Revolution und Restauration

Das Jahr beginnt im Zeughauskino mit einer Auswahl des Hamburger Cinefestes. Es widmete sich der Kultur und Politik zwischen 1789 und 1848 im Film

Edgar Reitz' „Cardillac“ erscheint als Reflexion der westdeutschen Verfasstheit Ende der 1960er Jahre Foto: DIF

Von Fabian Tietke

Eine Wohnung im Berlin der 1960er Jahre. Auf dem Boden im Raum verteilt Kartons mit Schmuck. In der Mitte des Raumes ein toter Mann, der – wie ein Off-Kommentar erklärt – mit einem selbst gebauten elektrischen Stuhl Selbstmord begangen hat. Mit seiner Verlegung in die damalige Gegenwart und großer visueller Strenge markiert Edgar Reitz’ Ende der 1960er Jahre entstandene freie Adaption von E. T. A. Hoffmanns „Das Fräulein von Scuderi“ einen der Pole auf denen sich die Filme der Filmreihe „Zwischen Revolution und Restauration“ bewegen. Den anderen Pol bilden Filme wie die letzte Regiearbeit von G. W. Pabst „Durch die Wälder, durch die Auen“ mit einer Mischung aus Kostüm- und Heimatfilm mit einigen Anklängen an die Spessartfilme Kurt Hoffmanns, die wenig später folgen sollten.

Das neue Jahr beginnt im Zeughauskino traditionell mit einer Auswahl von Filmen des Hamburger Cinefestes, das sich im letzten Jahr der Darstellung von Kultur und Politik der Jahre zwischen 1789 und 1848 im Film widmete. Die Filme der Reihe, darunter zahlreiche Literaturadaptionen, entstanden mehrheitlich in den 1950er bis 1970er Jahren und damit in den Jahren der Selbstfindung der beiden deutschen Staaten. Nicht wenige der Filme erscheinen im Rückblick als Suche nach einem Verhältnis zur deutschen Geschichte nach Nationalsozialismus und Massenmord.

Reitz’ Hoffmann-Adaption „Cardillac“ über einen Goldschmied, der sich von seinen Werken nicht zu trennen vermag und der zum Mörder wird, um den Schmuck wieder zurückzubekommen, scheint in dieser Hinsicht exemplarisch. Ein Teil des zeitgenössischen Publikums wollte in dem Film denn auch eine Allegorie auf die deutsche Nahvergangenheit erkennen. Im Rückblick überwiegen andere Elemente: das Zelebrieren der 60er Jahre Moderne, die Vorliebe für schnelle Autos, die sich durch Reitz’ Filme zieht und Elemente wie die Zündkontakte eines Starfighter-Jagdflugzeugs, die Kerndebatten der Bundesrepublik aufgreifen, lassen den Film eher als Reflexion der westdeutschen Verfasstheit Ende der 1960er Jahre erscheinen.

Cardillac lebt zurückgezogen mit seiner 23-jährigen Tochter Madelon und lässt seine Alltagsgeschäfte von seinem Gehilfen und Manager Olivier führen. Die überwiegende Zeit arbeitet er zurückgezogen an in Auftrag gegebenen Schmuckstücken. Sind diese fertig, lässt er sie sich von seiner halbnacktenTochter, die wie ihre in Guadaloupe geborene Mutter schwarz ist, vorführen. Reitz’ aktualisiert Hoffmanns düstere Erzählung über das Verhältnis zwischen Künstler und Werk und lässt Cardillac kurz nach der Einführung von Film- und Kunstförderung über die Autonomie des Künstlers reflektieren. Zugleich erscheint der Film von heute aus gesehen wie ein Blick in die Abgründe des Autorenfilms: die Darstellung von Madelon und die wiederkehrende Verwendung des N-Wortes wirken wie eine immerhin halbbewusste Selbstdarstellung narzistisch-eurozentristischer Hybris des europäischen Autorenfilms der 1960er Jahre.

Der Bruch zu G. W. Pabsts Spätwerk „Durch die Wälder, durch die Auen“, einer filmischen Biografie des Opernkomponisten Carl Maria von Weber, könnte nicht größer sein. Pabsts Film schildert eine fiktive Episode aus Webers Leben, bei der ein Graf Schwarzenbrunn Weber und seine Begleiterin mit einem fingierten Räuberüberfall dazu bringt, seine Gäste zu werden. Die Darstellung ist eher romantisch-schwelgend und wundert nicht, dass der Film zu den unbekannteren Filmen Pabsts gehört. All das steht im starken Kontrast zu einer kurzen Fahrt durch Venedig zu Beginn des Films, in der die Italienbegeisterung der frühen 50er anklingt, die aber sich im Ton jedoch deutlich unterscheidet und düster und dennoch fast zärtlich die Fassaden der Häuser am Canale Grande entlangstreicht.

Im Bruch zum weiteren Film zeigt sich wie nah filmische Freiheit und Konvention beieinanderliegen können. Man darf sich von den Filmen der Reihe „Zwischen Revolution und Restauration“ kein Aufschluss über die Geschichte der Jahre zwischen 1789 und 1848 versprechen, aber über die Gegenwart der Filme erfährt man in deren Spiegel eine ganze Menge.

Zwischen Revolution und Restauration. Kultur und Politik 1789–1848 im Spiegel des Films, Zeughauskino, Unter den Linden 2, 2.–17. 1.