#MeToo-Talk bei Anne Will: Guckt nicht nur auf die Beine!

Viele meckern über eine unglückliche Kamerafahrt bei „Anne Will“. Das ist kleinlich, denn in der Runde am Sonntag lief vor allem vieles richtig.

Heike-Melba Fendel, Ursula Schele, Verona Pooth, Anne Will

Beim #metoo-Talk am Sonntagabend: Heike-Melba Fendel, Ursula Schele, Verona Pooth, Anne Will Foto: ARD/NDR

Über die „Anne Will“-Talkshow am Sonntagabend könnte man so vieles sagen. Erst einmal meckern aber alle über eine Kameraeinstellung.

Anne Will hatte die Entertainerin Verona Pooth gefragt, wie sie die Grenze ziehe: Zwischen ihrem „hervorragenden Aussehen“ als beruflicher Inszenierung und ihrer sexuellen Selbstbestimmung als Privatperson. Zur Illustration fuhr die Kamera einmal langsam Pooths Beine von unten nach oben nach. So eine Einstellung ist in einer Sendung über Sexismus natürlich besonders bitter. Und so stürzten sich auch gleich die KommentatorInnen in den Sozialen Medien und in den Fernsehkritiken auf dieses Detail.

Das ist aber mehr als kleinlich. Denn ansonsten funktionierte bei „Anne Will“ am Sonntag sehr vieles sehr gut.

Es ist üblich in politischen Talkshows zu Diskriminierungsthemen irgendjemanden einzuladen, der (oder die, na klar) komplett infragestellt, dass es überhaupt ein Problem gibt. Journalistische Ausgewogenheit heißt das dann. Und so sitzt dann in Sexismusdebatten gerne mal eine Antifeministin, die erstmal bewiesen haben will, dass sich das Patriarchat nicht längst zum Matriarchat verdreht hat. Oder in Runden zum Thema LGBT-Lehrpläne ein Evangelikaler, der aus der Bibel zitiert.

Neue Kontroversen ausgraben

So war das zumindest früher. In der „Anne Will“-Sendung vom Sonntag war es anders. Da waren sich alle einig: Sexualisierte Gewalt ist ein Problem, und zwar ein großes. Hieß das, dass die Runde zu wenig kontrovers war? Nö. Klar, die Fetzen flogen nicht, wie sie vielleicht geflogen wären, hätte man Lady Bitch Ray und Beatrix von Storch zusammengesetzt. Popcornkino à la „Oh no she didn't!“ war das nicht.

Dafür hatte man aber das Gefühl, dass es in der Diskussion mal einen Schritt weitergeht, neue Kontroversen ausgegraben wurden: Ist der Komplett-Boykott, das Unsichtbarmachen eines Kevin Spacey angemessen? Sind die Machtstrukturen der Hollywood-Welt übertragbar auf den Alltag von Normalos? Was läuft bei der FDP falsch? Und: Vermengt und nivelliert der Hashtag #metoo vielleicht am Ende Erfahrungen sexueller Gewalt und subtilen Alltagssexismus allzu sehr?

Für Menschen, die sich seit Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigen, mag das alles immer noch nicht weit genug gehen – manche würden sogar schmunzeln bei einem Ex-Innenminister Gerhart Baum, der ganz aufgeregt feststellt, dass Sexismus „ein Angriff auf die Menschenwürde“ ist. Und ja, die Kamerafahrt über Pooths Beine war unglücklich.

Aber die Sendung hat auch gezeigt: Es gibt einen Wandel im öffentlichen Diskurs über Sexismus. Und er funktioniert als Talkshowformat. Nicht umwerfend, die Einschaltquote blieb mit 3,18 Millionen unterdurchschnittlich. Aber er funktioniert. Das lässt hoffen. Und den Kamerafauxpas verzeihen.

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