crime scene
: Im London der Zukunft kommt die Droge mit Drohne

Zoë Beck: „Die Lieferantin“. Suhrkamp, Berlin 2017, 324 S., 14,95 Euro

So komplex die Handlung, so rasant liest sich dieser Roman weg, den als „Thriller“ zu bezeichnen – rein literarisch gesehen – eigentlich eine Untertreibung ist. Von mehreren Enden her zäumt Zoë Beck ihre Geschichte auf, und obwohl man zunächst keine Ahnung hat, wie alles wohl zusammenhängt, ist „Die Lieferantin“ von Beginn an spannend. Der Schauplatz ist ein London, das viele bekannte Züge trägt, doch in einer unbekannten Zukunft angesiedelt ist, die relativ nah an unserer Gegenwart liegt und unter bestimmten Umständen durchaus die reale Zukunft sein könnte. Isolierte, jede für sich hochdramatische Szenen aus einer großen Stadt werden beschrieben: Wir sehen eine junge dunkelhäutige Frau, die von weißen Rassisten auf der Straße angepöbelt wird, psychisch mit der Situation nicht klarkommt und sich zu Hause einen Schuss setzt. Nächste Szene: Wir lernen einen netten jungen Mann kennen, der sich einbildet, den toten Typen, den er im Fußboden seines Hauses einbetoniert hat, von dort unten klopfen zu hören. Und dann wieder ein anderer Schauplatz: Im Londoner Hafen hat sich eine Gruppe von Männern versammelt, um einen anderen Mann zu töten, den sie für einen Verräter hält.

Ziemlich schnell wird immerhin klar, dass organisierte Kriminalität ein zentrales Thema ist. Die Welt ist nicht besser geworden, Rechtsextreme bedrohen in London die Zivilgesellschaft, und viele Menschen brauchen harte Drogen, um sich aus der Realität wegbeamen zu können. Da Vertrieb und Konsum von Drogen weiterhin verboten sind, gehen viele Menschen elend an schmutzigem Stoff zugrunde. Vor allem aber bietet die illegale Allgegenwart der Rauschmittel ein hervorragendes Geschäft für die Mafia, die auf diese Weise immer mehr die gesamte Gesellschaft dominiert. Doch seit einiger Zeit ist ein neuer Player im Markt aktiv, der einen hervorragend organisierten Vertrieb von feinstem Stoff betreibt, Bestellungen über das Darknet entgegennimmt und die Ware von dezentral agierenden Kurieren per Drohne ausliefern lässt: „The Supplier“. Wie der deutsche Titel des Romans unzweifelhaft erkennen lässt, handelt es sich bei diesem neuen Player um eine Frau.

„Die Lieferantin“ Ellie, deren Identität selbst den meisten ihrer MitarbeiterInnen unbekannt ist, ist eine Überzeugungstäterin. Sie hat den perfektesten aller Drogenvertriebe organisiert und verkauft den besten Stoff, der überhaupt zu bekommen ist, um dem menschenverachtenden Handel mit verschnittenem Heroin entgegenzuwirken. Doch seit dem Mord im Londoner Hafen ist ihr Warennachschub versiegt. Ellie muss ein Stück weit aus der Deckung gehen, was fatal ist; denn die Mafia ist ihr ohnehin auf den Fersen.

Was die mehrsträngig in sich verschlungene Handlung so spannend macht, ist gar nicht in erster Linie der Nervenkitzel, der aus Untat, Angst vor Entdeckung, Verfolgungsjagd und dergleichen zu ziehen ist, sondern der psychologische Faktor und die prinzipielle Unwägbarkeit, die in ihm begründet liegt. Es gibt kein Gut und Böse in diesem drogenabhängigen England der Zukunft; es gibt nur Menschen, viele ziemlich interessante Menschen, die auf verschiedene Weise ihre mitunter schwer durchschaubaren Motive verfolgen. Dabei können eben auch sehr überraschende Dinge geschehen, wie zum Beispiel, dass ein unbescholtener Restaurantbesitzer einen Mafioso ermordet. Und der hauptamtliche Mafiaboss ist eigentlich ein eher sensibles Söhnchen, das schwer an seinem Erbe trägt. Das heißt aber noch lange nicht, dass er es nicht umso ehrgeiziger mit Leben zu füllen entschlossen ist …

Zoë Beck jedenfalls füllt ihren halbfuturistischen Drogenthriller mit jeder Menge Leben und pflegt dabei souverän einen sehr eigenen, hintergründig-lakonischen Erzählstil. Und nicht nur in handwerklicher Hinsicht ragt dieser Kriminalroman weit heraus aus der großen Genre-Masse. Auch inhaltlich setzt seine Autorin einen Akzent, der als Diskussionsgrundlage durchaus relevant für unsere ganz heutige, hiesige Gesellschaft sein könnte.

Dass das organisierte Verbrechen zu einem großen Teil vom Geschäft mit verbotenen Rauschmitteln lebt, ist schließlich kein Geheimnis. Als in den USA die Prohibition herrschte, begann dort das goldene Zeitalter der Mafia. Katharina Granzin