HipHop-Duo Zugezogen Maskulin: „Treten, damit man nicht untergeht“

Das Berliner HipHop-Duo Zugezogen Maskulin über Chia-Granola-Bowls, Entfremdung von der alten Heimat und Wut als Lebensgefühl.

Moritz Wilken und Hendrik Bolz von Zugezogen Maskulin sitzliegen auf einem Bett

„Grundlage unserer Musik ist Frust, Trauer und Depression“: Zugezogen Maskulin Foto: Robin Hinsch

taz: Meine Herren, Ihr neues Album ist auf Textebene sehr explizit und es ist durchweg im Freund-Feind-Schema gehalten. Mir stellt sich die Frage, ob es sich um persönliche Meinung handelt oder einfach um Punchlines?

Testo: Ich nehme da keine Trennung vor. Ich bin Testo. Das ist keine Kunstfigur, sondern bloß ein Pseudonym. Auf dem Album drücke ich mein Unbehagen und mein Nicht-einverstanden-Sein aus. Persönlich habe ich natürlich noch mehr Fa­cetten anzubieten.

Die sind uninteressant als Gegenstand für Reime?

Testo: Als Rapper habe ich das Gefühl, dass derzeit die Vermittlung von „Feel Good“ unangebracht ist. Mein Redebedarf ist also, zu sagen: „Es ist nicht alles super; ganz im Gegenteil.“

grim104: Sehe ich ähnlich. Die Boshaftigkeit kommt aus mir. Texte fallen mir auch als Moritz im Restaurant ein. Auch in den guten Momenten ist ja der Status gegeben, den ich dann wiederum als grim104 anprangere.

Die Frage nach dem Realitätsbezug stellt sich trotzdem. Wie ernst zu nehmen sind Verbal­attacken auf Stone-Island-Jacken-Träger und Chia-Samen?

grim104: Der Authentizitätsfimmel anderer interessiert gar nicht. Das ist eine komplexe Situation, dass man Sachen rappt, die man nicht eins zu eins so meint.

Also haben Sie gar nichts ­gegen Bio-Zertifizierung und Detox?

grim104: Es ist wichtig, klarzustellen, dass wir nicht einfach so Chia-Samen-Esser oder Craft-Bier-Trinker attackieren. Das wäre zu simpel. Mir doch egal, was jemand trinkt. Mich stört aber die Idee von moralisch gutem Konsum. Der dient zur Abgrenzung gegenüber dem ungebildeten Plebs. Nicht der Chia-Granola-Bowl für 15 Euro ist das Problem, sondern die Bowl als Symptom einer Gesellschaft, die zwischen Menschen auf der Gewinnerseite unterscheidet und „der anderen Seite“. Darauf hacken wir rum.

Also ist „Alle gegen alle“ insofern ein Berlin-Album, weil die Schneise zwischen Arm und Reich anderswo weniger breit ist?

Testo: Wir beschreiben verschiedene Formen des Auseinanderdriftens der Gesellschaft. In Berlin herrscht sehr viel Selbstgerechtigkeit unter den Menschen, denen es besser geht. Armut und Elend findet sich dort aber auch. Wir schauen auch über den Tellerrand in die Provinz – wo man teils in einer abgehängten Welt lebt.

grim104: Das zehrt aus unserem eigenen Erfahrungsraum. Wenn man in die alte Heimat fährt, dann gibt es erst mal Alie­nation. Das sage ich nicht, weil es gut klingt, sondern weil man tatsächlich wie ein Alien von einem anderen Planeten durch die Straßen wandelt. Die Leute in der alten Heimat verstehen gar nicht, was man so in der Großstadt macht.

Die AfD ist immer nur woanders stark, nie da, wo wir selbst wohnen!

Testo: Es gibt im ganzen Land einen Taschenspielertrick: Man verweist immer auf die anderen. Deswegen auch die Rufe, wie schlimm es im Osten und in Dresden sei. Dabei hat die AfD auch in Westdeutschland gute Ergebnisse erzielt!

Und warum?

Testo: In einer globalisierten Welt, die sich – gefühlt – immer schneller dreht, fühlen sich Menschen, die nicht „zu den Gewinnern“ gehören, abgehängt. Wenn man nur Scheiße erlebt, gehört man automatisch zu den Verlierern. Als verfallen viele in die identitäre Erzählung der Nation – eine starke Nation. Da müssen alle zusammen andere Antworten finden, damit nicht wieder ein Heim für Geflüchtete brennt.

Ihr Album heißt „Alle gegen alle“. Oft ist zu erkennen, dass gerade in Deutschland der Kampf gegen „die Anderen“ meist am Boden stattfindet. Arm gegen Arm statt gemeinsam gegen das Ungerechtigkeiten produzierende System.

grim104: Das ist Teil der Realität, richtig. Als Bild mal dahingestellt: Hier lehnt sich der arbeitslose Baukranführer nicht gegen das System auf, das Arm und Reich trennt, sondern gegen Refugees. Auch auf der sogenannten Gewinnerseite finden sich diese Verhaltensweisen. Im Kulturbetrieb wird genauso permanent nach unten getreten und nach oben gebuckelt. Jeder ist eine Marke, die nach vorne gebracht werden muss.

Testo: Abstiegsangst ist ein gewaltiger Motor. Da man schnell im Elend enden kann, haben alle die Sorge, die sie antreibt. Auch im Social-Media-­Account muss man treten, damit man nicht untergeht.

Die HipHop-Formation Zugezogen Maskulin besteht aus den beiden 1988 geborenen Rappern Testo (Hendrik Bolz aus Stralsund) und grim104 (Moritz Wilken aus Friesland). In Berlin lernten sie sich während eines Praktikums beim HipHop-Internetmagazin rap.de kennen. Berüchtigt sind Zugezogen Maskulin für den aggressiven Vortragsstil, der eher an Schreien denn an Rappen erinnert.

Nach Gratis-EPs, die eine enorme Resonanz bekamen, erschien 2015 ihr Debütalbum „Alles brennt“. Das zweite Album „Alle gegen alle“ (Four Music/Sony) setzt sich weniger mit szeneinternen Nickligkeiten auseinander, dafür mehr mit gesellschaftspolitischen Fragen.

Sie machen sich angreifbar, weil Ihre Text nicht pc sind. Treten Sie auch nach unten?

grim104: Es gibt Wörter, die ich nicht benutze. Ich reime aber tatsächlich den Namen eines ­bekannten Rappers auf „­Behindi“.

Testo: Ich muss sagen, dass Wortwahl eine persönliche ­Sache ist, die man gemeinsam verhandeln kann; wenn jemand anders an mich herantritt und versucht, mir seinen Leitfaden aufzudrücken, spiel ich nicht mit. Ich habe bei jedem Wort, das ich aus – für mich – guten Gründen nicht nutze, selbst entschieden. Kunst soll abbilden, Kunst muss wehtun. Es kann nicht sein, dass an sie höhere moralische Vorstellungen herangetragen werden als zum Beispiel an Politik. Aber beim Battle-Rap, beim Dissen, geht es um die Abwertung der Gegner mit den Mitteln der Sprache. In diesem Spannungsfeld halten wir uns auf und finden, dass wir da einen Weg gefunden haben.

Zugezogen Maskulin werden eher dem linken Spektrum zugerechnet. Da tummeln sich hierzulande vor allem Punkbands. Ansonsten die Antilopen Gang und eine Handvoll jüngerer KünstlerInnen. Ist Deutsch-Rap trotz seiner multikulturellen Roots unpolitisch? Wie kommt es zum Ungleichgewicht?

Testo: Stichwort Zeckenrap. Natürlich ist viel Punk-Spirit in so einer politischen Kiste drin. Das Sprachrohr des Punk ist nur irgendwann Ende der Achtziger von Rap abgelöst worden. Deswegen entscheiden sich junge Leute zu rappen.

grim104: Am Anfang standen Advanced Chemistry aus Heidelberg und sie waren explizit anti­faschistisch. Heutzutage ist es ein Feuilleton-Trick, die „guten“ punkigen Rapper von den „schlechten“ zu trennen.

Testo: Es geht auch um Lebensrealitäten und ihre Abbildung. Als ich mit Rap angefangen habe, konnten mir die Toten Hosen wenig zu meinem Alltag sagen. Da hängst du in der Plattenbausiedlung ab, kiffst, dein Umfeld besteht aus 1-Euro-Jobbern und sollst dabei Punkrock hören? An meinem Lebensgefühl waren Royal Bunker und Aggro Berlin näher dran.

In dem vielzitierten Buch „Tristesse Royal“ wird eine Vorweltkriegsstimmung heraufbeschworen. Dort heißt es, dass man sich zur Front melden würde, wenn es nicht 1999 wäre und man sich nicht in Berlin befände, sondern 1914 in Cambridge. Das Weltbild, das Sie mit „Alle gegen alle“ aufbauen, nimmt beängstigend ähnliche Züge an.

grim104: Ich frag mich erst mal, warum es Cambridge heißt und eben nicht Berlin. Außerdem sehen wir uns nicht als kriegslüsterne Macker.

Also ist Ihr Antrieb eher ein „Verletztsein“?

Testo: Wut ist bei uns wirklich die nächste Stufe. Grundlage unserer Musik ist Frust, Trauer und Depression. Wir wehren uns nur gegen die Abwärtsspirale. Das äußert sich zunächst in Aggression gegen die Scheiße, die passiert. Dieses Phänomen kann man derzeit auf der ganzen Welt beobachten, wo Stimmen laut werden, die sagen: Schluss jetzt mit den Verletzungen. Wir sehen nicht, dass man mit Befindlichkeits-Musik weiterkommt; da hört einem niemand zu. Wut ist zugleich Ventil und Mittel, um gehört zu werden.

Wollen Sie Sprachrohr sein?

grim104: „Politischsein“ ist in unsere musikalische DNA eingeschrieben. Die Zuschreibung „Polit-Rapper“ lehnen wir hingegen ab. Wir sind keine Politiker, wir liefern keine Parolen, die zum Soundtrack einer Bewegung werden. Die Möglichkeit, etwas zu verändern, ist heute so gering wie vielleicht noch nie. Wenn man da ein paar Leute erreicht, so wie man selbst auch als Jugendlicher beeinflusst wurde, ist das viel wert.

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