Berlins Baumpate: Ein Mann von einem Baum

Künstler-Urgestein Ben Wagin hat ins Hansaviertel eingeladen. Es geht um Jahrzehnte voller Kunst und eine Wiedergutmachung.

Bäume sind immer ein Teil seiner Arbeiten: Ben Wagin Foto: Claudius Prößer

Wenn Ben Wagin Kontakt aufnimmt, tut er das nicht nur mit der Stimme oder dem Blick, er greift zu. Mit seinen großen, rauen Händen fasst der kleine Mann den Reporter am Arm, nimmt dessen Hand und knetet sie sanft, während er spricht, fast als prüfe er, der Künstler, die Materialbeschaffenheit seines Gesprächspartners. „Schau in mein Buch, da wirst du etwas über die Schildkröten finden. Schildkröten brauchen keine Universität.“

Was das genau bedeutet, will noch herausgefunden werden, aber ein Blick in den Fotoband, den der 87-Jährige gerade herumgereicht hat, zeigt, dass Wagin, Westberliner Urgestein, Aktionskünstler und Baumpate, große Stücke auf die gepanzerten Reptilien hält. In sein Testament, heißt es da, habe er geschrieben: „Für alles, was ich durch meine Arbeit hinterlasse, setze ich meine beiden Schildkröten als Alleinerben ein.“

An diesem eiskalten, sonnigen Februarmontag haben Ben Wagin und seine junge Künstlerfreundin Dafne B zu einer kleinen Präsentation ins Hansaviertel gebeten. Das Haus Joseph-Haydn-Straße 1, direkt am S-Bahnhof Tiergarten, ist ein prächtiger Gründerzeitbau, der einzige verbliebene auf dieser Seite der Stadtbahn. Wagin hat ihn seinerzeit vor dem Abriss gerettet, sagt er. Er wohnt hier, und die Räume im Souterrain waren bis vor Kurzem sein Atelier, fünf Jahrzehnte lang.

Jetzt hat sich hier der Manager Peter Zühlsdorff ein Büro eingerichtet. Er ist zehn Jahre jünger als Wagin, die beiden kannten sich vorher nicht, verstehen sich aber inzwischen prächtig. „Du sollst mich nicht immer so anmachen, da werde ich ganz verlegen“, sagt Zühlsdorff lachend, als Wagin, im Blaumann und mit offenen Stiefeln, auf ihn zumarschiert und ihn herzt. Überall in den Räumen steht und hängt Wagin-Kunst, Fotocollagen, Keramik, viel Baumartiges, aber auch Stühle, denen Fischgräten aus alten Kleiderbügeln entwachsen. Ein Dutzend Freunde von Wagin ist gekommen, viel graues Haar, ein junger Mann bläst die Klarinette, während der Schauspieler Hermann Treusch Gedichte vorträgt.

Versehentlich gefällt

Worum es geht? Um eine Wiedergutmachung: Nicht für das legendäre, längst verwitterte Großwandbild „Weltbaum“, das auf der anderen Seite der Bahntrasse gerade auf Nimmerwiedersehen hinter einem Neubau verschwindet, sondern für zwei Schwarzkiefern, die Wagin 1976 – vor mehr als 40 Jahren! – an der Neuen Nationalgalerie gepflanzt und mit einem Stein ergänzt hatte, auf dem stand: „Der Baum bist du“. Vor zwei Jahren, im Januar 2016, wurden die Kiefern im Rahmen der Sanierung der Neuen Nationalgalerie gefällt. Mehr oder weniger versehentlich, wie man hört.

Aber die Stiftung Preußischer Kulturbesitz bereut den Frevel, und sie wird, höchstwahrscheinlich, Ben Wagin die Herstellung eines Kunstbuches ermöglichen, das im Sommer in Druck gehen soll. Ein Buch bzw. eine Buche – für den Künstler und Baumfreund ist das kein großer Unterschied, erklärt er und dass Buch-Staben ursprünglich mit Runen beschriebene Stäbchen aus Buchenholz waren. So hat es der Reporter zumindest verstanden.

Buch oder Buche: für den Künstler und Baumfreund kein großer Unterschied

Nachdem Wagin vor dem Haus auf eine Holzleiter geklettert ist, um sein jüngstes, gemeinsam mit Dafne B geschaffenes Wandbild am S-Bahn-Bogen einzuweihen (er zeichnet mit Kreide zwei stilisierte Schildkröten darauf), erklärt er noch, dass er auf dem Kulturforum am liebsten zwei neue Bäume pflanzen würde – neben der alten Platane, die vom künftigen Museum der Moderne quasi umbaut werden soll. „Das muss ich noch mit Moni besprechen“, sagt Wagin. Er meint Kulturstaatsministerin Monika Grütters.

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