Rechenkünstler

Unendlich sind die Möglichkeiten der digitalen Musikproduktion. Heute gibt es im Berghain zu hören, woran Errorsmith, Musiker und Instrumentenentwickler, lange getüftelt hat

„Meine Musik ist Post-Genre“ sagt Error­smith Foto: Foto: Camille Blake

Von Andreas Hartmann

Sechs Jahre sind ein langer Zeitraum, um an einer Platte zu arbeiten, zumal in der elektronischen Musik, wo nicht wenige Produzenten beinahe im Monatstakt die Musikplattform Beatport mit neuen Tracks bestücken. Man muss schließlich im Gespräch bleiben, um für lukrative Auftritte im Club gebucht zu werden.

„Ich habe nie viel aufgelegt und live gespielt“, sagt dagegen Erik Wiegand, der in den letzten sechs Jahren hauptsächlich an seinem endlich erschienenen Album „Superlative Fatigue“ herumgetüftelt hat. Wäre das anders, wäre er auch noch jedes Wochenende in irgendwelchen Clubs gebucht gewesen, wer weiß, wann er dann mit seiner Platte in die Zielgerade gekommen wäre. Die Fertigstellung hat ihn einige Kraft gekostet. „Irgendwann“, sagt er, „bekam ich sogar Magenprobleme, weil die Arbeit einfach kein Ende fand.“

Schaut man sich die Karriere von Wiegand an, der Anfang der Neunziger von Kassel nach Berlin gezogen ist und seit mehr als zwanzig Jahren elektronische Musik produziert, kommt der Verdacht auf, dass ihm das Produzieren leichter von der Hand geht, wenn er im Team arbeitet. Gemeinsam mit Mr. Ozio, Mouse On Mars und Mark Fell hat er Platten aufgenommen, zusammen mit dem Berliner Produzenten Frank Timms bildet er das Duo Smith N Hack.

Vor allem aber im Team mit dem Berghain-Resident-DJ Michael Fiedler aka Fiedel ist er unter dem Namen MMM, was als Akronym für den lustigen Künstlernamen Messe der Meister von Morgen steht, enorm produktiv, während er solo als Errorsmith nun erst sein viertes Album überhaupt in zwei Dekaden veröffentlicht.

Wiegand gibt beim Gespräch im Südblock Kreuzberg dann auch zu, dass er mit einem Gegenüber schneller zu Potte kommt, als wenn er alleine in seinem Studio in Neukölln, wo er auch lebt, vor sich hin werkelt. Wenn er sich mit jemandem zum gemeinsamen Jam treffe, würde einfach nicht das passieren, was ihm dauernd passiere, wenn er in sich selbst versunken vor dem Laptop sitzt: dass er sich in den schier unendlichen Möglichkeiten der digitalen Musikproduktion verliert.

Oberfläche Reaktor

Wiegand ist schließlich kein Produzent, der nur schaut, was ihm seine Arbeitsmittel auf dem Rechner so bieten können, sondern der diese am liebsten weiterdenkt. „Ein großer Teil meiner Beschäftigung vor dem Rechner besteht darin, Instrumente zu entwickeln“, sagt der 48-Jährige. Nicht selten verwandelt sich so die Arbeit an einem neuen Track eben in die Weiterentwicklung eines neuen digitalen Synthesizers.

Eine Zeit lang war er, der Informatik studiert hat, gar bei der Berliner Software-Firma Native Instruments angestellt, die die grafische Oberfläche Reaktor entwickelt hat, die heute internationaler Standard für die digitale Musikproduktion ist. Das Programm hat er mitgestaltet und er arbeitet ausschließlich mit diesem. Alte Synthesizer und Geräte besitze er zwar noch, sagt er, die verstauben aber längst in seinem Studio. Inzwischen ist er noch als freier Instrumentenentwickler für die Berliner Firma tätig, was aber immerhin zur Marktreife seines Synthesizers Razor für Native Instruments geführt hat.

Dessen Klänge sind auch so gut wie ausschließlich auf seiner neuen Platte zu hören. „Razor ist der innovativste Synthesizer der letzten Jahre“, sagt Wiegand. Er sagt das nicht mit einem Lächeln, um damit sein Selbstlob etwas abzuschwächen, sondern wie jemand, der einfach davon überzeugt ist, dass seine Aussage problemlos objektivierbar ist. Vor allem, um auch mit disharmonischen Klängen zu experimentieren, sei sein Gerät ideal. Wiegand muss es wissen. Seine Platte ist durchaus etwas für einen angstfreien Club-DJ, es knirscht und wabert bei ihr an allen Ecken und Enden, Klänge verzahnen sich seltsam miteinander.

Beine verknoten

Wegen Techno ist Wiegand einst nach Berlin gezogen, und im weitesten Sinne Techno hat er eine Zeit lang auch selbst produziert. „Mit Techno und House“, sagt er nun aber über seine neue Platte, „hat diese nur noch wenig zu tun.“ Wiegand lässt für seine vielschichtigen, polyrhythmischen Beatkonstruktionen fernab der geraden Bassdrum gerade noch Genre-Konstruktionen wie UK Funky gelten oder schlicht Bass, was gerne auch Post-Dubstep genannt wird. In Anbetracht der Tatsache, dass sein Sound trotz solcher Definitionsversuche schwer einzuordnen ist, sagt er: „Eigentlich bin ich für die Abschaffung von Genres. Sie machen keinen Sinn mehr. Meine Musik ist Post-Genre.“

Die Szene der elektronischen Musik in Berlin ist groß genug, um auch jemandem wie Wiegand Platz einzuräumen, der wie ein Solitär wirkt. Berlin ist eben vor allem die Stadt der geraden Bassdrum, des ewigen Bumm Bumm. Rhythmische Herausforderungen, die Wiegand am Post-Dubstep aus London oder am sogenannten Footwork aus Chicago schätzt, wirken in der Weltzentrale des Partytreibens eher exotisch. Dabei kann man sicherlich zu „Superlative Fatigue“ tanzen, man muss nur damit rechnen, dass man sich dabei die Beine verknotet.

Errorsmith: Superlative Fatigue (PAN). Heute Abend in der Säule im Berghain mit Fiedel und rRoxymore. Einlass & Beginn: 22 Uhr