Mögliche Raubkunst in Bern: Verstoß gegen die Regeln

Kurz vor der Eröffnung: Die Marktgeschichte eines berühmten Cézanne-Gemäldes zeigt die Schwierigkeiten bei der Erforschung der Sammlung Gurlitt.

Gemälde einer Landschaft

Das umstrittene Bild Cézannes' Foto: Kunstmuseum Bern

Eigentlich dürfte dieses Bild, das Sie hier auf der Seite sehen, ab der kommenden Woche in der großen Gurlitt-Ausstellung gar nicht zu sehen sein – jedenfalls nicht in Bern.

Dort nämlich, so hatte es im Vorfeld immer wieder geheißen, sollten nur jene Werke aus den Kunstfunden in München und Salzburg zu sehen sein, bei denen es garantiert keinen Raubkunstverdacht gebe. Das aber ist beim wahrscheinlich teuersten Bild aus dem Gurlitt-Besitz – Paul Cézannes „Montagne Sainte-Victoire“ – nach wie vor nicht belegt. Außerdem sollte in Bern ab kommender Woche nur zu sehen sein, was aus den Beständen der Aktion „Entartete Kunst“ stammt, also 1937/38 aus deutschen Museen entfernt worden war. Auch das trifft auf den Cézanne nicht zu.

Dass das Gemälde mit einem Marktwert von mindestens 50 Millionen Dollar nun doch in der Schweiz gezeigt wird, hat offenbar einen anderen Grund: Während die spektakuläreren Gurlitt-Bilder zeitgleich in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen sein werden, soll das spektakuläre Landschaftsgemälde offenbar auch BesucherInnen nach Bern locken. Dafür nimmt man in Kauf, dass die eigentlich strikten Auswahlregeln und die sorgfältige Vorarbeit, die vertragsgemäß in Deutschland geleistet wurde, wieder infrage stehen.

Im Frühjahr 1940, kurz vor der Besetzung von Paris durch die Deutschen, muss das großartige Bild noch im Besitz von Paul Cézanne fils gewesen sein. Damals lieh es der Sohn des weltberühmten Malers an die Ausstellung aus, die zu dessen 100. Geburtstag im Palais Saint-Pierre in Lyon stattfand. Ein Aufkleber von der ersten Station der Jubiläums-Retrospektive, dem Grand Palais in Paris, mit der dortigen Katalognummer 17 findet sich heute noch auf der Rückseite des Bildes. Danach aber verliert sich die Spur des wohl 1897 gemalten „Montagne Sainte-Victoire“ wieder – bis es in der Sammlung des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt wieder auftaucht.

Unklare Herkunft

An dieser Darstellung des Berges nahe seiner Heimatstadt Aix-en-Provence, die Cézanne dutzende Male darstellte, wird nun deutlich, vor welchen Problemen jene Kunsthistoriker und Provenienzforscher stehen, die für die Anfang November in Bern und Bonn eröffnende Ausstellung „Bestandsaufnahme Gurlitt“ verantwortlich zeichnen: Für viele der beim Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt in München und – wie 2014 auch der Cézanne – in Salzburg gefundenen Kunstwerke gibt es nach wie vor keine geklärte Herkunft.

Die zur Einordnung potenzieller Raubkunstwerke verwendete Ampel steht für sie nach wie vor auf Gelb. Cé­zannes „Montagne Sainte-Victoire“ ist dafür das sicher prominenteste Beispiel.

Vereinbart war, dass in Bern nur solche Werke gezeigt werden, bei denen es sich zweifelsfrei nicht um NS-Raub-kunst handelt

1948 erst lässt sich das Bild nämlich im Besitz von Hildebrand Gurlitt nachweisen: In einer Korrespondenz mit seiner Cousine, der Malerin Gitta Gurlitt, ist auch von Restaurierungsarbeiten die Rede. Auf einer maschinenschriftlichen Werkliste wurde handschriftlich ergänzt: „Cézanne: S. Victoire“. Wie das Bild aber von Paul Cézanne fils zu Hildebrand Gurlitt gelangte, verrät die Liste nicht. Die Cézanne-Familie – Maler-Urenkel Philippe Cézanne leitet in Aix-en-Provence die „Société Paul Cézanne – hat auf das Landschaftsgemälde und auf ein Aquarell Ansprüche erhoben.

Laut Familienüberlieferung hatte Paul Cézanne das Bild in einem Restaurant in Le Tholonet zurückgelassen, wo es seine Schwester Marie dann wieder aufspürte. Von ihr ging das Gemälde in den Besitz von Paul Cézanne fils über. Der musste nach Angaben seines Großenkels Paris bei Kriegsausbruch oder spätestens bei der Besetzung durch die Deutschen verlassen. Er zog nach Chéné­railles im Departement Creuse und hinterließ einen Teil der Familiensammlung in seiner Wohnung. Andere Werke wurden offenbar in ein Schließfach bei der Banque de l’Union Parisienne gebracht, das sich die Cézanne-Familie mit der von Pierre-Auguste Renoir teilte. Die NS-Besatzer belegten dessen Inhalt zeitweise mit einer Sicherungsanordnung, die aber wieder aufgehoben wurde, als feststand, dass die Besitzer nicht jüdisch waren.

Millionenschwerer Umsatz

Vieles spricht deshalb für einen legalen Handel: Für einige Zeichnungen von Paul Cézanne liegen im Gurlitt-Nachlass handschriftliche Expertisen vor, die dessen Sohn noch am 7. Juni 1944 unterschrieben hat – einen Tag nach der ersten Landung eines amerikanischen Kommandos in der Normandie. Dass die Nazis Druck auf ihn ausgeübt hätten, ist nirgends belegt.

Kunsthändler wie André Schoeller, Phi­lippe Gangnat, der sich 1965 bei Hildbrand Gurlitts Witwe wieder nach dem Cézanne-Bild erkundigte, oder der Niederländer Theo Hermsen jr. machten in dieser Zeit im besetzten Paris regelmäßig Geschäfte mit NS-Kunstoffizieren oder Kunsthändlern aus Deutschland und boten auch Gurlitt Werke der klassischen Moderne an – die dieser gegen gute Provisionen an deutsche Sammler weitergab oder behielt. Allein für die ersten acht Monate des Jahres 1944 attestierte ein Wirtschaftsprüfer der in Hamburg gemeldeten Kunsthandelsfirma von Hildebrand Gurlitt Umsätze in Höhe von 1.055.866,25 und einen Reingewinn von 574.010,68 Reichsmark.

Mindestens eines seiner Cézanne-Aquarelle verkaufte Hildebrand Gurlitt schon 1948 im Stuttgarter Kunstkabinett von Roman Norbert Ketterer. Der hatte das Blatt offenbar ohne jedes Interesse an dessen Herkunft von seinem Kollegen übernommen. Erst nach der Auktion, als er Gurlitt per Brief den erzielten Preis von 4.200 DM mitteilte, fragte Ketterer nach: „Der Käufer des Cézanne-Aquarelles bedrängt mich nun, eine Bestätigung des Besitzers zu verschaffen, aus der hervorgeht, wann derselbe dieses Aquarell erworben hat und was sonst noch über die Vorgeschichte zu sagen wäre.“ Eine Antwort ist in den Gurlitt-Unterlagen nicht überliefert. Das Montagne-Sainte-Victoire-Gemälde behielt Gurlitt für seine eigene Sammlung.

Trotz der nach wie vor offenen Fragen wird es ab dem 2. November im Kunstmuseum Bern ausgestellt werden. Entgegen der ursprünglichen Vereinbarung, dass nur solche Werke aus dem Gurlitt-Nachlass überhaupt in die Schweiz gelangen sollten, bei denen es sich zweifelsfrei nicht um NS-Raubkunst handelt: solche, die im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ 1937/38 aus deutschen Museen entfernt und unter anderem von Hildebrand Gurlitt vermarktet worden waren zum Beispiel. Und solche, die sich nachweislich vor 1933 im Besitz der Familie Gurlitt befunden hatten – darunter Arbeiten des Landschaftsmalers Louis Gurlitt und von Hildebrand Gurlitts ebenfalls malender Schwester Cornelia.

Offenbar hat man sich in Bern nun entschieden, auch für den Cézanne die Provenienzampel von Gelb auf Grün zu schalten. Dort wird das Gemälde viele Besucher anziehen: Das Kunstmuseum besaß bislang kein bedeutendes Bild dieses Vaters der Moderne.

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