Protest gegen Prostituiertenschutzgesetz: Entmündigung statt Schutz

Ab 2018 müssen sich Prostituierte beim Amt registrieren. Aus Protest wollen sie sich alle unter dem Künstlernamen „Alice Schwarzer“ anmelden.

Sexarbeitende posieren mit Schildern und roten Regenschirmen vor dem Rathaus Schöneberg

„Danke Alice! Tolle Wahl: Stigmatisierung oder ohne Arbeit“, steht auf einem Plakat (nicht im Bild) Foto: Elisabeth Kimmerle

BERLIN taz | „Das Gesetz schafft Angst, nicht Schutz!“, steht auf dem Schild, das eine Frau hält, „Stigma mit Stempel – Hure“ auf dem Transparent einer anderen. Sie stehen an diesem Freitagvormittag gemeinsam mit einer Gruppe von SexarbeiterInnen unter roten Regenschirmen vor dem Berliner Rathaus Schöneberg, um gegen das Prostituiertenschutzgesetz zu protestieren.

Zum 1. Januar 2018 müssen sich nach dem neuen Gesetz alle SexarbeiterInnen registriert haben und ihren Prostituiertenausweis – in der Szene „Hurenpass“ genannt – während der Arbeit bei sich tragen. Das soll die SexarbeiterInnen vor Ausbeutung schützen. Bei den Betroffenen stößt diese Meldepflicht auf heftige Kritik.

„Eines unserer größten Probleme ist die Stigmatisierung“, sagt Johanna Weber, Sexarbeiterin und Vorstand des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen. Die politische Idee des Prostitutionsgesetzes von 2002 sei eigentlich der Abbau von Stigmatisierung und ein Schritt in die Normalität gewesen. „Vorher war unsere Arbeit zwar erlaubt, aber sittenwidrig. Wir hatten überhaupt keine Rechte“, sagt sie.

Das neue Prostituiertenschutzgesetz empfindet Weber als „totalen Rückschritt“. „Dass wir jetzt mit einem Prostituiertenausweis gekennzeichnet werden, ist für uns eine ganz klare Sonderbehandlung, die bei so einem hochstigmatisierten Beruf nicht vorkommen darf.“

Die Meldepflicht führe zu neuen Problemen, statt die SexarbeiterInnen zu schützen, kritisiert Johanna Weber. In der Branche herrsche nun eine große Angst, was mit den persönlichen Daten geschieht, unter denen sich die Prostituierten anmelden. „Viele befürchten, dass die Daten, wenn sie bei einer Behörde sind, auch bei allen anderen Behörden landen“, sagt sie. Alleinerziehende fürchteten, dass ihnen das Sorgerecht aberkannt wird; Migrantinnen, dass sie nie wieder einen anderen Job finden.

„Es fühlt sich an wie ein Outing“, sagt eine der protestierenden SexarbeiterInnen mit dem Künstlernamen Fräulein Angelina. „Alle, die sich nicht anmelden können, sind nicht geschützt, sondern müssen sich verstecken.“ Auch Weber befürchtet, dass durch die Meldepflicht die Gruppe der Prostituierten, die illegal arbeiten, größer wird. Denn Bordelle sind ab dem neuen Jahr verpflichtet, die Prostituiertenausweise zu kontrollieren. „Den BetreiberInnen drohen hohe Geldstrafen und die Schließung des Betriebs, wenn illegale Prostituierte bei ihnen arbeiten“, sagt sie. Diesen SexarbeiterInnen blieben nur noch Haus- und Hotelbesuche: „Die Arbeitssicherheit erhöht sich dadurch nicht, weil sie komplett auf sich allein gestellt sind.“

Enttäuscht von Alice Schwarzer

Selbst für Opfer von Menschenhandel, die das Gesetz besonders schützen will, könne die Meldepflicht in ihren Augen problematisch werden. „Für Menschenhändler ist es die leichteste Übung, mit den Frauen zum Amt zu fahren und sie anzumelden. Selbst Menschenrechtsorganisationen sagen, dass es zum Teil für diese Opfer, die es ja tatsächlich gibt, noch schwieriger wird, den Opferstatus juristisch anzuerkennen“, so Weber.

„Das Gesetz führt zu mehr Ängsten bei migrantischen Prostituierten, die keine Krankenversicherung und keinen geregelten Aufenthalt haben“, sagt auch eine der Demonstrierenden, die als Sozialarbeiterin mit den Problemen für MigrantInnen konfrontiert ist. „Wir beobachten jetzt schon, dass sich ihre Arbeit in den Graubereich verlagert und unsere Streetworker sie nicht mehr erreichen.“ Für sie steht fest: Es bedarf der Entstigmatisierung und Antidiskriminierung statt „obligatorischer Untersuchungen und Zwangsregistrierung“.

Eigentlich hatten die SexarbeiterInnen vor dem Rathaus Schöneberg geplant, sich aus Protest alle unter dem Künstlernamen Alice Schwarzer registrieren zu lassen. Der Künstlername auf dem Pass kann frei gewählt werden. Schwarzer setzt sich seit Jahren gegen Prostitution ein, freiwillige Sexarbeit gibt es in ihren Augen nicht. „Mich hat Alice Schwarzer echt enttäuscht. Frauen zu sagen, was sie machen müssen, ist antifeministisch“, erklärt „Fräulein Angelina“ die Idee dahinter.

Doch zur Anmeldung kommt es an diesem Tag nicht: In Berlin hinken die Behörden mit den strukturellen Vorbereitungen für die Registrierung hinterher. Wenige Wochen vor dem Stichtag am 1. Januar 2018 stellen sie stattdessen nur eine Bescheinigung über den Anmeldeversuch aus.

„Wir bekommen alle eine Bescheinigung, auf der wir bestätigt bekommen, dass wir versucht haben, uns anzumelden. Mit dieser Bescheinigung dürfen wir weiterarbeiten“, berichtet Johanna Weber. „Aber es ist die Frage, ob die anderen Bundesländer uns arbeiten lassen, wenn wir mit so einem komischen Zettel kommen, auf dem steht: Wir haben versucht uns anzumelden, aber leider gab es noch keine Behörde.“

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