SPD-Parteichef Martin Schulz: Angezählt

Seit Martin Schulz Parteichef ist, geht bei der SPD alles schief. Doch gegen den einstigen Hoffnungsträger will die Partei offenbar nicht putschen.

Marin Schulz hinter verschwommenem Vordergrund

Bisweilen wirkt Martin Schulz etwas diffus Foto: reuters

BERLIN taz | Franz Müntefering meinte einmal, der SPD-Vorsitz sei das schönste Amt neben dem des Papstes. Martin Schulz kann das nach diesem Jahr wahrscheinlich nicht bestätigen. Erst der verkorkste Wahlkampf, danach die Pleite am Wahlabend, jetzt der Mist mit der Regierungsbildung – und dann ist noch nicht einmal jemand in Sicht, der ihn als SPD-Chef stürzen möchte.

Also steht er am Freitagmittag mal wieder im Foyer des Willy-Brandt-Hauses vor den Kameras, verkündet nicht seinen Rücktritt, sondern erklärt den neuen Koalitionskurs seiner Partei. „Wir sind uns einig, dass wir der Einladung des Bundespräsidenten zu Gesprächen mit den anderen Parteien selbstverständlich folgen werden“, sagt Schulz. In den kommenden Wochen würden noch viele weitere Gespräche zur Regierungsbildung folgen. Und er selbst wird offenbar als SPD-Chef dabei sein.

Am Vorabend gab es daran kurz Zweifel. Im Willy-Brandt-Haus saß die engste Parteiführung lang zusammen: der Parteichef, seine Stellvertreter, der Generalsekretär, einige Ministerpräsidenten und Minister. Zusammen berieten sie, was die SPD jetzt bloß machen soll. Das Gespräch lief seit drei Stunden, als die „Tagesschau“ berichtete, die Genossen würden Martin Schulz vielleicht noch in dieser Nacht stürzen. „Bullshit“, sagt ein Teilnehmer der Runde am nächsten Morgen. Man habe neun Stunden diskutiert, wie die SPD jetzt dabei helfen könnte, eine Regierung zu finden. Eine Aufgabe, die für die Sozialdemokraten in dieser Woche nicht einfacher geworden ist.

Rückblick. Montagmorgen: Die Jamaika-Sondierungen sind gerade geplatzt, der SPD-Vorstand berät über die nächsten Schritte. Die Partei müsse sich jetzt für Gespräche öffnen, fordern einige. Nichts da, sagt Schulz, keine Große Koalition. Von diesem Versprechen des Wahlabends dürfe die Partei jetzt nicht abrücken. Am Ende tritt er vor die Presse und legt sich fest: „Wir scheuen Neuwahlen unverändert nicht.“

Voreilige Festlegungen

Nach gerade mal einer Stunde ist klar: Das war voreilig. Im Schloss Bellevue verkündet der Bundespräsident, dass er Neuwahlen nur als allerletztes Mittel zulassen werde. Später am Nachmittag treffen sich dann im Reichstagsgebäude die Abgeordneten der SPD-Fraktion. Hinter verschlossenen Türen wird auch hier klar: Auf Neuwahlen möchten viele verzichten.

Zwei Argumente stehen gegen Schulz’ Vorhaben: Wahlkampf und Wahlpleite haben die SPD aufgezehrt. Viele in der Partei trauen sich die Kraft nicht zu, schon jetzt in die nächste Runde zu gehen, schon wieder Plakate zu kleben, nur um am Ende vielleicht noch ein paar Prozentpunkte mehr zu verlieren. Und dann ist da ja auch noch diese staatspolitische Verantwortung, von der plötzlich alle reden: Ist die SPD nicht dazu verpflichtet, vor Neuwahlen zumindest mal darüber zu reden, wie eine Regierung zustande kommen könnte?

Spätestens am Donnerstag wird vermutlich auch Schulz klar geworden sein, dass sein Plan nicht funktioniert. Frank-Walter Steinmeier lädt ihn da zum Gespräch vor und kündigt an, Schloss Bellevue in der kommenden Woche zu einer Art Koalitionsanbahnungsinstitut zu machen. Schulz soll einem gemeinsamen Termin mit Angela Merkel und Horst Seehofer zustimmen. Der SPD-Chef kann nichts dagegen machen – oder soll er eine Einladung des Bundespräsidenten ausschlagen?

„Bullshit“ – Kommentar aus der SPD-Führungsriege zu einem Bericht der „Tagesschau“, man wolle ­Martin Schulz stürzen

Das ist also die Situation, in der die SPD-Spitze am Donnerstagabend zusammenkommt, um über ihre Optionen zu beraten. Neuwahlen sind nicht vom Tisch, aber auch nicht leicht zu bekommen. Eine Minderheitsregierung der Union, von den Sozialdemokraten geduldet, können sich einige in der SPD vorstellen, vor allem im linken Flügel. Diese Variante liegt aber nicht in ihrer Hand. Zuallererst müsste Merkel dazu bereit sein. Danach der Rest der Union. Und am Ende auch noch Steinmeier.

Bliebe die GroKo. Aber wie will die SPD diese Variante ihren Mitgliedern verkaufen? Noch dazu nach dem Auftritt des Parteichefs am Montag?

Auf diese Frage gibt es vier Antworten. Erstens: zögern, zaudern, nichts überstürzen. Er werde sich nächste Woche mit Merkel und Seehofer treffen, sagt Schulz am Freitag. „Es gibt aber keinen Automatismus in irgendeine Richtung.“ Selbst wenn der Termin gut verlaufe, wolle die SPD-Spitze nicht sofort Sondierungsgespräche aufnehmen. Damit könnte sie bis Januar warten. Zweitens: die Basis beteiligen. Spätestens über einen fertigen Koalitionsvertrag dürften die SPD-Mitglieder abstimmen. Vielleicht würde sich die Parteispitze sogar schon das Okay zu Verhandlungen von ihnen einholen. Drittens: mit Forderungen in die Gespräche gehen, denen die CDU nur unter Schmerzen nachgeben könnte. Eine Gesundheitsreform mit Bürgerversicherung ist nur einer der Vorschläge, die am Freitag in der SPD kursierten.

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Und viertens: einen Sympathieträger für das Vorhaben werben lassen. Glücklich hat sich Martin Schulz in den vergangenen Monaten nicht angestellt. Am vergangenem Montag auch nicht. An der SPD-Basis mögen sie ihn aber immer noch. Das weiß auch die Runde, die am Donnerstagabend im Willy-Brandt-Haus mit ihm zusammensaß.

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