Zweimal gestreikt, zwei Vermerke in die Akte

Der Lehrer Carsten Leimbach klagt gegen das Land Hessen, weil er nicht streiken darf. Gewerkschaften fordern seit Langem mehr Rechte für Beamte – und hoffen auf Karlsruhe

Provozieren den Dienstherrn zu disziplinarischen Maßnahmen: Verbeamtete Lehrkräfte, die an Warnstreiks der Gewerkschaft GEW teilnehmen Foto: Christian Mang

Von Ralf Pauli

Wenn Carsten Leimbach an diesem Mittwoch nicht unterrichten müsste, er würde wohl die 300 Kilometer von Kassel nach Karlsruhe fahren, um zu hören, was das Bundesverfassungsgericht zum Beamtenstreikrecht sagt, dem Recht, das ihm per Gesetz verwehrt wird – noch. Der 49-Jährige ist Lehrer an einer kaufmännischen Berufsschule in Kassel und Kläger gegen das Land Hessen. Was das Verfassungsgericht urteilt, ist wegweisend für seinen Prozess am Verwaltungsgerichtshof Kassel. Er ruht, bis die Verfassungsrichter ein Grundsatzurteil zu einer Frage fällen, die in Deutschland seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert wird: nämlich, ob Beamte streiken dürfen oder nicht. Und ob der Staat – der seine Diener mit besonderen Privilegien ausstattet – diese sanktionieren darf, falls sie es doch wagen.

Für Lehrer Leimbach ist die Sache klar. Er hält das deutsche Recht für veraltet. Deshalb hat er sich mehrfach darüber hinweggesetzt. Ähnlich wie die vier verbeamteten Lehrkräfte aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, deren Fälle nun die Verfassungsrichter beschäftigen, hat Leimbach mehrfach gegen die aus seiner Sicht zu hohe Arbeitsbelastung an hessischen Schulen gestreikt.

Im Jahr 2003 protestierte er in Wiesbaden gegen die von der Landesregierung verordnete Stundenerhöhung bei gleichem Lohn. Im Jahr 2009 ging er auf die Straße, weil die tariflich vereinbarte Arbeitszeitverkürzung der angestellten LehrerInnen auf 40 Stunden nicht auch für die verbeamteten KollegInnen gelten sollte. Und 2015 – beim letzten großen Streik hessischer LehrerInnen – hat er nur deshalb gefehlt, weil er gerade wegen seines Sabbaticals im Ausland war. „Die Arbeitsbelastungen im Lehrerberuf sind sehr hoch. Uns hat geärgert, dass das Land Hessen dies in seinen Beschlüssen nicht berücksichtigt und wir kein Recht haben, unseren Unmut zu äußern.“

Aus diesem Grund seien Leimbach und viele seiner KollegInnen den Streikaufrufen der GEW gefolgt. Die Bildungsgewerkschaft schätzt, dass von 2009 bis 2015 rund 10.000 verbeamtete LehrerInnen waren, die sich an Streiks beteiligt haben. Vielfach wurden Disziplinarverfahren gegen die beteiligten BeamtInnen eingeleitet, teilweise sogar Bußgelder verhängt.

Auch Leimbachs Schule reagierte mit disziplinarischen Maßnahmen. Im Jahr 2003 sprach der Schulleiter eine Missbilligung aus – zwar eine niedere disziplinarische Maßnahme im Vergleich zu einem Verweis oder einer Rüge, die an anderen Schulen erteilt oder ausgesprochen wurden. Dennoch bekam Leimbach die Maßregelung zu spüren. In seine Personalakte wurde ein entsprechender Vermerk eingetragen, der erst nach Ablauf von zwei Jahren wieder gestrichen wurde. Dasselbe passierte nach dem Streik von 2009. Heute weiß Leimbach, dass er aufgrund dieser Vermerke beinahe nicht befördert wurde. Ein Justiziar des staatlichen Schulamts hatte, wie Leimbach später nachvollziehen konnte, Bedenken wegen der Vermerke in Leimbachs Akte geäußert. Statt nach üblichen sechs Monaten bewilligte das Schulamt Leimbachs Beförderung erst nach anderthalb Jahren.

Im Jahr 2009 ahnte das Leimbach noch nicht. Dennoch wollte er die zweite Maßregelung nicht hinnehmen. Er klagte mit Unterstützung der GEW – und bekam Recht. Der Streik sei zulässig gewesen, urteilte das Verwaltungsgericht Kassel und nahm dabei Bezug auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMH), der Beamtenstreiks in der Türkei für zulässig erklärt hatte (siehe Spalte). 2014 forderte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den Gesetzgeber auf, das nationale mit dem europäischen Recht in Einklang zu bringen. Seither warten alle, inklusive Bundesregierung, auf das Urteil aus Karlsruhe.

Marlis Tepe, GEW-Vorsitzende

Die Gewerkschaften GEW, DGB und ver.di plädieren dafür, den Beamtenparagrafen an die Rechte normaler ArbeitnehmerInnen anzugleichen. „Unser Rechtsstaat kann gut damit leben, wenn Beamte nicht so abhängig sind von ihrem Dienstherrn, sondern das Streikrecht erhalten“, sagte die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe am Montag. Und ver.di-Vorstandsmitglied Wolfgang Pieper hob hervor, dass Beamtinnen und Beamte keine „obrigkeitshörigen Staatsdiener wie noch vor 100 Jahren“ seien, sondern mündige Bürger, die ihre Aufgaben ebenso verantwortungsbewusst wahrnehmen wie ihre Grundrechte.

Der Deutsche Philologenverband hingegen fordert, den bisherigen Beamtenstatus nicht zu verändern. „Ich erwarte, wie der überwiegende Teil unserer Bevölkerung und vor allem die Elternschaft, eine jederzeit verlässliche Schule“, so die Bundesvorsitzende Susanne Lin-Klitzing. Wenn Lehrkräfte streiken dürften, so wäre dem Staat nicht möglich, Lehrkräfte jederzeit und überall verlässlich einzusetzen. So sieht das auch Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Das geltende Streikverbot für Beamte bezeichnete er als wichtig für die Handlungsfähigkeit des Staates. Selbst die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic, sagte der taz, dass sich bei bestimmten staatlichen Aufgaben das Streikrecht verbiete.

Lehrer Carsten Leimbach hingegen baut auf die Verfassungsrichter. Nicht nur wegen seines eigenen Prozesses – auch wegen der jungen KollegInnen. „Das Streikverbot führt dazu, dass die alles schlucken.“