizisten suspekt.

Blutige Traumbilder des Unbekannten dringen ins Zen­trum des Films vor, zum trotteligen Ermittler Jong-gu (Kwak Do-won). Aber wo hier Träume beginnen und wo sie enden, das verschwimmt bald. Das Unheimliche wird im Dorf immer realer, denn das Unwahrscheinliche ist zum Programm geworden: Menschen werden punktuell von einer Seuche befallen, die sie mit Geschwüren verunstaltet und in seelenlose Wahnsinnige verwandelt.

Familien zerlegen

Wie sie ihre geliebten Familien dann zerlegen, das erinnert in der Härte an Zombiefilme. Doch fehlt hier eine vergleichbare flächendeckende Epidemie. Die Polizei ist ratlos und die Wissenschaft hat an diesem Ort keinen Platz. Fest steht nur: Wer befallen wird und wer nicht, das ist allem Anschein nach eine Frage des Schicksals.

Oder hält doch jemand alle Fäden in der Hand? Gibt es eine dämonische Kraft im Dorf, die die Menschen direkt in die Hölle führen will, und handelt es sich gar um den Teufel selbst? Als auch Jong-gus Tochter krank wird, soll ein Schamane aus der Stadt helfen. Gegen viel Geld hält er Rituale ab und liefert Erklärungen über den Dämon, der sich in allen verbirgt: „Er fischt einfach nur. Nicht mal er weiß, was er fangen wird. Er hat einfach den Köder ausgeworfen und Ihre Tochter hat angebissen.“

„The Wailing“. Regie: Na Hong-jin. Mit Kwak Do-won, Hwang Jung-min u. a. Südkorea 2016, 156 Min.

So arbeitet auch der Film, der in seiner Offenheit und Widersprüchlichkeit immer wieder der Intelligenz seines Publikums schmeichelt. Überall gibt es Köder und mögliche Zusammenhänge. Das Böse und das Gute erscheinen als Zerrbilder, die die Suche nach Wahrheiten bloß durcheinanderbringen. Weder rohe Gewalt noch Strategie noch Spiritualität liefern Jong-gu Antworten.

Am Ende vermag auf die Ernsthaftigkeit des Todes niemand angemessen zu reagieren. Die Kamera dokumentiert stoisch die Leichen und fassungslosen Gesichter, wird in der letzten Sequenz zum Spielzeug eines verteufelten Manns. Die wahren Dämonen werden von den Menschen gemacht.

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