Solidarität für Deniz Yücel: Politisches Rauchen

150 Menschen zündeten sich am Dienstag Zigaretten an, um bei „Rauchen für Deniz“ an den in der Türkei inhaftierten Journalisten zu erinnern.

Rauchende machen ein Selfie

Qualmen plus Beweisfoto für Facebook und Twitter: zeitgemäßer Aktivisimus bei #RauchenFuerDeniz Foto: Karsten Thielker

BERLIN taz | Bei unbeteiligten Passanten sorgte es für Verwunderung, als sich am Dienstagabend pünktlich um 18 Uhr der Bürgersteig vor dem taz-Gebäude in der Rudi-Dutschke-Straße füllte. Was ging hier vor sich? Eine Kaperung der taz durch Tabaklobbyisten?

Denn eines fiel schnell ins Auge: So gut wie jeder Anwesende hatte einen Glimmstängel zwischen den Lippen oder Fingern klemmen. Ein am Rande Stehender klassifizierte es als „politisches Rauchen.“

Was obskur klingt, hatte einen ernsten Hintergrund: Geraucht wurde in Solidarität und aus Protest. In Solidarität mit dem ehemaligen taz- und heutigen Welt-Redakteur und passionierten Raucher Deniz Yücel. Aus Protest gegen seine fortdauernde Haft in der Türkei.

Aufgerufen zu dem qualmenden Protest hatte die Titelseitenrubrik verboten, für die Deniz in seiner Zeit bei der taz des Öfteren und gerne kurze und bisweilen bissige Texte verfasste.

Neun Monate ohne Anklage

Auf den Tag genau vor neun Monaten wurde Deniz, damals als Türkei-Korrespondent der Welt tätig, festgenommen, nachdem er sich freiwillig einer Anhörung durch türkische Behörden stellte. Seither sitzt er isoliert in Untersuchungshaft und wartet auf sein Verfahren. Bis dato wurde nicht einmal Anklage gegen ihn erhoben. In einem taz-Interview am Wochenende forderte er unlängst einen baldigen und fairen Prozess.

Und so wurde am Montagabend gequalmt, was die Lungen hergaben: Schnell war der gesamte Bürgersteig versperrt – aus etwa 150 Mündern quoll der blaue Dunst. Selbst Nichtraucher, wie taz-Chefredakteur Georg Löwisch, konnten heute nicht die Finger von der Fluppe lassen – Gruppenzwang als gelebte – sorry! – gerauchte Solidarität. Doch Löwisch beteuert: „Deniz weiß, dass ich immer schon entschieden für den Nichtraucherschutz eingetreten bin.“

Ein Umstehender, der seinen Namen lieber nicht beim türkischen Geheimdienst wissen will, befand seine sechste Solidaritäts-Zigarette als „ziemlich angenehm. Besser als sonst – irgendwie bedeutsamer.“

Auch vor dem Spiegel-Redaktionsgebäude in Hamburg qualmten Kollegen solidarisch für Deniz Yücel. In seiner Heimtstadt Flörsheim gab es eine Mahnwache mit dem Bürgemeister. Der Hashtag #RauchenfuerDeniz stand kurzzeitig auf Platz 1 der Trends bei Twitter.

Total gaga

Doch Stopp: Nach Autokorsos – Deniz zumindest liebte sie – in seiner Heimatstadt Flörsheim und Berlin jetzt freiheitsforderndes Rauchen? Nach CO2-Verpestung nun kollektive Lungenschädigung?

Ist das alles nicht total gaga, verbotener Quatsch? „Doch, das ist es! Mindestens genauso gaga, wie die andauernde und unbegründete Haft unseres Freundes Deniz!“, beteuerte taz-Redakteur Gereon Asmuth in seiner, durch ständiges Inhalieren unterbrochenen, Rede.

Ob das gesetzte Rauchzeichen Deniz in der Türkei wirklich hilft oder den Druck auf die deutsche Bundesregierung erhöht, bleibt zu bezweifeln. Doch es zeigt: Er gerät nicht in Vergessenheit, weder bei seinen alten Kollegen, Freunden und Unterstützern in Berlin, noch in Flörsheim und Hamburg, wo ebenfalls solidarisch geraucht wurde.

Doch ebenso wichtig ist: Neben Deniz sitzen derzeit mehr als 160 Journalisten in türkischen Gefängnissen – auch sie benötigen unsere anhaltende Solidarität. Diese darf unter keinen Umständen verstummen oder sich – wie Zigarettenqualm – in Luft auflösen.

Und zuletzt ein Hinweis an alle Hater, die bei Twitter unter dem auf Platz Eins getrendetem Hashtag, Deniz und seinen Unterstützern Lungenkrebs herbeiwünschen: Für den Appell an alle Anwesenden, dem Rauchen zu entsagen, sobald Deniz frei ist, gibt es bereits das nächste Motto – #iWillQuitWhenDenizIsFree.

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