Der Soundstylist

Gitarristen von Sonic Youth und Element of Crime haben sie: Effektpedale aus der Berliner Werkstatt von Theo Kleissiaris. Er macht maßgeschneiderte Modelle – und repariert sie auch

Die Gitarre zur Hand, das Effektgerät auf dem Tisch: Pedalbauer Theo Kleissiaris in seiner Werkstatt Foto: Joanna Kosowska

Von Pablo Rohner

Nick Morrison hat eigentlich alles: einen Namen wie ein Relikt aus dem heroischen Zeit­alter der Rock­musik, das Aussehen des Straßenmusikers aus dem Film „Once“ und eine alte Bluesgitarre, Baujahr 1952. Und er hat ein Effektpedal, das er irgendwann, irgendwo, so genau erinnert er sich nicht, einem Händler abgekauft hat. Zwischen die alte Klampfe und Verstärker geschaltet, sorgt es dafür, dass die Leute nach Auftritten von seinem Sound schwärmen.

Doch nun stimmt mit dem Pedal etwas nicht mehr. Plötzlich war da dieses feine Kratzen im Klang, das immer lauter wird, je höher Morrison den Regler dreht, kaum zu hören für das ungeübte Ohr, für den Musiker jedoch kaum zu ertragen.

Jetzt steht Morrison im Hinterzimmer einer Boutique in der Nähe des Rosa-Luxemburg-Platzes, zwischen Gitarren, Verstärkern und vollgestellten Regalen, in der Kleissonic-Werkstatt von Theo Kleissiaris. Er zieht ein schmales Kästchen aus der Manteltasche und wirft es durch den Raum. Kleissiaris fängt es, nimmt es von einer Hand in die andere, besieht es von allen Seiten. Das Effektpedal ist nicht größer als ein Aufnahmegerät, bedienen lässt es sich mit zwei einfachen Drehknöpfen. Genauso schlicht mögen es die Gitarristen von Bands wie Sonic Youth und Element of Crime, für die Kleissiaris selber Pedale herstellt.

Kleissiaris schiebt die ins Gesicht gezogene Wollmütze zurück, zieht die Ärmel des Kapuzenpullis hoch und nimmt eine Gitarre aus dem Ständer. Er schließt das Pedal zwischen Instrument und Amp und spielt ein paar Bluesakkorde, neben seinem Ohr artikuliert Morrison seine Wahrnehmung des Störgeräusches.

Für Laien ist noch immer nicht wirklich etwas zu hören, doch nach einer Weile beginnt Kleissiaris zu nicken. Für die beiden liegt das Problem nun offen da, zwischen Kabelspulen, Lötkolben und Plastikflaschen mit Chemikalien.

Der Philosoph Gilbert Simondon unterscheidet in seinem Werk „Die Existenzweise technischer Objekte“ zwischen mündigem und unmündigem Verhältnis von Mensch und technischem Objekt. Im Status der Unmündigkeit nutzt der Mensch die Technik als Gebrauchsobjekt. Er ist quasi mit dem Objekt aufgewachsen, bedient es intuitiv und infolge langer Übung nahezu perfekt. Simondon illustriert den Status der Unmündigkeit mit dem Bauer, der einfach weiß, wo und wann er einen Baum pflanzen oder einen Futtertrog für das Vieh aufstellen muss. Diesem „erlernten“ Wissen des „Lehrlings“ stellt Simondon das „gedachte“ Wissen des „Ingenieurs“ gegenüber. Der Ingenieur verfügt über die wissenschaftlichen Mittel rationaler Erkenntnis, die vor allem für die Weiterentwicklung von Technik Voraussetzung ist.

In Kleissiaris’ Werkstatt kommen so „Lehrling“ und „Ingenieur“ zusammen. Sein Vater war Elektriker, so sei er quasi „in einer Werkstatt aufgewachsen“ und habe schon als Kind mit Elektronik herumgespielt, erzählt er. Später hat er Elektrotechnik studiert, in ihm verbinden sich Simondons Konzepte also gewissermaßen.

Mit ein paar Handgriffen öffnet Kleissiaris das Metallgehäuse, hervor kommt eine krause Blüte aus Kabeln auf einer grünen, mit silbernen Linien und Schriftzeichen überzogenen Platte. Während er vorsichtig an Kabeln zieht, sie anhebt, Widerstände und Dioden besieht, hat Morrison ein anderes Pedal aus dem Regal genommen und klimpert auf einer Gitarre herum. Was er hört, scheint ihm zu gefallen und er fragt Kleissiaris, ob sich der Klang seines ­Pedals so einstellen lasse, „ein wenig dunkler“.

Für Kleissiaris gilt es nun, die Metapher der Klangfarbe in eine Anordnung von Transistoren, Chips, Widerständen und Halbleitern zu übersetzen. In diesem magischen Prozess wird auch er wieder ein Stück in den Status der Unmündigkeit zurückversetzt. Er muss ausprobieren, und beim Nachjustieren verlässt er sich auf seine Erfahrungen mit bestimmten Konfigurationen.

„Cool, dann habe ich was Individuelles“, sagt Morrison zum Abschied und fügt zwinkernd an: „Es gibt zu viele von uns.“ Kleiner, einfacher, dabei ohne Leistungsverlust und individuell – die Wünsche von Mu­si­ker*innen an ihr Equipment entsprechen heute dem technologischen Ideal von Apple und Co.

Die Reparaturen bilden die eine Seite von Kleissonic. Seinen internationalen Namen verdankt der 1983 in Griechenland geborene Theo Kleissiaris jedoch seinen eigenen Kreatio­nen, den handgemachten Gitarrenpedalen, die er in seiner Werkstatt herstellt.

Auch hier herrscht produktionsästhetischer Zeitgeist. Anders als bei kalter Massenware sollen Leidenschaft und Sorgfalt des Handwerkers den Pedalen eine Seele einhauchen. „Craft“ nennt man das beim Bier, „Boutique“ bei Gitarrenpedalen. In den letzten fünf Jahren hätten sogenannte „boutique guitar pedals“ einen regelrechten Boom erfahren, sagt Kleissiaris. Weil jedoch viele der ins Kraut schießenden Boutique-Werkstätten in Wahrheit nur Designbüros mit externen Produktionspartnern seien, habe die Bezeichnung auch an Bedeutung verloren.

Als er auf Kreta sein erstes Pedal gebaut habe, sei die Szene überschaubar gewesen. „Das Internet kam über 56k-Modems; Anleitungen, Fotos und Tutorials standen nicht zur Verfügung“, sagt Kleissiaris. Sein Material bestellt er zu dieser Zeit bei einem Zulieferer in Berlin, auf die Pakete wartet er oft mehrere Wochen. Während seines Studiums beginnt er eigene Stromkreise zu zeichnen, Infrastruktur und Material für seine Basteleien findet er in den Labors der Universität. Nach erfolgreichen Versuchen materialisiert sich die Idee schließlich auf einem kleinen Werktisch in einer Ecke seines Zimmers auf Kreta. Hier entstehen die ersten Prototypen der Pedale, die Kleissiaris heute in die ganze Welt verkauft.

Nach einem Master als biomedizinischer Ingenieur – seine Diplomarbeit schreibt er zu den Effekten elektromagnetischer Strahlung auf den menschlichen Körper – wird er zum Wehrdienst eingezogen. Dort beschließt er endgültig, es mit den Pedalen zu probieren. Er zieht nach Berlin – in die Nähe seines Lieferanten. Zunächst macht er verschiedene Jobs, unter anderem als Techniker bei Konzerten von Iron Maiden und Neil Young.

Bis heute erinnert sich Theo Kleissiaris an jedes seiner Pedale und an wen es gegangen ist

2010, Kleissonic existiert zu diesem Zeitpunkt rund ein Jahr, meldet sich plötzlich John Cummings, Gitarrist der Postrockband Mogwai. Er will ein maßgeschneidertes Pedal. Kleissiaris baut eines, Cummings probiert es aus. Er ist zufrieden. „Die Leute reden“, so Kleissiaris’ lakonische Erklärung, weshalb schon bald darauf weitere berühmte Gitarristen anklopfen, etwa Lee Ranaldo von Sonic Youth oder Jakob Ilja von Element of Crime.

Die meisten bestellen eines der bestehenden Modelle, die Tremulant, Crystal oder Screaming Skull heißen und Effekte wie „overdrive tremolo“, „clean boost“ oder „oscillated fuzz“ versprechen. Zwischen 150 und 250 Euro kosten die silbernen Helfer, die der Gitarre Hall oder Verzerrung geben – oder sie einfach lauter und dabei kristallklar klingen lassen.

Seine prominenten Kunden benutzen die Pedale vor allem im Studio, so Kleissiaris. Efrim Menuck und David Bryant von den Postrockern Godspeed You! Black Emperor etwa spielen sie auch regelmäßig live.

Auch dank diesen schillernden Referenzen erreichen Kleissiaris vermehrt Endorsement-Anfragen. Bei diesem Marketingkonzept stellen Hersteller ihre Produkte zur Verfügung, damit Musiker*innen diese werbewirksam auf der Bühne verwenden. Ökonomie der Aufmerksamkeit. Kleissiaris jedoch lehnt immer ab. Er habe keine Lust auf Marketing, ein bisschen Facebook und Mund-zu-Mund-Propaganda müssen reichen. Er sieht einen Zusammenhang zwischen der Krise der Tonträgerindustrie und dem „Hype“ um handgemachte Pedale. Infolge der Verfügbarkeit aller Musik in Downloads und Streams müssten Bands heute intensiver touren, um überhaupt Geld zu verdienen. Die verschärfte Konkurrenz in Clubs und Konzerthallen befeuere das Marktvolumen insgesamt und besonders die Nachfrage nach individuellem Equipment.

Müsste er den wachsenden Markt nicht als Chance sehen? Kleissiaris rückt die Mütze zurecht und verschränkt die Arme. Die Frage berührt den Kern des Konzepts hinter Kleissonic. Immer wieder erreichen ihn Anfragen von Distributoren, die seine Pedale in großen Stückzahlen vertreiben wollen. Bisher hat Kleissiaris immer abgelehnt. Er will weiterhin jedes verbaute Element in den Händen halten. Jeder Produktionsschritt, von der Zeichnung bis zur Gestaltung der Hüllen, geschieht in der Werkstatt. Bis heute erinnert er sich an jedes seiner Pedale, an wen und wohin sie verschifft wurden; die meisten davon in europäische Städte, viele nach Großbritannien und einige nach Kalifornien.

Natürlich sei es schön, Pedale für Musiker*innen zu bauen, deren Fan er selber sei. Sie am Fließband zu produzieren würde ihm aber schnell zu stumpf, ist er sich sicher. Außerdem würde ihm das Reparieren fehlen. Die Pedale seien vielleicht der glamouröse Teil des Geschäfts, die Reparaturen jedoch der fordernde: „Probleme wie das von Nick zu lösen hält das Gehirn fit.“