Die Wahrheit: In vorrevolutionären Zeiten

Alexander Dobrindt ruft die Revolution aus: Wenn jetzt noch die Drogenbeauftragte mitzieht, ist dem Land sehr geholfen.

Wenigstens die CSU ist in Bestform in diesen Tagen. Gerade erst hat Alexander Dobrindt eine konservative Revolution gegen die Prenzlauerbergisierung des Landes gefordert. Gut so! Endlich werden all die veganen Cafés, Freilaufende-Eichelschwein-Kotelette-Manufakturen und Designerläden für absurd dickrahmige Brillen und lächerliche Karo-Sakkos in Schutt und Asche gelegt, die Mütter vom Kollwitzplatz mitsamt ihren Boogaboos in ihre Terracotta-Küchen geprügelt und die neuzugezogenen Gläubigen aus den überfüllten Kirchen des Stadtteils vertrieben.

Allerdings sollte Dobrindt dabei nicht allzu viel Krach machen, sonst hat die konservative Revolution ihre Kinder schneller gefressen, als er „Maut“ sagen kann – bei Verstößen gegen die Lärmschutzvorschriften versteht der Prenzlauerberger nämlich keinen Spaß, da wird er richtig fuchsig.

Und wenn schon Revolution, dann richtig, mit Bildersturm und allem. Da ist es nur folgerichtig, dass die Drogenbeauftragte Marlene Mortler (CSU) die Filmbranche auffordert, endlich das Rauchen einzustellen: „Zigaretten sind weder cool noch lässig, sondern schlicht und einfach ungesund“, so die überraschende Diagnose der Fachfrau, immerhin sterben über 100.000 Menschen in Deutschland jährlich daran. Vor allem rauchende Fernseh-Kommissare gäben ein schlechtes Vorbild ab.

Denn welcher Jugendliche verspüre nicht den unbändigen Drang, zur Kippe zu greifen, wenn die megacoolen und ultrahippen „Tatort“-Stars wie … Wer von denen raucht denn eigentlich? Der Pasta-Pistolero Kopper? Die Münsteraner Staatsanwältin Klemm mit der Reibeisenstimme? Klar, so cool und lässig will natürlich jeder Jugendliche sein.

Und das ist erst der Anfang. Mal sehen, wann Mortler bemerkt, wie viele Menschen im Straßenverkehr Leben und Gesundheit verlieren? Der Kölner Kommissar Schenk mit seiner Oldtimer-Liebe, der Stuttgarter Porsche-Fahrer Lannert, und überhaupt: Die fahren im Grunde ja alle Auto! Und ist nicht falsche Ernährung ein noch viel größerer Risikofaktor? Gerade in diesen Tagen, wo der neue „Fleisch-Atlas“ Furore macht, ist es nicht mehr hinzunehmen, dass sich im Fernsehen praktisch alles ums Essen dreht.

Da muss man nicht mal die Kölner „Tatort“-Würstchenbude heranziehen, da reicht ein Blick auf all die Koch-Shows, wie der selige Reich-Ranicki einst schon bemängelte. Und was ist mit dem Bayerischen Fernsehen und Sendungen wie „Dahoam is Dahoam“, „Melodien der Berge“ und „Heimatrauschen“? Gehen die sechs Millionen Hirntoten, die bei der letzten Wahl AfD angekreuzt haben, nicht auch auf das Konto des deutschtümelnden Dauerheimatfunkes?

Aber ist das Volk wirklich bereit für die Revolution? Wahrscheinlich wären die Einzigen, die beim Sturm auf die TV-Bastille mitmachen würden, die Prenzlauerberger. Nicht, dass das notorische Fernsehgesicht Dobrindt dann als Erster aufs Schafott käme!

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Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).

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kari

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